Franzosen vor RichtungswahlMacron und Le Pen kämpfen um den Einzug ins Élysée
dpa/AFP/tchs
11.4.2022 - 05:40
Vor der Stichwahl: Macron und Le Pen werben um Wähler
Nach seinem Sieg in der ersten Runde der Präsidentenwahl dämpft Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Erwartungen – schliesslich könnte es in der Stichtwahl in zwei Wochen gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen diesmal ziemlich knapp werden.
11.04.2022
Mehr Europa oder mehr Nationalismus? Nach dem Einzug von Emmanuel Macron und Marine Le Pen in die Stichwahl für das Präsidentenamt werden Frankreichs Wähler Europas Zukunft entscheidend beeinflussen. Es könnte zu einem engen Rennen kommen.
11.04.2022, 05:40
11.04.2022, 09:50
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Frankreich steht nach dem Erfolg des Liberalen Emmanuel Macron und der Rechten Marine Le Pen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor einer Richtungsentscheidung. Der 44 Jahre alte Amtsinhaber Macron und seine 53-jährige Herausforderin Le Pen qualifizierten sich am Sonntag für die Stichwahl am 24. April. Deren Ausgang könnte über Frankreich hinaus Einfluss auf die Europäische Union, das deutsch-französische Verhältnis und möglicherweise auch auf die Unterstützung der Ukraine gegen die Invasion Russlands haben.
Bis zum frühen Montagmorgen waren nach Angaben des Innenministeriums 97 Prozent der Stimmen ausgezählt. Macron lag demnach mit 27,60 Prozent in Führung. Le Pen kam auf 23,41 Prozent. Seit Monaten hatten Umfragen eine Wiederauflage des Duells von 2017 zwischen dem Europafreund und der Europaskeptikerin vorausgesagt. Auf Platz drei landete mit 21,95 Prozent der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. Historisch schlecht schnitten die beiden einstigen Volksparteien der Sozialisten und Konservativen ab.
Amtsinhaber Macron profitierte Kommentatoren zufolge von der Schwäche der meisten anderen Kandidatinnen und Kandidaten. Im Ukraine-Krieg profilierte sich der 44-Jährige auf internationaler Bühne als Krisenmanager. Der Wunsch vieler Franzosen nach Stabilität in schwierigen Zeiten kam ihm dabei vermutlich zusätzlich zugute. Zudem kann er aus seiner ersten Amtszeit solide Erfolge am Arbeitsmarkt vorweisen. Die französische Wirtschaft startete nach der Corona-Krise durch. Negativ ausgewirkt haben dürfte sich Macrons später Einstieg in den Wahlkampf sowie sein Ruf als arroganter Einzelgänger.
Le Pen wiederum setzte auf Volksnähe und absolvierte anders als Macron zahlreiche Wahlkampfauftritte und Marktbesuche. Die 53-Jährige rückte Kaufkraft und Lebenshaltungskosten ins Zentrum ihres Wahlkampfes. Sie präsentierte sich als Fürsprecherin jener Franzosen, denen steigende Preise besonders zusetzen. In die Karten spielte ihr wohl auch die Kandidatur des extrem rechten Publizisten Éric Zemmour, der sie mit seiner radikalen Rhetorik bisweilen gemässigt erscheinen liess – und das, obwohl Experten auch Le Pen radikal rechte Forderungen attestieren. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine macht Le Pen ihre früher offene Bewunderung für Kremlchef Wladimir Putin zu schaffen.
