Lagebild Ukraine Kiews «Krieg gegen das Böse und die Zombies»

Von Philipp Dahm

7.2.2023

Selenskyj erwägt offensichtlich Reise nach Brüssel

Selenskyj erwägt offensichtlich Reise nach Brüssel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwägt offensichtlich eine Reise nach Brüssel: Mehrere Mitarbeiter des Europäischen Parlaments bestätigten am 6. Februar, dass es am Donnerstag die «Wahrscheinlichkeit einer ausserordentlichen Plenartagung in Anwesenheit des ukrainischen Präsidenten» gebe. Am selben Tag treffen sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in Brüssel zu einem Gipfel. Wie es hiess, würde Selenskyj dann auch als Gast an dem Gipfel teilnehmen.

07.02.2023

Im Norden, im Donbass und im Süden der Ukraine zieht der Kreml Truppen zusammen. Noch sind die Fronten bei Kreminna und Wuhledar stabil, doch die Schlinge um Bachmut zieht sich zu. Kiew bleibt dennoch kämpferisch.

Von Philipp Dahm

Die russische Armee ist dabei, aus frisch trainierten Rekruten und erfahreneren Soldaten neue Einheiten aufzustellen. Sie werden auf der ganzen Breite der Front aufgefahren, um Wladimir Putins Ziele zu erreichen.

Zerstörte Schützenpanzer am Fluss Siwerskyj Donez.
Zerstörte Schützenpanzer am Fluss Siwerskyj Donez.
Bild: u/VintageFiori

Im Norden der Ukraine sammeln sich die Truppen bei Swatowe und Kreminna. Für die Ukraine zahlt sich nun aus, dass die Streitkräfte nach der Befreiung von Charkiw so weit nach Osten vorgerückt sind. Der Feind muss nun erst die Front zurück nach Westen verschieben, wo der Fluss Oskil als natürliche Verteidigungslinie dienen soll.

Die konzentrierten russischen Truppen bei Swatowe und Kreminna werden von russischer Artillerie und der Luftwaffe ins Visier genommen. Kupjansk liegt nordwestlich von Swatowe.
Die konzentrierten russischen Truppen bei Swatowe und Kreminna werden von russischer Artillerie und der Luftwaffe ins Visier genommen. Kupjansk liegt nordwestlich von Swatowe.
Karte: DeepStateMap

Für Kiew ist es wichtig, Kupjansk zu halten. Angeblich wird das Gebiet nördlich der Stadt derzeit vermint, um zu verhindern, dass die Stadt in einer Zangenbewegung eingeschlossen werden kann. Russlands Problem ist, dass sich nach wie vor ukrainische Kräfte im Wald bei Kreminna aufhalten.

Bachmut: Zieht sich die Schlinge zu?

Diese Ukrainer erschweren einen etwaigen russischen Vorstoss an den Oskil. «Sie versuchen ihr Bestes, um uns aus diesen Wäldern zu vertreiben», gibt ein Mitglied der internationalen Legion zu Protokoll. «Es scheint, als würden sie [dort] Potenzial für einen Gegenangriff sehen. Unser Raum ist im Moment etwas überfüllt.»

Ein grösserer Angriff im Norden könnte am 11. Februar beginnen: Dann wird das mobile Internet in West-Luhansk abgestellt. In Bachmut machen die Angreifer zwar Fortschritte, für die sie allerdings teuer bezahlen. Nördlich der Stadt konnten ukrainische Kräfte die Russen zwar bei Krasna Hora aufhalten, doch gleichzeitig erhöhen diese den Druck auf Yahidne, um Krasna Hora einzukesseln.

Nördlich und südlich von Krasna Hora wird gekämpft. Die ukrainischen Truppen ziehen sich langsam aus dem Norden und Osten von Bachmut zurück, halten allerdings einige strategische Punkte (gelb), um den Russen möglichst hohe Verluste beizubringen.
Nördlich und südlich von Krasna Hora wird gekämpft. Die ukrainischen Truppen ziehen sich langsam aus dem Norden und Osten von Bachmut zurück, halten allerdings einige strategische Punkte (gelb), um den Russen möglichst hohe Verluste beizubringen.
Screenshot: YouTube/Reporting from Ukraine

In Bachmut selbst bereitet Kiew offenbar einen Rückzug hinter den Bachmutske vor. Im Ostteil der Stadt werden nur noch strategische Punkte etwa in hohen Gebäuden oder einem grossen Schlachtbetrieb gehalten. Ein Verlust der Stadt wäre zwar ein Sieg für Moskau, doch strategisch würde der kaum etwas bringen: Die Schlüsselstädte sind Siwersk und Lyman zwischen Bachmut und Kreminna sowie Kramatorsk und Slowjansk im Osten.

