Lagebild UkraineWer so viele Siege wie Putin feiert, braucht keine Feinde
Von Philipp Dahm
27.1.2023
Junge Soldaten im Ukraine-Krieg: «Und dann sind sie ruhig»
In einem Wald nahe der ostukrainischen Stadt Krasnogorowka halten eine Handvoll junger ukrainischer Soldaten die Stellung. Die russischen Angreifer haben sich 500 Meter entfernt im Wald verschanzt. Eine Momentaufnahme aus dem Krieg.
27.01.2023
Russlands Militär feiert mal wieder Erfolge, wo keine sind: Obwohl ein Angriff auf die Kleinstadt Wuhledar vor allem Verluste einfährt, verkauft Moskau das Ganze als Durchbruch.
Von Philipp Dahm
27.01.2023, 15:02
Philipp Dahm
Im Norden nichts Neues: Ein russischer Militärblogger berichtet, ukrainische Kräfte hätten mit vier Panzern, drei Schützenpanzern und einem Dutzend Humvees von Torske aus Kreminna erfolglos angegriffen. Die Gegenseite will russische Vorstösse auf Stellungen in Tscherwonopopwika im Norden und Bilohoriwka im Süden abgewehrt haben.
Bei Bachmut hat sich die Front im Norden der Stadt offenbar stabilisiert: Die ukrainischen Verteidiger haben sich hinter der T-0513 alias H-32 eingegraben, die von Bachmut über Krasna Hora nach Siwersk führt. Wiederholte Angriffe auf Krasna Hora sind gescheitert: Nach der Einnahme von Soledar konnten russische Kräfte in der Gegend bisher nur das Dorf Sil erobern.
Die Stabilisierung im Norden entlastet die Verteidiger im Süden von Bachmut, wo ein russischer Vorstoss über das Dorf Klischtschiwjka die Verbindungsstrasse T0504 bedroht. Die fällt nun als Nachschubweg aus. Es gibt aber noch eine Alternative: Die kleinere T0506 ermöglicht eine Verbindung nach Tschassiw Jar und weiter in den Westen.
Moskau meldet Erfolg in Wuhledar
Dass Kiew nicht gewillt ist, Bachmut aufzugeben, zeigt sich auch daran, dass die Truppen rotieren: die kampferprobte 93. selbständige mechanisierte Brigade hat die Verteidigung der Stadt übernommen. Sie trägt den Namen Cholodnyj Jar, der an den letzten Aufstand der ukrainischen Kosaken gegen das russische Zarentum im Jahr 1768 erinnert.
An der südlichen Front hat sich einiges getan. Zumindest versucht die russische Seite das so darzustellen: Demnach hat die Armee im Oblast Saporischschja in Orichiw und weiter östlich in Wuhledar im Oblast Donezk Fortschritte gemacht. Die sind bei genauerem Hinsehen aber minimal – und äusserst kostspielig.
Da fahren zunächst fünf Schützenpanzer frontal auf die ukrainischen Stellungen zu: Weil die in kompakter Formation vorrücken, hat die generische Artillerie keine Mühe, die Truppen aufzureiben. Dieser Frontalangriff soll die Kräfte der Verteidiger binden, um über die Flanke zum östlichen Teil von Wuhledar vorzustossen.
Blutiger Kampf um eine Kleinstadt
Die russische Artillerie nimmt nicht nur den Ort selbst unter Feuer. Es kommt auch die TOS-1A zum Einsatz, die mit ihrer thermobarischen Munition ein Spital am südlichen Rand von Wuhledar in Schutt und Asche schiesst. Anschliessend rückt die Infanterie vor.
Rekruten und Sträflinge bilden die Mitte, während die kampferprobten Einheiten die Flanken übernehmen. Unter schweren Verlusten kämpfen sich Moskaus Männer in den Ostteil der Kleinstadt vor. Sie rücken auch in die zerstörten Ruinen des Spitals vor. Die Verteidiger ziehen sich zurück, gruppieren sich neu und gehen in die Gegenoffensive.
