Häftlinge von Nazi-Konzentrationslagern konnten oft nur mit Postkarten und Briefen Kontakt zur Aussenwelt halten. Ein Historiker veröffentlicht nun viele solcher Dokumente – sie geben Einblick in einen grausamen Alltag.
Richard Dolling sendet seiner Frau Clara 1936 «die herzlichsten Geburtstagsgrüsse». Sein Brief trägt einen Postzensurstempel – Dolling sitzt im Berliner Konzentrationslager Columbia. Viele Häftlinge dieser Orte des Grauens können in der Zeit des Nationalsozialismus’ noch ihren Lieben schreiben und Post empfangen. Die Vorschriften und die Zensur sind allerdings streng.
Die Wissenschaft hat diese oft einzigen Kontakte von KZ-Häftlingen zur Aussenwelt erstaunlich wenig untersucht. Der deutsche Historiker Heinz Wewer, der als einer der besten Kenner des Themas gilt, präsentiert nun ein neues Buch, es heisst: «Spuren des Terrors. Postalische Zeugnisse zum System der deutschen Konzentrationslager».
Vier Postkarten pro Monat
Darin zitiert er zum Beispiel Walter Poller, einst Gefangener im KZ Buchenwald, der danach über die Hoffnung, die Liebsten irgendwann wiederzusehen, geschrieben hat: «Und darum war jede Zeile von daheim, die Ausdruck dieser Bindung war, für uns Todumwehte und Todgeweihte ein seelisches Erlebnis von solcher Köstlichkeit und Eindringlichkeit, von solcher inneren Stärkung, dass die begnadetsten Worte ihre tiefen Werte nicht darzustellen vermögen.»
Auch Juden in Konzentrationslagern dürfen laut dem Berliner Historiker Wewer etwa bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zweimal im Monat je zwei Postkarten schreiben und erhalten. Später seien sie grundsätzlich vom Postverkehr ausgeschlossen worden.
Nur für wenige KZ-Gefangenen mit wichtigen Aufgaben habe es Ausnahmen gegeben, etwa für die Fälscher ausländischer Geldscheine im KZ Sachsenhausen nahe Berlin, die jüdischen Bürofrauen in der Kommandantur des KZ Auschwitz-Birkenau und vermutlich für KZ-Häftlinge als «Mischlinge» oder Partner in einer «Mischehe».
Stockschläge für Verstösse
Postkarten, Briefe, Briefumschläge, Paketkarten, Telegramme – Wewer hat nach eigenen Angaben Dokumente aus gut drei Dutzend Sammlungen und Archiven in neun Ländern unter die Lupe genommen. Sie machen das faktenreiche und gut lesbare Werk anschaulich: Abgebildet und kommentiert sind mehr als 280 Dokumente. Gut 90 Prozent davon werden laut dem 1935 geborenen Wewer erstmals veröffentlicht.
KZ-Häftlinge dürfen seinerzeit nur einem einzigen Angehörigen auf offiziellen Vordrucken schreiben. Lediglich Deutsch ist erlaubt. Menschen aus überfallenen Ländern mit anderer Muttersprache lassen sich von Mitgefangenen helfen – häufig gegen Brot. Verstösse gegen die Zensur führen zur Beschlagnahme der Postsendung, der Häftling wird beispielsweise mit Stockschlägen bestraft. Im KZ Buchenwald sind zum Beispiel Angaben über den Aufenthaltsort, das Lagerleben, Fliegerangriffe, Krankheiten und Politik verboten.
Zynisches Kalkül
Mitunter warten Häftlinge wegen Briefsperren vergeblich auf Post. Der einstige KZ-Gefangene Eugen Kogon berichtet laut Wewer, oft hätten sie nur zerschnittene Schnipsel oder leere Umschläge erhalten. Häftling Kogon ergänzt: «Der Buchenwalder Blockführer Kubitz kam zuweilen mit der gesamten Post für den Block 36 an, zeigte den Stoss her, verlas die einzelnen Namen und steckte das ganze Paket mit den Worten «So, ihr Schweine, nun wisst ihr, dass ihr Post bekommen habt!» in den Ofen.»
In manchen Lagern zwingen die Nazis Juden, die ermordet werden sollen, Angehörigen und Freunden zu schreiben, dass es ihnen gut gehe. Dies soll Wewer zufolge «Einzelpersonen und Judenräte beruhigen und helfen, noch nicht verhaftete Juden ausfindig zu machen».
Plätzliche Lockerung
Im Krieg wird eine Vorschrift scheinbar erstaunlich gelockert: «Lebensmittelpakete dürfen zu jeder Zeit und in jeder Menge empfangen werden.» Zynisches Ziel ist es laut Wewer, Häftlinge, «die jetzt für die Kriegsindustrie benötigt wurden, auf Kosten ihrer Freunde und Verwandten sowie internationaler Hilfsorganisationen ein wenig länger für die Zwangsarbeit bei Kräften zu halten».
Das Buch «Spuren des Terrors» ermöglicht einen neuen Blick in den KZ-Alltag. Wewers letzter Satz lautet: «Da mit wachsendem Zeitabstand und dem Schwinden der Generation der Zeitzeugen die Erinnerung an die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus zu verblassen droht, da sich zugleich in Deutschland wie auch in anderen Teilen der Welt die Angriffe auf Humanität und Demokratie häufen, ist es an der Zeit, daran zu erinnern, wohin solche Angriffe in letzter Konsequenz führen können.»
Heinz Wewer: Spuren des Terrors. Postalische Zeugnisse zum System der deutschen Konzentrationslager, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig, 320 Seiten, 370 Abbildungen, ISBN 978-3-95565-350-7
Sie hoffte bis zum Schluss: Vor 75 Jahren wurde Anne Frank deportiert
Vor 75 Jahren wurde Anne Frank mit ihrer Familie entdeckt und schliesslich deportiert.
Bild: Keystone
Die damals 13-jährige Anne Frank hatte jahrelang aus dem Versteck heraus Tagebuch geschrieben.
Bild: Keystone
Annes Vater Otto (links im Bild) überlebte als Einziger der Untergetauchten.
Bild: Keystone
Anne wollte aus ihrem Tagebuch einen Roman machen.
Bild: Keystone
Anne Frank lebte mit sieben weiteren Menschen zwei Jahre lang unentdeckt im Hinterhaus.
Bild: Keystone
Bis zum Schluss hoffte Anne Frank darauf, nicht entdeckt zu werden.
Bild: Keystone
Im August 1944 wurde die Familie verraten und deportiert. Anne starb im Alter von 15 Jahren 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Nur Vater Otto Frank überlebte.
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