Late Night USA Gurgeln mit Bleichmittel – «tot zu sein, das ist noch die beste Medizin»

Von Philipp Dahm

2.3.2020

Schützt nicht, macht aber was her: die Damenbinde vor dem Mund.
Schützt nicht, macht aber was her: die Damenbinde vor dem Mund.
Screenshot: YouTube

John Oliver nimmt in «Last Week Tonight» das Coronavirus unter die Lupe. Diagnose: In Iran kann man Infektionen live im TV verfolgen, in Vietnam rockt das Covid-19 – und in den USA gab's mal wieder ein Debakel.

In der vergangenen Woche hat das Centre for Desease Control (CDC) den Amerikanern eine Hiobsbotschaft überbringen müssen. Die Gesundheitsbehörde warnte, es sei nicht die Frage, ob das Coronavirus auch die Vereinigten Staaten erreiche, sondern nur, wann es das tue.

«Es ist nicht gerade beruhigend, das über etwas zu hören, was Tödliches verbreitet», meint John Oliver in seiner Show «Last Week Tonight». «Es ist nur dann beruhigend, wenn man darüber spricht, wann [die irische Schaupielerin] Saoirse Ronan einen Oscar gewinnt oder ob Henry Kissinger jemals sterben wird – keine Sorge, die Frage ist nicht wann, sondern ob!»

Und kaum hatte die CDC jenes verkündet, gab es in den USA auch schon die ersten Verdachtsfälle – und am Samstag dann das erste Todesopfer.

«Und in der Zwischenzeit hat die Börse ihren schlimmsten Kursabfall seit 2008 hinnehmen müssen. Nun wollen die Amerikaner wissen, wie sie gesund bleiben.»

Nicht wann, sondern ob: Saoirse Ronan, Henry Kissinger und John Oliver (von links) in «Last Week Tonight».
Nicht wann, sondern ob: Saoirse Ronan, Henry Kissinger und John Oliver (von links) in «Last Week Tonight».
Screenshot: YouTube

Kann ein Paket aus China jemanden anstecken? Soll man Masken kaufen oder nicht? Helfen Steroide oder das Gurgeln mit Bleichmittel? Kann das Virus bekommen, wer chinesisches Essen konsumiert?

Antwort John Oliver: «Nein, man kann es nicht durch chinesisches Essen bekommen. Tatsächlich findet man bei Panda Express noch nicht einmal chinesisches Essen, wenn man chinesisches Essen bestellt. Und Sie bekommen es auch nicht, wenn Sie regelmässig mit Bleiche gurgeln. Sie wissen ja, was man sagt: Tot zu sein, das ist noch die beste Medizin.»

80 Prozent nur mit milden Symptomen

Wieder ernsthaft: Die Symptome von Covid-19 sind Fieber, Husten, Kurzatmigkeit. Und nach den ersten Schätzungen liegt die Todesrate bei zwei Prozent, wobei Alte und Vorerkrankte das höchste Risiko haben. Zwei Prozent sind viel, wenn man davon ausgeht, dass diese Leute sterben. Zwei Prozent der Menschen verschwinden – das war die Prämisse der [US-Serie] ‹The Leftovers›».

John Oliver kommt in Fahrt: «Eine Todesrate von zwei Prozent wäre, wenn sie stimmt, 20 Mal höher als jene der saisonalen Grippe. Einerseits ist die gute Nachricht, dass 80 Prozent nur milde Symptome zeigen. Die schlechte Nachricht ist andererseits, dass mehr Leute das Virus verbreiten, ohne es zu merken. Und auch wenn die Sterblichkeitsrate sehr viel tiefer als bei Sars oder Mers ist, hat das Virus schon dreimal mehr Menschen getötet.»

Ein Experte gehe gar davon aus, dass innert einen Jahres 40 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung sich mit Covid-19 infiziert haben werden, wie der Moderator abschliessend sagt.

