«Alle wollen weg» «Null-Covid»-Strategie vertreibt Ausländer aus China

Von Andreas Landwehr, dpa

6.10.2022 - 00:00

Eine Frau wird auf das Corona-Virus getestet: In China gibt es nach wie vor Lockdowns.
Eine Frau wird auf das Corona-Virus getestet: In China gibt es nach wie vor Lockdowns.
Bild: KEYSTONE/AP/Ng Han Guan

Einst galt China als Land der Chancen für Fachkräfte, die ihr Glück im Ausland probieren wollen. Doch die kompromisslose Corona-Politik Pekings führt zum Ausländerschwund in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt.

6.10.2022 - 00:00

Die Welt versucht, mit dem Virus zu leben. Aber China hält stramm am Null-Covid-Ziel fest. Monatelange Lockdowns, Quarantäne, Willkür, alltägliche PCR-Tests und Reisebeschränkungen vertreiben Schweizer und andere Ausländer aus dem Land. Nachfolger sind schwer zu finden.

«Wie lange bleibt Ihr noch?», lautet die häufigste Frage, um die sich Gespräche unter Schweizern und anderen Ausländern in China heute drehen. Seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren hat ein Exodus eingesetzt: Die Zahl der ausländischen Manager und Fachkräfte in der zweitgrössten Volkswirtschaft soll sich nach groben Schätzungen mehr als halbiert haben.

Es waren einmal 850'000 Ausländer in China. Wie viele es heute noch gibt, weiss keiner genau. Deutsche Firmen haben laut einer Umfrage der Handelskammer (AHK) ein Viertel ihrer ausländischen Mitarbeiter verloren. War ein Job in China früher ein Karrieresprung, lassen sich die Stellen heute auch nur noch schwer nachbesetzen.

Unbeirrter Null-Covid-Kurs

Die Null-Covid-Strategie, wiederholte Lockdowns, ständige Überwachung und die Abschottung des Landes vom Ausland haben die Lebensqualität sinken und das Risiko steigen lassen, in Chinas Corona-Mühlen zu geraten. Geopolitische Spannungen, Abkopplung, Verfolgung von Minderheiten, Unterdrückung in Hongkong und Säbelrasseln gegenüber Taiwan haben zudem Chinas Ansehen in den Keller sacken lassen. Die Zahl der Deutschen, die eine schlechte Meinung von China haben, hat sich seit 2005 auf 74 Prozent verdoppelt, wie Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Pew ergaben.

Hält unbeirrt am Null-Covid-Kurs fest: Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping. (Archivbild)
Hält unbeirrt am Null-Covid-Kurs fest: Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping. (Archivbild)
Bild: KEYSTONE/AP/Ju Peng

Während der Rest der Welt lernt, mit dem Virus zu leben, demonstriert China unbeirrt Null-Toleranz. Einreisende müssen sieben Tage in Hotelquarantäne plus drei Tage in häusliche Isolation, was örtlich eher willkürlich gehandhabt wird. Es gibt nur wenig Flüge. Ein einfaches Ticket von Frankfurt nach Peking kostet heute mehr als 2000 Euro. «Die Reisebeschränkungen nach China und innerhalb des Landes sind weiterhin sehr hinderlich, um ausländische Mitarbeiter zu halten oder zu gewinnen», sagt Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der deutschen Handelskammer (AHK) in China.

Möglichkeit erneuter Lockdowns bereitet Kopfschmerzen

Obwohl Lockerungen zu erwarten seien, gebe es «wenig Aussicht» auf eine grundlegende Abkehr vom Null-Covid-Ziel. «Das Risiko weiterer Lockdowns schwebt wie ein Damoklesschwert über allem», sagt Hildebrandt. «Schreckensszenarien wie der zweieinhalbmonatige Lockdown Shanghais ist in den Köpfen vieler Ausländer.» Dazu komme das zunehmend negative Image Chinas in schwierigen geopolitischen Zeiten. Kurz gesagt: Das Halten und Entsenden von Fach- und Führungskräften nach China sei ein schwieriges Geschäft geworden.