Die anstehende Weichenstellung im zweiten Wahlgang dürfte international mit Spannung und auch Sorge beobachtet werden. Sollte Le Pen gewinnen, wäre das für die EU nach dem Brexit und dem Wahlerfolg Donald Trumps 2016 in den USA ein weiterer Schock. Während Macron überzeugter Pro-Europäer ist und für eine Vertiefung der Union eintritt, steht Le Pen für eine nationalistische Politik des «Frankreich first». Sie könnte ihr Land zum Bremser wichtiger Reformvorhaben der EU machen. Zwar hat Le Pen Extrempositionen wie den Austritt Frankreichs aus dem Euro aufgegeben. Aber Konfrontationen mit Brüssel wären mit ihr als Präsidentin programmiert. Schliesslich stellt Le Pen die Autorität europäischer Gerichte infrage, und sie will eine Besserstellung von Franzosen gegenüber Ausländern durchsetzen.
Bei einem Sieg Le Pens könnten zudem die geschlossene Front Europas gegen Russland und die Unterstützung der Ukraine in Gefahr geraten. Ein solches Szenario löste auch in den USA Sorgen aus. Die Politikerin kündigte bereits an, nach einem Ende des Kriegs könne Russland in absehbarer Zeit wieder ein Partner Europas werden.
Wie stehen die Chancen für Macron und für Le Pen?
Für Deutschland wiederum geht es um die Zugkraft des in der EU einflussreichen Tandems Paris und Berlin. In der aktuellen Besetzung mit Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) arbeiten die beiden Länder eng zusammen. Unter Le Pen als Präsidentin dürfte Deutschland den Rang als Partner der Wahl verlieren – Frankreich würde sich wohl eher dem Lager der Euroskeptiker wie Ungarn und Polen zuwenden.
Beim Duell Macron-Le Pen von 2017 schlug der Liberale die Rechte noch sehr deutlich mit rund zwei Dritteln der Stimmen. Umfragen sagen diesmal ein deutlich knapperes Ergebnis voraus. Zudem gilt: In Frankreich gewann in der Vergangenheit immer wieder mal auch ein Kandidat im zweiten Durchgang, der in der ersten Runde noch auf Platz zwei lag.
Für Macron und Le Pen geht es in den kommenden beiden Wochen darum, Wähler ausserhalb ihres Lagers zu mobilisieren. Für den Amtsinhaber könnte das deutlich schwieriger werden als noch 2017 – auch wenn ihm zahlreiche gescheiterte Kandidaten am Sonntagabend ihre Unterstützung aussprachen. Vielen Franzosen gilt Macron nach fünf Jahren an der Macht als abgehoben. Manchem eher links eingestellten Wähler dürfte es schwerfallen, für ihn zu stimmen – etwa weil Macron den Kündigungsschutz gelockert und die Vermögenssteuer abgeschafft hat. Am Sonntagabend warnte der Amtsinhaber vor zu viel Siegesgewissheit: «Vertun wir uns nicht, nichts ist entschieden!»
Le Pen in Teilen des bürgerlich rechten Lagers wählbar
Le Pen wiederum, die seit Jahren um ein gemässigtes Image kämpft, gilt mittlerweile in Teilen des bürgerlichen rechten Lagers als wählbar. Sie könnte in der zweiten Runde Anhänger der ausgeschiedenen Konservativen Valérie Pécresse für sich gewinnen. Der extrem rechte Publizist Zemmour rief seine Anhänger auf, für Le Pen zu stimmen.
Für die einstigen Volksparteien der Republikaner und Sozialisten ist die Wahl eine Niederlage historischen Ausmasses. Bereits im Wahlkampf spielten sie kaum eine Rolle. Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon erreichte laut den Sendern gut 20 Prozent und damit den dritten Platz. Der Rechtsextreme Zemmour zog mit circa 7 Prozent an der Konservativen Valérie Pécresse mit etwa 5 Prozent vorbei. Die sozialistische Kandidatin Anne Hidalgo lag abgeschlagen bei rund 2 Prozent. Der Grüne Yannick Jadot kam auf etwa 4,5 Prozent.
