Ein Drittel der Israelis ist bereits geimpft, 1,8 Millionen haben sogar schon die zweite Dosis bekommen. Wie hat das Land das geschafft? Und warum ist die Rede von Lockdown-Verlängerung, obwohl sich die Fallzahl halbiert?
Kein Land ist so weit wie Israel: 3,1 Millionen Bürger haben schon die erste Impfung gegen Covid-19 bekommen – und 1,8 Millionen bereits die zweite Dosis. Die Schweiz, die rund 700'000 Einwohner weniger zählt, steht mit 315'000 verabreichten Impfdosen im Vergleich schlecht da.
Beide Länder haben im selben Zeitraum mit den Impfungen begonnen: Dort war es am 19. Dezember, hier ging es vier Tage später los. Wie also hat es Israel geschafft, zu diesem Zeitpunkt bereits ein Drittel der Bevölkerung vor Covid-19 schützen zu können?
Kluge Verhandlungen haben es möglich gemacht: Hersteller Pfizer hat Israels Premierminister zugesagt, bis März genug Dosen zu liefern, um alle Bürger über 16 Jahre bis Ende März zu impfen. Im Gegenzug übergeben Benjamin Netanjahu und Co. der Pharmafirma sämtliche Daten über die Impfaktion: Israel funktioniert wie eine Petrischale, die nun die ganze Welt beäugt, um zu sehen, welche Folgen die Impfung hat.
Rund ein Monat ist seither vergangen – und überall profitieren Wissenschaftler von den Informationen aus Israel. «Die liefern jede Woche Daten», erklärt die Virologin Sandra Ciesek im NDR-Podcast Corona-Update. «Das ist für uns sehr, sehr wertvoll, diese Daten. Weil sie das erste Mal im wahren Leben unter echten Bedingungen zeigen werden, wie der Impfstoff wirkt, wie effektiv der ist.»
Was diesen Punkt angeht, gibt es gute Nachrichten: Von 715'000 Geimpften hatten nur 317 das Pech, sich erneut anzustecken. Der Stoff hat also nur bei 0,04 Prozent nicht angeschlagen. Auch die Zahl der Nebenwirkungen ist gering: «Generelle Schwäche» wurde dabei von 458 Personen bei einer Million Geimpften am häufigsten genannt, berichtet «Times of Israel».
Fallzahlen halbiert – trotzdem Sorgen
Und dann sind da ja noch die positiven Folgen der Impfkampagne: Die Zahl der kritisch Kranken über 60 ist «im Vergleich zur Vorwoche von über 30 Prozent auf unter zehn Prozent gesunken», erklärt Virologin Ciesek. «Also es scheinen jetzt erste Effekte in der älteren Bevölkerung zu sehen zu sein.»
Trotz der hohen Impfquote und gesünderer Senioren ist die Stimmung in Israel aber alles andere als gut –, obwohl der Spitzenwert bei den Fallzahlen von 10'116 am 20. Januar auf 5171 am 2. Februar gefallen ist. Der dritte Lockdown, der noch bis Ende der Woche dauern soll, macht dem Land zu schaffen: Die Arbeitslosenquote ist von 13,7 Prozent im Dezember auf 16,7 Prozent im Januar gestiegen.
Und es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass der Lockdown sogar verlängert wird. Das Problem ist der R-Wert, der zuletzt bis auf 0,9 gesunken war, nun aber wieder auf 0,96 hochgegangen ist, weiss die «Times of Israel». Das zeige laut Ciesek, «wovor wir immer warnen, dass es nicht reicht, wenn man einen kleinen Teil der Bevölkerung impft, weil der Grossteil dann nicht immun ist.»
Britische Mutation verdirbt die Fallzahlen
Ein Problem sind jetzt auch die Mutationen, die in Israel inzwischen ganz andere Ausmasse erreicht haben als in der Schweiz.
«Als die Impfkampagne Ende Dezember begann», verdeutlicht Ian Miskin vom Jerusalemer Gesundheitszentrum Clalit gegenüber der Nachrichtenagentur «Anadolu», «waren die neuen Varianten die Ursache von 30 bis 40 Prozent der Infektionen. Nun werde bei rund 80 Prozent der neuen Fälle die britische Variante diagnostiziert.»
Während inzwischen 90 Prozent der über 60-Jährigen geimpft sind, befällt die britische Mutation nun auch Kinder, zeigt sich in Israel: Die Impfkampagne wurde deshalb heute über die Gruppe der über 35-Jährigen ausgeweitet: Jetzt kann eine Dosis bekommen, wer älter als 16 ist, meldet «Reuters».
Es gibt noch weitere Faktoren, die die Fallzahlen beeinflussen: So nimmt etwa die Impfbereitschaft nach starkem Start ab. Während sich vor Wochen täglich um die 150'000 Israelis angemeldet haben, waren es am Montag nur noch 87'000.
Ultra-Orthodoxe und israelische Araber hinten an
Und während sich diejenigen zu Beginn der Kampagne impfen liessen, die sich ohnehin an Corona-Regeln halten, missachten andere die Gefahr: Am Sonntag versammelten sich zum Beispiel Tausende Ultra-Orthodoxe bei dem Begräbnis eines hohen Rabbis in Jerusalem. Der 99-jährige Geistliche war an Covid-19 gestorben.
Eine weitere Gruppe, die offenbar wenig geimpft wird, sind die israelischen Araber. Ganz zu schweigen von der Situation der Palästinenser: Am Sonntag kündigte Verteidigungsminister Benny Gantz erstmals an, Israel werde den Nachbarn etwas abgeben. 5000 Dosen für das medizinische Personal sollen den Palästinensern zukommen, die bis dato kaum eine Chance hatten, an Impfstoffe zu gelangen, weiss «France 24».
Lässt sich der erste Erfolg Israels auf die Schweiz übertragen, sofern auch hier genügend Impfstoff zur Verfügung steht? Ganz so «einfach» ist es nicht: Dort wird die Kampagne zentral und straff organisiert. Hier sind meistens die Kantone zuständig. Logistisch sind beide Länder wohl gut aufgestellt, doch bei Technik und IT, die in dem Zusammenhang helfen, ist Israel vorne. Ob die Schweiz bei der Kampagne mithalten kann, die das Impfen begleiten muss, wird sich erst noch zeigen müssen.