Verdächtiger nach Verbreitung geheimer US-Dokumente gefasst
Verdächtiger nach Verbreitung geheimer US-Dokumente gefasst
14.04.2023
Ein 21-Jähriger soll hinter den Pentagon-Leaks stecken: Jack T. kommt aus einer Militär-Familie und wollte mit den Geheim-Informationen offenbar Gleichgesinnte beeindrucken. Nun droht ihm eine lange Haft.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Ein 21-Jähriger aus North Dighton, Massachusetts, soll für die Pentagon-Leaks verantwortlich sein.
- Jack T. kommt aus einer Militär-Familie und dient als Airman First Class in der Nationalgarde.
- Der gläubige Christ wollte mit seinem Wissen offenbar Mitglieder einer Chatgruppe beeindrucken.
Am 13. April um 14.30 Uhr klicken in North Dighton, Massachusetts, die Handschellen: Wegen der Pentagon-Leaks verhaftet die Polizei einen 21-Jährigen. Er wird heute dem Haftrichter in Boston vorgeführt.
Wer ist Jack T., der geheime Dokumente veröffentlicht haben soll? Der junge Mann wächst in North Dighton auf und schliesst sich 2019 der Massachusetts Air National Guard an, während er noch die Highschool besucht. Diese schliesst er 2020 ab und ist fortan auf der Otis Air National Guard Base in Barnstable County, Massachusetts, stationiert.
Auch sein Stiefvater war 34 Jahre beim Militär und diente sogar in derselben Einheit wie Jack: dem 102nd Intelligence Wing. Seine Mutter arbeitete für das Massachusetts Department of Veterans Services: Am Veteranen-Tag postet sie jährlich Bilder der Familie.
«Jeder hat O.G. respektiert»
Während der Pandemie eröffnet Jack in einem Chatroom namens Thug Shaker Central eine Gruppe, um die Isolation zu überwinden. 20 bis 30 Personen aus verschiedenen Ländern sind dabei, weiss die «New York Times» (NYT): Sie verbindet das Interesse an Waffen und Kriegsspielen wie Project Zomboid, tauschen aber auch Memes aus, die mitunter rassistisch sind.
T. ist eines der älteren Mitglieder, firmiert als O.G. (für Original Gangster) und berichtet von globalen Ereignissen, bevor sie in den Nachrichten sind: «Jeder hat O.G. respektiert», sagt ein 17-Jähriger der NYT. «Er war der Mann, der Mythos. Und er war die Legende. Der Typ ist ein Christ und gegen Krieg. Er wollte nur seine Freunde informieren, was abgeht.»
Eineinhalb Stunden vor der Verhaftung machen die NYT und Bellingcat Jacks Identität öffentlich. «Leute, es war schön – ich liebe euch alle», verabschiedet sich T. daraufhin. «Ich wollte nie, dass sowas passiert. Ich habe gebetet, dass sowas nie passiert. Ich habe gebetet und gebetet und gebetet. Nur Gott kann entscheiden, was ab jetzt geschieht.»
Digitale Spurensuche
Der 21-Jährige hat die Geheimpapiere anfänglich abgeschrieben, später der Einfachheit halber aber fotografiert. Angeblich sind ihm die Behörden so auf die Spur gekommen: Die Papiere sind auf einem Küchentisch fotografiert worden, dessen Maserung sich auf anderen Fotos wiederfindet.
Ausschlaggebender dürfte jedoch sein, dass der Zeitpunkt des Drucks auf den Dokumenten vermerkt ist: Weil festgehalten wird, wer geheime Papiere ausdruckt, müssen die Daten bloss abgeglichen werden, um den Täter zu finden. Diese Unbedarftheit suggeriert, dass T. den USA nicht schaden wollte und auch kein Whistleblower ist.
Bleibt die Frage, wieso der 21-Jährige Zugriff auf die geheimen Dokumente hatte: T. ist lediglich Mitglied der Nationalgarde und nur ein Airman First Class, was der drittniedrigste Dienstgrad ist. Der CNN-Experte John Miller verweist darauf, dass das 102nd Intelligence Wing mit Drohnen im Ausland Aufklärungsflüge durchführt, weshalb Zugang zu entsprechenden Daten notwendig sei.
1,25 Millionen Amerikaner mit Top-Secret-Berechtigung
Der britische «Guardian» präzisiert, T. sei in seiner Einheit cyber transport systems specialist. Das ist ein IT-Experte, der für die militärische Kommunikation verantwortlich ist. Um die Netzwerke zu schützen, muss die Person gewisse Rechte haben, um diese Arbeit durchzuführen. Das ist kein Einzelfall: 2019 hatten 1,25 Millionen Amerikaner die Berechtigung, Top-Secret-Material zu lesen.
Dem 21-Jährigen droht nun eine Anklage unter dem Espionage Act. Zehn Jahre Haft könnten ihm blühen – für jedes Dokument, das verraten worden ist. Der «Guardian» hat 50 Dokumente selbst geprüft, die NYT schreibt von 350 Papieren, die zwischen Oktober und März gepostet worden sind.
Doch auch wenn der mutmassliche Täter nun gefunden ist, geht das Geheimdienst-Drama weiter. Peu à peu kommen die Details ans Tageslicht: Angeblich operieren westliche Spezialeinheiten in der Ukraine, angeblich hätten russische Kampfjets beinahe ein britisches Spionageflugzeug vom Himmel geholt und angeblich rechnet Washington nicht mit einem Erfolg von Kiews kommender Offensive.
Die «Washington Post» berichtet unter Berufung auf die Leaks auch, China habe sich mit Russland dazu verabredet, Moskau heimlich Waffen zu liefern. Es bleibt abzuwarten, was noch ans Tageslicht kommt – und welchen Einfluss es noch auf die Weltpolitik haben wird.