Internationales Netzwerk aufgedeckt Gisèle Pelicots Missbrauch ist bei weitem kein Einzelfall

Philipp Dahm

19.12.2024

Ein Telegram-User fragt in einer entsprechenden Gruppe, was der andere mit seiner Frau vorhat, wenn die Betäubung wirkt.
Ein Telegram-User fragt in einer entsprechenden Gruppe, was der andere mit seiner Frau vorhat, wenn die Betäubung wirkt.
Screenshot: YouTube/STRG_F

Ein internationales Netzwerk von Männern teilt Clips und Videos, die den Missbrauch von bewusstlosen Frauen zeigen. Eine deutsche Reportage enthüllt, wie dort Vergewaltigungen geplant und gefeiert werden.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Reportage «Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram» des NDR-Formats STRG_F macht Schlagzeilen.
  • Die Journalistinnen Isabell Beer und Isabel Ströh enthüllen darin ein internationales Netzwerk von Männern, die den Missbrauch bewusstloser Frauen planen, durchführen und filmen.
  • Nicht nur Bilder und Videos werden geteilt, sondern auch Informationen über Betäubungsmittel und ihre Dosierung. 
  • Die Recherchen führen konkret zu einem Amerikaner, einem Kanadier und einem Deutschen. Darum leiten nur bei Letzterem die Behörden auch Ermittlungen ein.
  • Die Betäubungsmittel können potenziell auch tödlich sein.
  • Auslöser der Recherchen war der Pelicot-Prozess in Avignon, in dem am 19. Dezember die Urteile ergehen.

Achtung: Dieser Text enthält verstörende Inhalte zu sexueller Gewalt und dem Missbrauch von Drogen.

«Es ist keine Vergewaltigung, wenn sie nicht weiss, dass es passiert ist»: Es sind nicht nur solche Aussagen, die an der Telegram-Gruppe verstören. Es gibt auch Bilder und Videos von sexuellem Missbrauch bewusstloser Frauen, die Männer dort teilen. Die Chatgruppen erinnern in erschütternder Weise an den Fall von Gisèle Pelicot, die von ihrem Ehemann während Jahren betäubt und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten wurde.

Zwei deutsche Journalistinnen haben das illegale Treiben nun öffentlich gemacht: «Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram» heisst ihre gut 40-minütige Reportage zum Thema.

Die Gruppe habe «Hunderte Nutzer», erklärt Journalistin Isabell Beer. Diese teilen nicht nur entsprechende Inhalte, sondern geben sich auch Tipps für den Einsatz der richtigen Betäubungsmittel. «Sie tauschen sich darüber aus, wie man Frauen am besten bewusstlos [macht] und sich am besten an ihnen vergeht.» Danach «laden sie hoch, was sie mit Frauen machen».

«Wir wissen es besser, was?»

Die Clips und Videos werden in der englischsprachigen Gruppe diskutiert und mitunter gefeiert. Etwa wenn ein Mann mit einer bewusstlosen Frau etwas macht, was sie niemals mit sich machen lassen würde, wenn sie bei Bewusstsein wäre. Der nächste Kommentar lautet: «Die Ehefrau schwört, dass sie noch nie etwas in ihrem A**** hatte. Wir wissen es besser, was?» Grinse-Emoji, Herz-Emoji.

Ein User, der in der Reportage «Liam» genannt wird, zeigt Bilder seiner nackten Freundin und Sex-Videos von ihr, die offenbar heimlich gefilmt sind. «Ich liebe es, zu wissen, dass Fremde daran denken, ihren Körper auf diese Art zu benutzen, ohne dass sie davon weiss», schreibt «Liam». Und er fantasiere darüber, sie unter Drogen zu setzen und sie von anderen vergewaltigen zu lassen. Es sind «sehr konkrete Planungen», sagt «Beer».

Die Journalistinnen werden in weitere entsprechende Gruppen eingeladen, von der die grösste 73'000 Mitglieder haben soll: «Die User kommen offenbar aus der ganzen Welt. In den Gruppen geht es um das Betäuben und Vergewaltigen von Frauen – die meisten [kommen] wohl aus dem direkten Umfgeld der Nutzer», heisst es in der Reportage des NDR-Formats STRG_F.

Kanadisches Opfer lässt Ausmass nur erahnen

Die Journalistinnen informieren die Behörden. In Deutschland, in den USA und in Kanada, denn dort finden sie die Frau von User «Liam». Eine Polizistin gibt ihnen Feedback: Sie habe die Frau kontaktiert. Sie wisse von der Sache und wolle keine Anzeige erstatten. Für die Polizei sei die Sache damit erledigt.

Isabell Beer nimmt selbst Kontakt mit der Kanadierin auf. Diese bedankt sich. Sie sei derzeit in Therapie und wolle vorerst nichts sagen. Später wird die Frau den Deutschen nur noch mitteilen, dass «Liam» gar nicht ihr Freund gewesen sei. Und dass sie die Sache nun hinter sich lassen wolle.

Die Behörden in den USA und Deutschland unternehmen nichts: Nach drei Monaten recherchieren Isabell Beer und Isabel Ströh weiter. Sie sehen Streams, in denen die Täter live Anweisungen entgegennehmen, während sie sich an einer Bewusstlosen vergehen. Oder wie US-User «Dylan» ein Video teilt, das zeigt, wie er im Bus auf die Frau in der Reihe vor ihm ejakuliert.

Deutscher bietet Ehefrau zur Vergewaltigung an

Die Frauen schreiben «Dylan» an, der seine kriminellen Inhalte auch verkauft. Sie finden seine Adresse in New York heraus und finden im Internet sogar einen Mugshot – ein Polizeifoto. Der Mann war angezeigt worden, weil er einer Frau unter den Rock gefilmt hatte. Die New Yorker Polizei antwortet erst auf das vierte Mail aus Deutschland – und wird nicht tätig.

Denn der Besitz von Videos, die die Vergewaltigung eines Erwachsenen zeigen, ist nicht strafbar. Auch in Deutschland nicht. Dennoch schalten die Journalistinnen erneut die Polizei ein: Es geht um einen «Dennis» genannten User, der seine Frau zur Vergewaltigung anbietet. Die Betäubungsmittel seien schon bestellt. Wie der Fall ausgeht, wird wohl wegen laufender Ermittlungen im Film nicht mehr gezeigt.

Apropos Drogen: In den Gruppen werden Links zu Onlineshops geteilt, bei denen man sich Hilfsmittel bestellen kann. Diese kommen als Haar-Mittel oder andere Kosmetika daher. Die Journalistinnen bestellen Ware, die aus Asien nach Hamburg geschickt wird. Eine chemische Untersuchung fördert betäubende Inhaltsstoffe wie GBL zutage, die bei einer Überdosierung auch tödlich sein können, wie ein Experte erklärt.