Friedensnobelpreisträger Abiy führt KriegDie Welt blickt mit Sorge auf Äthiopien
AP/toko
18.11.2020 - 21:30
Es ist noch nicht lange her, da wurde Äthiopiens Regierungschef Abiy als Friedensstifter, Reformer und Einiger gefeiert – daheim und in der Welt. Aber das Bild scheint sich zu ändern.
Abiy Ahmed war wie ein frischer Wirbelwind, als er 2018 seine Amtszeit als äthiopischer Ministerpräsident begann. Er hielt die lange Jahre hinweg weitgehend autoritär regierte Bevölkerung mit einer Welle politischer Reformen in Atem und verkündete einen Friedensschluss mit dem langjährigen Feind Eritrea. Der junge Regierungschef wurde gefeiert, als er in seinen fieberhaft-aktiven ersten Tagen durch Äthiopien reiste, und auch die internationale Gemeinschaft war beeindruckt. Sie überhäufte Abiy mit Lob, und nur anderthalb Jahre nach der Machtübernahme wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Aber nun – ein Jahr später – droht der Lack abzublättern. Der lange von vielen als Einiger betrachtete Abiy führt in der aufsässigen Provinz Tigray einen Krieg, mehr als 25'000 Menschen sind bereits in den benachbarten Sudan geflohen. Und sie berichten von Grausamkeiten der äthiopischen Armee daheim.
Der Konflikt hatte bereits seit Monaten geschwelt und begann sich im Sommer zu verschärfen. Da hatte die Regierung die anstehende Parlamentswahl mit der Corona-Pandemie als Begründung um ein Jahr verschoben. Das löste den Protest der in Tigray regierenden Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) aus, deren Führungspersonen jahrzehntelang die zentrale Regierungskoalition dominiert haben.
Sie sprach Abiy seine Legitimität als Regierungschef ab, weil seine Amtszeit abgelaufen sei, und pochte auf das Recht der Provinz zur «Selbstregierung». Als dann unlängst eine Armeebasis in Tigray angegriffen wurde, machte Abiy TPLF-Kämpfer verantwortlich und leitete eine Militäroffensive gegen Tigray ein.
Nobelkomitee äussert «tiefe Besorgnis»
Internationale Aufrufe zu einem Dialog weist er zurück. Am Dienstag kündigte er eine «letzte und entscheidende» Militäroffensive an – in der Hoffnung, damit das Land mit seinen 110 Millionen Einwohnern und vielen ethnischen Gruppen zusammenzuhalten, von denen manche vielleicht dem Beispiel der aufsässigen Tigray-Führer folgen könnten. «Wenn Tigray nicht irgendwie gelöst wird, glaube ich nicht, dass die Lage im Land gelöst wird», sagte der in Belgien lebende Mekonnen Gebreslasie Gebrehiwot, Leiter einer Vereinigung ethnischer Tigrayer, der Nachrichtenagentur AP.
Das Nobelkomitee äusserte in einer Erklärung «tiefe Besorgnis» über die Lage in Äthiopien und rief alle beteiligten Parteien auf, «die eskalierende Gewalt zu beenden». Ähnliche Appelle kamen von den USA, der Afrikanische Union, Papst Franziskus und den Vereinten Nationen. Aber es zeichnet sich kein klarer Weg zurück zum Frieden ab. «Dieser Konflikt zerschlägt unsere Hoffnungen für die Region», schrieben prominente Bürger am Horn vom Afrika in einem Brief, der in der vergangenen Woche zirkulierte.
Beobachter kaum überrascht von Wandel
Weite Teile der Welt waren von Abiys Wandel vom Friedensstifter zum Kriegsführer anscheinend überrascht, aber für Beobachter kam er nicht so plötzlich. So hatten Menschenrechtsgruppen schon seit Monaten gewarnt, dass Abiys Regierung damit anfange, sich die repressiven Methoden der Vergangenheit zu eigen zu machen, so das Einsperren von Kritikern und das Blockieren des Internets.
«Zweifellos werden einige Leute denken, dass der diesjährige Preis zu früh zuerkannt wird», sagte auch das Nobelkomitee seinerzeit unter Erwähnung «besorgniserregender Beispiele» ethnischer Gewalt. Aber es sei «jetzt, dass Abiy Ahmeds Bemühungen Anerkennung verdienen und Ermutigung benötigen».
Das Gremium bezog sich dabei neben dem Frieden mit Eritrea auf eine ganze Reihe verheissungsvoller Schritte. Abiys Regierung hiess aus dem Exil heimkehrende Oppositionsführer willkommen und entliess andere aus dem Gefängnis, er überraschte die Äthiopier, indem er sich für frühere Menschenrechtsverletzungen der Regierung entschuldigte und schien auch aus seiner eigenen Vergangenheit gelernt zu haben. In seiner Nobelpreis-Rede blickte der einstige Soldat auf seine Kampferfahrungen an der eritreischen Grenze vor zwei Jahrzehnten zurück: «Krieg ist der Inbegriff von Hölle für alle, die darin involviert sind», sagte Abiy.
Opfer der Armut
Aber einige hatten schon damals den Eindruck, dass auch eine Warnung mitschwang, als er zur Einigkeit in Äthiopien aufrief. Direkt an seine Landsleute gerichtet, sagte Abiy auf der Nobelpreisbühne: «Die Evangelisten des Hasses und der Spaltung richten in unserer Gesellschaft Unheil an, unter Nutzung sozialer Medien.»
Äthiopien und Eritrea hätten Frieden geschlossen, weil sie Beide «Opfer eines gemeinsamen Feindes», der Armut, gewesen seien, fuhr der Ministerpräsident seinerzeit fort. Aber Tigrays regionale Führer sagen heute, dass Äthiopien und Eritrea einen neuen gemeinsamen Feind gefunden hätten – in ihnen. Eritreas Regierung ist eine langjährige Rivalin der TPLF.
Verängstigte Flüchtlinge im Sudan berichten, was sie daheim erlebt haben. «Diese Leute kommen mit Messern und Stöcken, wollen Bürger angreifen. Und hinter ihnen ist die äthiopische Armee mit Panzern», sagt einer von ihnen, Thimon Abrah. «Und wir sind hier, warten auf irgendeine Lösung.»
Am Montag hatte Abiy erklärt, dass seine Regierung die Flüchtlinge wieder aufnehmen, schützen und wiedereingliedern werde. Aber die Fliehenden betrachten jegliche Versprechen der Regierung mit Misstrauen. Diese weist Vorwürfe zurück, dass sie auch Zivilisten ins Visier genommen habe. Der Konflikt sei auf Kämpfer begrenzt, hat Abiy wiederholt geschworen. Aber er sagt, dass die Kämpfe nur dann enden würden, wenn die TPLF-Führer in der Region festgenommen und ihre Waffenarsenale vernichtet seien.
Abiy sei mit der Bedrohung seiner Nation konfrontiert und müsse diese verteidigen, erklärte Redwan Hussein, der die Einhaltung des jetzt über Tigray verhängten Ausnahmezustands überwacht, kürzlich das Vorgehen des Regierungschefs. So würde Abiy sogar eher noch einen zweiten Friedensnobelpreis verdienen, «weil er weiter dieses Land rettet».