Jedem sein Dystopia

Und während Peking Ende vergangenen Jahres noch alles getan habe, um den Ausbruch unter den Teppich zu kehren, reagiert das Regime seit diesem Jahr mit ganzer Härte. Fast 50 Millionen Chinesen stünden unter Hausarrest. Ab Minute 4:34 bekommt der Zuschauer Bilder aus dem verwaisten Wuhan zu sehen: Lautsprecherboxen befehlen den Einwohnern, zuhause zu bleiben.

Wuhan, China: Dieser «Verstärker» gibt Befehle der KP weiter.
Wuhan, China: Dieser «Verstärker» gibt Befehle der KP weiter.
Screenshot: YouTube

«Heilige Scheisse, eine sprechende Box, die dir verbietet, das Haus zu verlassen, mutet distopisch an», findet der frischgebackene US-Bürger John Oliver und blendet ein Bild von Amazons «Alexa» ein. «Da ziehe ich doch unser Dystopia vor, in dem eine sprechende Box allen Gesprächen zuhört und [Konzern-Chef] Jeff Bezos sagt, wann ich wieder Unterwäsche kaufen werde. Es ist so eine bequeme Art, einfach alles aufzugeben.»

Sehr lustig ist, wie sich der eine oder andere Chinese im Hausarrest die Zeit vertreibt – zu sehen ab Minute 5:25: erst der Mann, der eine Damenbinde als Mundschutz trägt, dann die Menschen, die sich mit Kostümen schützen und schliesslich der Sportsfreund, der mit Stäbchen und Cherry-Tomaten Snooker spielt.

Kneipenspiel für zuhause.
Kneipenspiel für zuhause.
Screenshot: YouTube

Doch die Krankheit sei todernst, verdeutlicht der Moderator: Unter den mehr als 2'700 Opfern in China ist auch Whistleblower Dr. Li Wenliang, der im Dezember noch von der Polizei gegängelt wurde, weil er vor der Epidemie gewarnt hatte.

Coronavirus-Song aus Vietnam rockt

Seither hat sich das Virus in 60 Länder ausgebreitet – darunter auch in Vietnam, wo eigens ein Song komponiert worden ist, der zusammen mit einem Video erklärt, wie Handhygiene geht. Das bemerkenswert eingängige Stück und ein ihm folgendes Nachahmer-Video von der Social-Media-App TikTok sehen Sie ab Minute 6:31.

«Der Song ist unglaublich», rastet Oliver aus, «er lässt alle anderen Lieder über das Waschen wie Dreck aussehen.» Dann blendet er ein Bild einer «Sesamstrasse»-Puppe in der Badewanne ein.

«Ich rede mit dir, Ernie! Du bist selbstgefällig geworden. Während andere innovativ waren, singst du immer noch das alte Entchen-Lied. Du hast den Biss nicht mehr, Sohn!»

Weniger vorbildlich sei weiterhin die Abwicklung der «Diamond Princess» durch japanische Behörden: Von den rund 3'500 auf dem Kreuzfahrtschiff zusammengepferchten Menschen hätten sich 620 mit dem Coronavirus infiziert, sieben Tote seien bis anhin zu beklagen gewesen. Die Behörden seien verwundert, dass die Krankheit sich so rasch habe verbreiten können, heisst es in einem eingeblendeten TV-Bericht.

Infektion live im iranischen TV

John Oliver lässt das nach Luft schnappen. «Sie waren auf einem Kreuzfahrtschiff! Unter besten Umständen ist ein Kreuzfahrtschiff eine schwimmende Petrischale! Man hätte sie alternativ auch in den Plastikball-Pool bei Ikea stecken können!»

Und auf der nach Länder sortierten WHO-Liste der Epidemie bekommt die «Diamond Princess» dann auch noch ihren eigenen Eintrag, erklärt der Gastgeber. Schlimmer sei höchstens jene Karneval-Kreuzfahrt, bei der die Toiletten so voll waren, dass sie aus den Wänden brachen.

Im Iran hätten die Bürger dagegen live im TV verfolgen können, wie sich das Virus ausbreitet. Ab Minute 6:54 sieht der Zuschauer den dortigen stellvertretenden Gesundheitsminister, der mit seinem Vorgesetzten vorgibt, Covid-19 sei unter Kontrolle «und sich dabei so viel Schweiss aus dem Gesicht wischt wie ein Priester aus Alabama», wie John Oliver unkt. Beim Minister sei das Virus festgestellt worden – aber erst, nachdem sich der Beamte erneut im TV gezeigt hat, um hustend die Epidemie herunterzuspielen.

