Lagebild Ukraine In Bachmut werden die Jäger plötzlich zu Gejagten

Von Philipp Dahm

11.5.2023

Die von Jewgeni Prigoschin angekündigte ukrainische Offensive ist ausgeblieben. Oder doch nicht? In Bachmut rücken Kiews Kräfte nun an den Flanken vor und drohen, die russischen Soldaten einzuschliessen.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ukrainische Kräfte haben die belagernden Truppen in Bachmut erfolgreich an der südlichen Flanke angegriffen.
  • Russen befürchten, Kiew plane, die Belagerer einzukreisen.
  • Jewgeni Prigoschin hat sich deswegen pöbelnd zu Wort gemeldet, die regulären Truppen an der Flanke kritisiert und sogar Wladimir Putin angegriffen.
  • Kiew bekundet derweil, die finalen Pläne für die Gegenoffensive seien noch nicht abgesegnet.
  • Ein Trump für diese Gegenoffensive ist die Lieferung von Langstrecken-Raketen vom britischen Typ Storm Shadow.

Mit viel Tamtam hat Jewgeni Prigoschin prophezeit, die ukrainische Offensive würde in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai beginnen. Doch die Realität straft den Wagner-Boss Lügen – oder doch nicht?

Denn in Bachmut passiert gerade das, wovor der 61-Jährige schon lange warnt. «Es gibt das ernste Risiko, dass die Gruppe Wagner wegen Fehlern an den Flanken eingekesselt wird», wütet er. «Die Flanken brechen bereits ein.» Und diese Flanken würden von regulären Truppen gedeckt – oder eben nicht gedeckt.

Seinen Söldnern werde weiterhin Material vorenthalten, klagt Prigoschin: «Ohne Munition arbeitet der Fleischwolf in die andere Richtung: Die ukrainischen Streitkräfte werden die Gruppe Wagner zerstören», fürchtet er. Die Unterversorgung liege an «internen Wettbewerb», verrät er vielsagend. Und er geht im jüngsten Video noch weiter: «Was, wenn sich herausstellt, dass der Grossvater ein A******** ist?»

Schiesst der Wgner-Wotan plötzlich gegen seinen Odin? Gut möglich, dass Wladimir Putin jetzt die Reissleine zieht: Laut «Meduza» fasst der Kreml diese Aussagen als «ernsthafte Bedrohung» auf und erwägt angeblich, staatliche Sicherheitskräfte auf den Wagner-Boss anzusetzen.

Dabei ist die Aufregung sogar nachvollziehbar: Ukrainische Truppen sind im Süden von Bachmut vorgerückt – und schicken sich offenbar tatsächlich an, die Wagner-Söldner in Bachmut zu umschliessen. Das obige Video zeigt, wie russische Soldaten der 72. Brigade fliehen, als sie von Soldaten der 3. Sturm-Brigade angegriffen werden.

Und wie die obige Bildergalerie zeigt, rücken ukrainische Kräfte im Süden von Bachmut weiter vor. Ihr Ziel ist Klischtschijwka und der östlich gelegene Kanal, die einen neuen Brückenkopf bilden können, von dem aus nach Nordosten in den Rücken der Bachmut-Belagerer vorgedrungen werden kann.

Hat die Offensive nun begonnen, oder nicht? 

Im Norden von Bachmut konnten Moskaus Soldaten zwar einen kleinen Geländegewinn verzeichnen und sind auch innerhalb der Stadt minimal nach Westen vorgerückt, doch die Verteidiger wehren sich im westlichen Teil der Stadt weiter hartnäckig.

Ob die Flankenbewegung nun wirklich der Beginn der ukrainischen Offensive oder nur ein begrenzter Gegenangriff ist, lässt sich kaum beurteilen. Geht es nach Oleksij Danilow, ist noch nichts entschieden: «Die finalen Pläne für die Gegenoffensive sind noch nicht von [dem Präsidenten Wolodymyr] Selenskyj abgesegnet.»

«Es gibt heute niemanden, der all unsere Pläne genau kennt», wird der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats weiter zitiert. Dabei stimmen die Grundvoraussetzungen: Die Ukraine hat über 600 verschiedene Waffen- und Munitionstypen vom Westen bekommen, sagt US-Army-Sprecher Oberst Martin O'Donnell. «Das ist mehr, als jede Armee der Welt hat.»

Ein heisser Kandidat für die Gegenoffensive ist der Süden: Hier konnten ukrainische Kräfte auf einer Dnjepr-Insel südlich von Cherson Boden gutmachen. Der Gegenseite ist es offenbar nicht gelungen, die ukrainischen Truppen, die über den Fluss gesetzt haben, wieder auf die rechte, westliche Uferseite zu vertreiben.

Die Dnejpr-Insel in der Bildmitte wird immer grüner, weil ukrainische Soldaten vorrücken.
Die Dnejpr-Insel in der Bildmitte wird immer grüner, weil ukrainische Soldaten vorrücken.
Karte DeepStateMap

Essenziell ist vor einem Beginn der Offensive ohnehin, dass die generische Artillerie möglichst dezimiert wird. Diejenigen Systeme, die in Reichweite sind, werden seit Tagen von Kiews Himars und anderen Geschützen ins Visier genommen.

Allerdings wissen die Russen um die Reichweite dieser Systeme – und sammeln Mensch und Material ausserhalb ihrer Schlagdistanz. Umso wichtiger ist die Unterstützung mit Langstrecken-Waffen – und auch diese sind bereits geliefert worden: Mit der britischen Storm Shadow können auch diese Ziele nun beschossen werden, wenn Kiew wirklich loslegt.

Waffen-Update

Apropos: Auch leichte Kampfflugzeuge aus Tschechien, schultergestützte Flugabwehr-Raketen aus Schweden und 122-Millimeter-Raketenwerfer aus Rumänien gehören schon bald zu Kiews Arsenal.