Drohende Eskalation Wie geht es nach dem Tod von Hisbollah-Chef Nasrallah weiter?

dpa, dmu

28.9.2024 - 10:37

Die Tötung des Hisbollah-Chefs ist der schwerste Schlag Israels seit Jahrzehnten
Die Tötung des Hisbollah-Chefs ist der schwerste Schlag Israels seit Jahrzehnten
dpa

Israels Militär hat die libanesische Hisbollah-Miliz ins Mark getroffen. Wie es nach der gezielten Tötung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah weitergeht, ist aber völlig offen.

dpa, dmu

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  • Am Freitag hat die israelische Armee laut eigenen Angaben Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah getötet. Von der Hisbollah fehlt eine Bestätigung.
  • Es handelt sich dabei um den schwersten Schlag Israels gegen die Organisation im Libanon.
  • Nach dem Tod Nasrallahs wird eine weitere Eskalation des Konflikts befürchtet.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ist laut israelischen Angaben bei einem Angriff am Freitag in einem Vorort von Beirut getötet worden. «Hassan Nasrallah wird nicht länger in der Lage sein, die Welt zu terrorisieren», teilte das israelische Militär mit. Auch der wichtige Hisbollah-Kommandeur für den Süden des Landes, Ali Karaki, sei ums Leben gekommen.

Von der Hisbollah, die den Tod ihres Anführers erst mit deutlicher Verzögerung mitteilen könnte, gab es zunächst keine Bestätigung. 

Der Tod Nasrallahs, der die Organisation seit 30 Jahren anführte, ist der schwerste Schlag Israels gegen die Hisbollah und damit einen ihrer grössten Feinde seit Jahrzehnten. Welche Folgen das für den Konflikt mit Israel, für die Nahost-Region sowie im Libanon selbst haben wird, ist zurzeit kaum absehbar.

Mehrere Gebäude zerstört

Israels Militär griff nach eigener Darstellung das Hauptquartier der Hisbollah an, das sich demnach unter Wohngebäuden befunden haben soll. Nach dem Angriff im Vorort Haret Hreik nahe dem Flughafens waren dichte Rauchwolken zu sehen und anschliessend grosse Trümmerberge. Staatlichen Medien wurden mehrere Gebäude komplett zerstört. Deshalb könnte es Dutzende oder sogar Hunderte Tote geben. Dem Gesundheitsministerium zufolge wurden mindestens sechs Menschen getötet und 91 verletzt. 

Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der Schiitenmiliz. Er war einer der schwierigsten Gegenspieler Israels. Er stimmte sich eng mit dem Iran und dessen Revolutionsgarden (IRGC) ab, dem wichtigsten Unterstützer der Hisbollah. Er hat die Miliz in eine deutlich mächtigere und gefährlichere Organisation verwandelt als sie in der Zeit seines Vorgängers war. 

Nasrallah, der im Alter von 64 Jahren getötet wurde und vier Kinder hinterlässt, erhielt seine religiöse Ausbildung in den zwei wichtigsten Zentren der schiitischen Muslime: in der irakischen Pilgerstadt Nadschaf und im iranischen Qom. 1982 schloss er sich der neu gegründeten «Partei Gottes» an. 

Nach dem Tod von Anführer Abbas al-Mussawi, den Israel 1992 ermordete, wurde er zum Nachfolger gewählt. Als grossen Triumph der Hisbollah empfand er den Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 und den ihrer Beschreibung nach «göttlichen Sieg» nach Ende des Kriegs 2006. 

Reaktion Irans unklar

Mit dem Tod Nasrallahs könnte der Konflikt mit Israel, der in den Konfrontationen über fast ein Jahr gewissen Regeln zu folgen schien, noch weiter ausser Kontrolle geraten. 

Allerdings ist nicht klar, ob der Iran als wichtigster Unterstützer der Miliz im Fall eines Kriegs zu Hilfe eilt. Die neue iranische Regierung unter Präsident Massud Peseschkian kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise und strebt eine Wiederannäherung an den Westen an. Obwohl Irans militärische Führung nach der Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija Ende Juli Vergeltung ankündigte, blieb diese bis heute aus.

Auch die Hisbollah wurde durch massive Angriffe Israels in den vergangenen Wochen schwer getroffen. Sie ist mit Blick auf ihre Führung, ihre Kommunikationsmittel und wohl auch ihre Kampfmoral deutlich geschwächt. 

Zwei mögliche Szenarien

Mehrere Szenarien wären jetzt möglich: Die Hisbollah könnte den Kampf vorerst aufgeben, den Beschuss Israels beenden, einer Waffenruhe zustimmen und sich – wie es eine UNO-Resolution vorsieht – rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt zurückziehen. Israel hätte ein Kriegsziel erreicht, wenn mehr als 60'000 Menschen in ihrer Häuser und Wohnungen im Norden des Landes zurückkehren können.

Oder die Hisbollah weitet die Angriffe gegen Israel aus und greift mit modernsten Raketen israelische Städte und militärische Ziele an. Fraglich ist auch, inwieweit der Iran der Hisbollah zu Hilfe eilt. 

Auch im Libanon ist unklar, in welcher Form die militärisch, politisch und sozial sehr mächtige Organisation fortbestehen wird.

dpa, dmu