«Sie sind wirklich Zombies»

«Wir kämpfen weiter, wir bleiben hier», beschreibt der ukrainische Soldat Roman die Schlacht um Bachmut. «Unsere Stimmung ist gut. Wir warten auf die Panzer und Waffenhilfe aus dem Westen.» Er wähnt sich in einem «Krieg gegen das Böse und die Zombies»: «Sie sind wirklich Zombies», sagt er über die russischen Truppen. «Sie kümmern sich nicht um ihre Toten. Sie laufen immer weiter. Es ist surreal.»

Im Osten von Bachmut dringen russische Kräfte mittlerweile in die Stadt vor.
Im Osten von Bachmut dringen russische Kräfte mittlerweile in die Stadt vor.
Karte: Militaryland

Wolodymyr Selenskyj sagt, auf Bachmut liege der Fokus: «Auf unserer Verteidigung. Auf den Versuch der Besatzer, die Stadt einzuschliessen und die Verteidigung dort zu durchbrechen. Wir gehen in den Gegenangriff», so der ukrainische Präsident, der ergänzt: «Ich bin jedem Kämpfer dankbar, der mit seiner Unverwüstlichkeit zum Widerstand beiträgt.»

In Wuhledar im Oblast Donezk ist die Front derzeit relativ stabil. Russlands 40. und 155. Marineinfanterie-Brigaden haben angeblich schwere Verluste erlitten: Laut einem russischen Militärblogger sammelt der Kreml hier nun neue Truppen für eine Offensive, die von der ukrainischen Artillerie bekämpft wird.

Waffen-Update

Die Lieferung von Kampfflugzeugen für die Ukraine bleibt ein Thema. «Es ist egal, welcher ausländische Jet es sein wird», sagt Dmytro Kuleba. «Ob eine amerikanische F-16, eine schwedische Gripen, eine französische Mirage oder ein Eurofighter – es ist irrelevant.  Das Wichtigste ist, das zu thematisieren, zu enttabuisieren und das erste Geschwader zu erhalten.»

Die Sorge vor einer Eskalation durch so einen Export, die einige im Westen haben, habe mit rationalen Argumenten nichts zu tun, fährt der 41-jährige Aussenminister fort. Sie habe mehr mit «Angst-Management» zu tun: «Was soll noch passieren, damit ihr aufhört, über Eskalation zu reden?»

Einig ist man sich dagegen inzwischen in der Panzerfrage: Deutschland hat angekündigt, nicht nur 88 Leopard 1 liefern zu wollen, sondern sogar 187 Exemplare. «Doch bei genauerem Hinsehen ist die Ausfuhrgenehmigung für den weiteren Verlauf des Ukraine-Krieges eher von kleinerer Bedeutung», schreibt «Business Insider»: Die Finanzierung sei noch nicht gesichert und die leichten Panzer müssten erst instand gesetzt werden.

Verstärkung für die Luftabwehr

Gute Nachrichten kommen für Kiew aus Rom und Paris: Italien und Frankreich wollen Kiew das Luftabwehrsystem SAMP/T liefern. Es habe eine sehr kurze Reaktionszeit, mit der Aster 30 eine sehr wendige Rakete und deckt «die neuesten Bedrohungen» ab, lobt «Army Recognition» die Technik. Es soll bis zu 100 Ziele verfolgen und 10 gleichzeitig bekämpfen können. Die Aster 30 hat eine Reichweite von 100 Kilometern.

Dazu passt die Meldung, dass Israel angeblich erwägt, Kiew mit dem wohl besten Luftabwehrsystem zu versorgen, das derzeit auf dem Markt ist. Der Iron Dome hat sich im Nahostkonflikt bewährt: «Die Frage von Waffenlieferungen wurde von der vorherigen Regierung geprüft und abgelehnt», erklärt Premier Benjamin Netanjahu. Und verspricht: «Ich werde die Sache anschauen.»

Norwegen schnürt derweil ein besonders grosses Hilfspaket für die Ukraine: Weil das Land durch die gestiegenen Öl- und Gaspreise vom Krieg profitiert, will Oslo Kiew etwas zurückgeben. In den kommenden fünf Jahren sollen jeweils 15 Milliarden Kronen (1,34 Milliarden Franken) überwiesen werden.