Sozialistin ruft zur Unterstützung Macrons auf
Hidalgo rief nach ihrer deutlichen Niederlage dazu auf, in der Stichwahl für den Präsidenten Emmanuel Macron zu stimmen. «Weil es mein lebenslanges Engagement für die Republik ist und damit Frankreich nicht in den Hass aller gegen alle kippt, rufe ich Sie eindringlich dazu auf, am 24. April gegen die Rechtsextreme Marine Le Pen zu stimmen, indem Sie den Wahlzettel für Emmanuel Macron verwenden», schrieb die 62-Jährige am Sonntagabend an ihre Unterstützer.
Hidalgo betonte, dass dies eine Entscheidung der Verantwortung sei, die ihre linke Überzeugungen nicht beeinflusse. «Ich weiss, wie sehr Ihr heute Abend enttäuscht seid», hiess es in dem Schreibern weiter. Man werde gemeinsam objektiv Bilanz ziehen. «Aber Sie wissen, dass wir, dass ich, nie aufgeben werden.» Hidalgo versprach, sich weiterhin für Frankreich zu engagieren.
Auch konservative Kandidatin sagt Unterstützung zu
Auch die krachend gescheiterte konservative Kandidatin Pécresse rief dringend zur Wahl von Macron auf. Sollte Le Pen, an die Macht kommen, drohten «desaströse Folgen für das Land und für folgende Generationen», sagte Pécresse am Sonntagabend in Paris. Frankreich würde dann von der europäischen und internationalen Bühne weggewischt, sagte die 54-jährige Kandidatin der Républicains.
«Das Ergebnis ist eine persönliche und kollektive Enttäuschung. Ich übernehme die persönliche Verantwortung für diese Niederlage», sagte Pécresse. Sie habe an zwei Fronten kämpfen müssen, einerseits im Wählerlager von Präsident Macron und andererseits am extrem rechten Rand. Die Wähler hätten sich für eine nützliche Stimmabgabe für einen Kandidaten mit Erfolgsaussichten entschieden.
Was passiert bis zur Stichwahl?
Die erste Phase des Wahlkampfes endete am Freitag um Mitternacht. Seitdem herrschte kurzzeitig politische Funkstille in Frankreich. Seit Sonntagabend aber dürfen die Kandidaten wieder um Wähler werben – und das dürfte eine Spur heftiger ausfallen als zuvor.
Traditionell gibt es ein Fernsehduell der beiden Kandidaten, voraussichtlich am Mittwoch, dem 20. April. Le Pen will vor der Stichwahl zudem einen Wahlkampfauftritt in Avignon abhalten – dies hatte sie siegessicher schon vor der ersten Wahlrunde angekündigt.
Ungewöhnliche Aktionen für höhere Wahlbeteiligung
Mit ungewöhnlichen Einzelaktionen wurde versucht, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. So versprach der Chef einer Immobilienagentur im Burgund seinen Beschäftigten eine Prämie von 100 Euro, wenn sie zur Wahl gehen. Der Wintersportort Gets bot Wählerinnen und Wählern den Ski-Pass am Sonntag für einen Euro statt für 37,50 Euro an. Seinem Lieblingssport am Sonntag nachzugehen, müsse der Bürgerpflicht des Wählens nicht im Wege stehen, hiess es.
Wegen der Zeitverschiebung wurde in einigen französischen Überseegebieten, etwa in der Karibik, bereits am Samstag abgestimmt. Macron, Le Pen und die anderen zehn Kandidatinnen und Kandidaten gaben bis Sonntagmittag ihre Stimme ab. Auf der Insel Korsika hingen korsische Aktivisten in Bastia ein anti-französisches Banner vor dem zentralen Wahlbüro auf. Wie der Regionalsender France 3 Corse berichtete, war auf dem Protestband «Französischer Staat Mörder» zu lesen. Daneben war ein Foto des vor kurzem in der Haft von einem anderen Insassen getöteten korsischen Nationalisten Yvan Colonna abgebildet. Der Vorwurf ist, Frankreich habe ihn nicht ausreichend geschützt.