Mithilfe von Panzern gelingt es ukrainischen Kräften, wieder in den Ostteil von Wuhledar einzurücken. Die dortigen russischen Truppen müssen darauf reagieren – und können nicht mehr Druck Richtung Westen ausüben. Die Verluste der Angreifer dürften angesichts der offenen Felder enorm sein.
Deutscher kämpft für 7000 Dollar für Putin
Und die heftigen Verluste rächen sich nun offenbar auch: Die Gruppe Wagner hat angeblich Probleme, neues Personal zu rekrutieren. «Jedem ist klar, was den Sträflingen passiert, die für den Kreml in den Krieg in die Ukraine ziehen», schreibt der in Russland inhaftierte amerikanische Ex-Soldat Paul Whelan. Wagner sucht deshalb nun vermehrt im Ausland nach Söldnern.
2/ According to the brother of Paul Whelan, the ex-US Marine currently imprisoned in Russia, Wagner has attempted to recruit more inmates without much success. The prisoners are well aware of the use of their fellow convicts as cannon fodder and now mostly refuse to go.
Dazu passt ein Bericht des «Tagesspiegel», nach dem auch Deutsche für die Russen kämpfen. Zwei solche Söldner seien von ukrainischen Kräften festgenommen worden. «Der eine kam aus Leipzig und hatte russische Wurzeln. Der andere hiess Volker und war Berliner», erklärt die Quelle der Zeitung. «Volker war lange arbeitslos und reiste im September nach Russland. Ohne jede militärische Vorerfahrung.»
Russian artillery doesn't support Wagner mercenaries near Bakhmut. They are given away for slaughter - Yurii Lutsenko, ex 🇺🇦 Prosecutor General, now 🇺🇦 soldier in air reconnaissance in Bakhmut area.
He added ex convicts in Wagner are thrown forward to die.
Volkers Motivation? «Er sagte, er habe es allein wegen des Geldes getan. Als Wagner-Söldner kommt er auf bis zu 7000 Dollar [monatlich].» Einen Bonus hätten die Wagner-Söldner für den Fall bekommen, dass sie einen Soldaten der ukrainischen Internationalen Legion töten. Wer den ausländischen Ausweis des Opfers präsentieren kann, bekommt demnach 10'000 Dollar extra. In Bachmut seien auch ein Amerikaner, ein Franzose, ein Brite und ein Syrer verhaftet worden, die für Wagner im Einsatz waren.
Waffen-Update
Nach der Panzer-Entscheidung hat Kiew nun Flugzeuge im Visier. Während die amerikanische F-16 ganz oben auf der Wunschliste steht, bringt Paris nun einen Export der Mirage 2000 ins Spiel. «Wir müssen Anfragen von Fall zu Fall prüfen und alle Türen offen lassen», sagt Thomas Gassilloud, Chef des französischen Wehr-Ausschusses, im «Telegraph».
In Köln sind am 26. Januar die ersten ukrainischen Soldaten eingetroffen, die in Deutschland am Schützenpanzer Marder ausgebildet werden sollen. Ausserdem hat Kiew in der Bundesrepublik 105 Aufklärungsdrohnen vom Typ Vector des Herstellers Quantum-Systems bestellt. Die Kosten übernimmt die Bundesregierung.
Polen legt sich in Sachen Waffenhilfe weiter ins Zeug: Wie polnische Medien erst jetzt berichten, hat Warschau Kiew bereits im vergangenen Frühling mehrere Mig-29-Jets überlassen, die als Ersatzteile für die Ukraine deklariert worden waren. Zudem kündigt der polnische Premier an, neben 14 Leopard 2A4 auch jeweils 30 Panzer der Typen T-72 und PT-91 liefern zu wollen.
Auch Belgien hat weitere Hilfen für die Ukraine beschlossen. So will Brüssel Kiew Raketen vom Typ AIM-120 AMRAAM schicken, die von der Flugabwehr NASAMS wie von Flugzeugen verschossen werden können. Hinzu kommen 80 Exemplare des gepanzerten Fahrzeugs Iveco LMV, 150 Militär-Lastwagen, 1000 schwere Maschinengewehre, 120 Mörser und 1500 Panzerabwehr-Raketen.