Von der Spielkonsole an die FrontGamer sind als Drohnen-Piloten Kiews tödlichste Kampftruppe
Von Stefan Michel
5.11.2024
Drohnenpiloten sind extrem effektiv darin, russische Soldaten aufzuspüren und zu töten. Die Mitglieder der Drohnen-Verbände kämpfen mit Start-up- und Gamer-Attitüde gegen die russischen Invasoren.
Stefan Michel
05.11.2024, 04:31
Stefan Michel
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Drohnen-Einheiten gehören zu den effektivsten Teilen der ukrainischen Armee im Kampf gegen die russischen Invasoren.
Waren es am Anfang Private, die russische Truppen-Bewegungen mit ihren Drohnen beobachteten und ihrer Armee meldeten, sind daraus inzwischen vollwertige Armee-Einheiten geworden.
Dabei töten einzelne Drohnen-Piloten deutlich mehr feindliche Kämpfer als die effektivsten US-Scharfschützen im Irak.
Die Drohnen-Truppen bremsen den russischen Vormarsch, indem sie es Infanterie-Verbänden und auch mechanisierten Truppen schwermachen, in das Niemandsland zwischen den Frontlinien vorzudringen, ohne getötet zu werden.
Er habe oft von seiner Mutter gehört, er solle nicht so viel Zeit mit seinen Computerspielen verbringen, erzählt Dachno. Jetzt kämpft er am Bildschirm gegen russische Soldaten. Vor kurzem hat er eine Drohne mit einer 4,5-Kilogramm schweren Bombe in ein Schulgebäude geflogen, in dem russische Soldaten Schutz gesucht haben. «Die Schule gibts nicht mehr. Mein Kindheitstraum ist wahr geworden worden», quittiert er die Aktion im «Wallstreet Journal».
Makabere Sprüche gehören offenbar dazu, wenn die ukrainischen Drohnen-Piloten Jagd auf russische Kämpfer machen und diese eliminieren. Das «Wallstreet Journal» gibt mehrere davon wieder, als es über verschiedene Drohnen-Einheiten der ukrainischen Streitkräfte berichtet.
Dies könnte ihr Umgang damit sein, was sie bei ihren Kriegseinsätzen am Bildschirm erleben. Denn obwohl sich die Piloten in sicherer Distanz zur Front befinden, sehen sie die Folgen des Nahkampfs näher als die meisten anderen. Von Explosionen zerrissene Körper, Menschen, die verbluten, werden von den Erkennungsdrohnen eingefangen. Diese begleiten das Fluggerät, das die Bombe trägt und in den meisten Fällen mit dieser explodiert.
Von privater Aufklärung zu offiziellen Fronteinsätzen
Zu Beginn der russischen Invasion und dem Marsch auf Kiew im Februar 2022 haben Ukrainer*innen in privater Initiative mit Drohnen Aufklärung für die ukrainische Armee betrieben. Heorhie Wolkow gehört einem Drohnen-Battalion an, das seit jener Zeit aktiv ist. Unbezahlt und zivil hätten sie in den ersten Kriegswochen die Bewegungen russischer Truppen verfolgt.
Dann hätten sie begonnen, Plastik-Halterungen für kleine Bomben im 3D-Drucker zu produzieren, erzählt der 37-Jährige, der im zivilen Leben Inhaber einer Marketing-Agentur ist. 2023 ist er offiziell Teil der Streitkräfte geworden, in einem Drohnen-Battalion namens Jasni Odschi – klare Augen.
Before Russia’s full-scale invasion of Ukraine, 37-year-old Heorhiy Volkov was a business and marketing professional and owner of a digital agency. Just days after it began, he contacted a former colleague who had used a drone to film a commercial for him, urging him to bring it… pic.twitter.com/pyGbQpayjQ
Inzwischen kommen die kleinen Explosions-Fluggeräte direkt aus ukrainischen Fabriken, mehrere zehntausend pro Monat laut dem «Wallstreet Journal». Besonderes die kleinen und wendigen FPV-Drohnen (First-Person-View) kommen zum Einsatz. In Ländern ohne Krieg wird dieser Typ beispielsweise bei Drohnen-Rennen eingesetzt.
17 bis 25 Zentimeter gross, können sie mit bis zu 4,5 Kilogramm schweren Bomben tragen und bis zu 18 Kilometer weit fliegen. 500 Dollar kostet die Ukraine ein Stück. Ohne Bombe.
Start-up Groove im Fronteinsatz
Ein Mitglied eines Drohnen-Verbands war vor dem Krieg Restaurant-Manager, ein anderer Musikproduzent, ein weiterer betrieb einen Co-Working Space. Diese zivilen Hintergründe sind ein Hinweis auf die westlich orientierte, urbane Ukraine, an deren Zerstörung Putins Truppen seit zweieinhalb Jahren arbeiten.
Moskau schicke inzwischen mehr Drohnen los als die Ukraine, habe aber weniger geübte Piloten zur Verfügung als Kiew, schreibt das «Wallstreet Journal».
Die Räume, in denen die Drohnenpiloten sitzen und ihr tödliches Handwerk verrichten, gleichen laut Beschreibung eher unordentlichen Startups als Kommandozentralen der Armee. Die Männer an den Steuergeräten würden sich auch wenig um militärische Gepflogenheiten kümmern. Die Mehrheit der Drohnenkämpfer trete ohne jegliche militärische Erfahrung in die Truppe ein.
Drohnen bremsen russischen Vormarsch
Dies steht im scharfen Kontrast zu ihrem Beitrag im Verteidigungskampf gegen die russische Armee. Pilot Dachno hat bislang über 300 russische Soldaten getötet. Das seien mehr als doppelt so viele, wie der erfolgreichste US-amerikanische Scharfschütze im Irak eliminiert habe, schreibt das «Wallstreet Journal».
Die ukrainischen Drohnen seien dafür besorgt, dass es zwischen den Frontlinien kaum sichere Orte für vorrückende Soldaten gebe. So würden die Drohen-Verbände auch den russischen Vormarsch bremsen. Die enormen russischen Verluste gehen angeblich wesentlich auf die unbemannten Fluggeräte zurück.
Russland komme mit Panzerkolonnen nicht mehr so gut voran und schicke deshalb öfter kleine Infanterie-Verbände in das Niemandsland zwischen den Frontlinien. Dies bedeute für die Drohnen-Piloten, dass sie mehr individuelle Ziele ins Visier nehmen. Er habe jetzt pro Tag 40 Drohnen dabei statt 20 wie bisher, erklärt Drohnen-Pilot Farmer. Bestückt seien seine Kriegsgeräte mit Schrapnell, um Infanteriesoldaten zu töten, statt mit hoch explosivem Sprengstoff, um gepanzerte Fahrzeuge zu zerstören.
Gnadenlos – fast immer
Haben Soldaten die Drohne bemerkt, die sie verfolgt, versuchen sie zuerst zu fliehen, dann versuchen sie die Drohne abzuschiessen oder etwas gegen sie zu werfen. Schliesslich geben sie auf, manche bitten um Gnade. In seltenen Fällen gelinge es dem Drohnenpiloten, einen russischen Kämpfer zur Kaptiulation zu bewegen.
Dachno betont, dass er auch um Schonung bettelnde Russen töte. «Auch wenn sie beten, betteln oder schwören, dass sie es nicht wieder tun werden. Ich bin sicher, die Mütter ukrainischer Kinder haben auch geweint.»