«Du tust alles, um am Leben zu bleiben» Ukrainischer Teenager wird für Russland-Propaganda entführt – jetzt erzählt er seine Geschichte

Sven Ziegler

29.4.2024

Denis Kostev (r.) mit einer Russenflagge beim Sender RT: Seine Auftritte waren erzwungen.
Denis Kostev (r.) mit einer Russenflagge beim Sender RT: Seine Auftritte waren erzwungen.
Screenshot RT

2022 wird Denis Kostev nach Russland verschleppt. Dort wird er zu einem Gesicht der russischen Propaganda gemacht. Nach seiner Flucht erzählt er jetzt seine Geschichte.

Sven Ziegler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Denis Kostev wurde 2022 nach Russland entführt.
  • Der Ukrainer wurde daraufhin als Aushängeschild für die russische Propaganda gebraucht.
  • Nun erzählt er seine Geschichte im «Spiegel».

Denis Kostev, ein 16-jähriger Junge aus der Ukraine, sorgte mit einem Tiktok-Video für Aufsehen. Darin bezeichnete er den russischen Präsidenten Wladimir Putin als «Arschloch» und kritisierte die russische Regierung scharf.

Doch ein Jahr später änderte sich alles. Ein weiteres Video zeigte Denis in Tarnkleidung, der junge Mann lobte das russische Militär. Sein Wandel wirft Fragen auf: Was hat ihn dazu gebracht, seine Meinung so drastisch zu ändern?

Der Weg von Denis ist kein Einzelfall, der «Spiegel» zeichnet sein Schicksal nach. Tausende ukrainische Kinder wurden seit Beginn des Krieges nach Russland verschleppt. Offiziell sollten sie vor dem Krieg geschützt werden, doch in Wahrheit wurden viele von ihnen indoktriniert, um zu russischen Patrioten zu werden.

«Getan, was nötig war»

Denis selbst wurde im Herbst 2022 entführt. Die Leiterin der Berufsschule kündigte damals an, alle Kinder für zwei Wochen in ein «Ferienlager» auf die von Russland besetzte Krim zu schicken. Doch die Kinder kehren nach zwei Wochen nicht zurück, sie bleiben auf der Krim.

«Ich habe getan, was für meine Sicherheit nötig war», sagt er dem «Spiegel» im Rückblick. Er berichtet von Drohungen und Einschüchterungen durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB. «Ich hatte Angst», gesteht er. «In Kriegszeiten tust du alles, um am Leben zu bleiben.»

Im Winter wird er in eine Berufsschule in der Südukraine versetzt, erhält nun regelmässig Besuche vom FSB. Die Männer nahmen ihn in einem weissen Toyota mit, wiesen ihn an, Videos aufzunehmen oder Kinder im Wohnheim zu bespitzeln. Sein Hass auf die russische Armee ist vordergründig verschwunden, nun lobt Denis Kostev Putin und die russische Armee.

Flucht gelingt doch noch

Gleichzeitig wagt Denis einen Fluchtversuch. Er will, dass seine Grossmutter ihn abholt – ganz offiziell. Laut Gesetz ist das möglich. Doch kurz vor seiner Abreise wird er von bewaffneten FSB-Agenten aufgesucht, die ihn zwingen, eine Sprachnachricht an seine Angehörigen zu schicken. In dieser sagt er, dass er in Russland bleiben wolle. Seine Grossmutter wird ausgewiesen. Seine Eltern können ihm nicht helfen – sie kämpfen gegen Alkohol- und Drogenprobleme.

Schliesslich gelingt ihm die Flucht doch noch. Dank einer Hilfsorganisation kann er über Belarus nach Polen und schliesslich nach Deutschland ausreisen. Heute hofft Denis auf ein neues Leben in Deutschland. Doch sein Weg ist geprägt von Unsicherheit und Zweifeln. Kann er jemals wieder Vertrauen fassen? Wie stark hat die russische Propaganda sein Denken beeinflusst? Diese Fragen begleiten Denis auf seinem Weg in die Zukunft. Heute sagt er: «Ein Teil meiner Seele ist ukrainisch. Und ein Teil russisch.»