Wo alle weg wollen, will eben auch keiner mehr hin. «Unternehmen müssen tief in die Tasche greifen, um die gegenwärtigen Nachteile des Standorts China aufzuwiegen», sagt Hildebrandt. «Viele tun das auch.» Deutsche Unternehmen besetzen laut Hildebrandt schon seit langem Schlüsselpositionen in China mit einheimischen Mitarbeitern. «Diejenigen Unternehmen, die früh in die Aus- und Fortbildung lokaler Mitarbeiter investiert haben, sind kurzfristig weniger betroffen.»

Nonstop Corona-Kontrolle

Dass die Corona-App auf dem Handy jeden Schritt bestimmt, beeinträchtigt für viele entsandte Schweizer und andere Ausländer in China das Lebensgefühl. Wer an Eingängen keinen negativen PCR-Test innerhalb von 72-Stunden nachweisen kann, kommt vielfach nicht mal mehr in seine eigene Wohnung, geschweige denn in den Supermarkt oder ins Restaurant.

Jeder muss sich einscannen: Totale Kontrolle und Kontaktverfolgung. Gibt es irgendwo einen Corona-Fall, werden ganze Nachbarschaften dicht gemacht. Wird jemand als potenzielle Kontaktperson identifiziert, wird Quarantäne angeordnet.

In China gelten immer noch strengste Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Viele Ausländer, darunter zahlreiche Fachkräfte, ziehen die Konsequenzen und verlassen das Land.
In China gelten immer noch strengste Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Viele Ausländer, darunter zahlreiche Fachkräfte, ziehen die Konsequenzen und verlassen das Land.
Bild: Kin Cheung/AP/dpa

«Die Gefahr war mir einfach zu gross», schildert eine Hamburgerin, die vor Ablauf des Vertrages ihres Mannes allein mit der siebenjährigen Tochter vorzeitig nach Deutschland ausgereist ist. Wäre die Tochter positiv getestet worden, hätte sie in Krankenhaus-Quarantäne gehen müssen. Wurden früher selbst kleine Kinder von den Eltern getrennt, was traumatische Erfahrungen auslösen kann, hat die deutsche Botschaft inzwischen durchsetzen können, dass heute zumindest ein Elternteil mit darf.

Ausländersiedlungen leeren sich

Die Gefahr, in die Covid-Maschinerie zu geraten, ist so gross, dass die EU-Handelskammer in ihrem jüngsten Positionspapier schreibt: «Unternehmen fragen sich sogar, ob es verantwortlich für sie ist, ausländische Mitarbeiter in China zu stationieren, wenn zahlreiche Beschränkungen bedeuten, dass sie nicht in der Lage sind, grundlegende Sorgfaltspflichten für diese und ihre Familien zu garantieren.» Unternehmen beschränkten sich deswegen auf Mitarbeiter, die jung seien und keine Familie hätten – oder auf Ältere, deren Kinder erwachsen seien. Das schränke die Wahlmöglichkeiten stark ein.

Der Exodus ist spürbar. Im Pekinger Strassenbild gibt es immer weniger ausländische Gesichter. In der Kneipe «Great Leap», die unter «Expats» wegen Craftbier, Hamburger und Pizza beliebt ist, hocken an einem Samstagmittag gerade mal zwei Paare, wo früher nur schwer ein Platz zu bekommen war.

Auch in den Ausländersiedlungen vor den Toren der Hauptstadt wird es einsam. Friseuse Cindy, die im Clubhaus einer Wohnanlage seit langem ausländischen Kunden die Haare schneidet, klagt: «Ich habe vielleicht noch 20 Prozent des früheren Geschäfts.» Ihr Salon steht heute meist leer. «Alle wollen weg.»

Von Andreas Landwehr, dpa