Und in den USA? Auf der einen Seite gibt es die CDC-Experten, die klarstellen, es sei bloss eine Frage der Zeit. Und es gibt die Trump-Administration. Bei Minute 10.26 erklärt einer der Top-Berater des US-Präsidenten, das Coronavirus sei eingedämmt.

«Ich will nicht sagen, dass es todsicher so ist, aber nah dran an todsicher.» Das sei jedoch ein nicht zu unterschätzender Unterschied, erregt sich Oliver. Es sei wie der Unterschied «zwischen einem funktionierendem U-Boot und einer kühlen Metall-Röhre, in der man sterben kann».

Präsident Pinocchio

Ähnlich widersprüchlich sind auch die Signale, die eine Pressekonferenz mit Donald Trump beim Bürger hinterlasse, so der Moderator. In dieser stellt der Präsident seinen Vize Mike Pence als neuen Kopf einer Coronavirus-Task-Force vor. Dumm nur, dass Alex Azar davon so gar nichts wusste: Der Staatssekretär im Gesundheitsministerium dachte bis dato, dass sei sein Job. Die Show zeigt das «Debakel» ab Minute 12:07 – und anschliessend auch, wie die Experten bekunden, sie würden mit mehr Fällen in den USA rechnen.

Auf derselben Veranstaltung diagnostiziert Trump, die Zahl der Erkrankungen werde auf Null zurückgehen und lobt: «Wir haben gute Arbeit geleistet.» Eine Ignoranz, die den Moderator aufregt, die aber auch nicht verwunderlich sei.

Der Mann habe schon bei Themen gelogen wie «seinem Vermögen, seinen Quoten bei ‹The Apprentice›, der Anzahl der Etagen im Trump-Tower, der Zahl seiner Wahlstimmen, der Zuschauerzahl bei seinen Wahlkampfveranstaltungen, [dem Wetter] bei seiner Amtseinführung – und sogar dabei, ob er jemals in diese langweilige und kaum geschaute Show eingeladen war». Nein, sei er nicht gewesen – auch wenn Trump etwas anderes tweete.

Der «Usain Bolt des Rassismus»

Ab Minute 14:54 sehen wir noch mal, wie Trump das Märchen erzählt, das Coronavirus werde im April durchs warme Wetter ausradiert. John Oliver warnt jedoch, dass das 1918 bei der Spanischen Grippe vielleicht der Fall gewesen sein mag, die Krankheit dann aber umso härter wieder zugeschlagen habe und allein im Oktober 200'000 Menschen getötet habe.

Virenversuchte Fledermaussuppe: Fake News bei «Fox».
Virenversuchte Fledermaussuppe: Fake News bei «Fox».
Screenshot: YouTube
Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Zuschlagen tut auch jener Interview-Partner des konservativen «Fox»-Senders – wenn auch nur verbal.

Ab Minute 16.13 werden wir Zeuge, wenn er mit dem Vaterland des Virus' hadert: «Gewisse Leute finden Fledermaussuppe vielleicht schmackhaft, aber Fledermäuse leider sind das weltgrösste Viren-Reservoir. Was machen wir mit China […], wo es okay ist, virenverseuchte Fledermäuse auf offenen Märkten zu verkaufen, um dann geschäftlich oder touristisch von dort in die zivilisierte Welt zu reisen?»

Erst vage nach China fragen und dann in Lichtgeschwindigkeit China die Zivilisation absprechen? John Oliver adelt den Kommentator zum «Usain Bolt des Rassismus», bevor er das Schlusswort ab Minute 17:15 dem TV-Prediger überlässt, der in seiner TV-Sendung Silber verkauft, das den Virus angeblich «deaktiviert».

Was wir aus der Sendung lernen, ist vorderhand vor allem jedoch das: Lachen ist – zumindest kurzfristig – noch die beste Medizin.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite