Liz Truss Eine Premierministerin, die fast niemand will

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

6.9.2022

Liz Truss wird neue britische Premierministerin

Liz Truss wird neue britische Premierministerin

Liz Truss wird neue britische Premierministerin. Die bisherige Aussenministerin gewann die parteiinterne Abstimmung der britischen Konservativen über die Nachfolge von Boris Johnson, wie die Tory-Partei mitteilte.

05.09.2022

Die Tories haben mit der 47-jährigen Liz Truss die Nachfolgerin von Boris Johnson gefunden. Ihre Aufgabe grenzt ans Unmögliche, zumal die Hardlinerin auch kaum zu Kompromissen bereit zu sein scheint.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

Die derzeitige Bevölkerung von Grossbritannien wird auf 67 Millionen Menschen geschätzt. Den eigenartigen Regeln der britischen Demokratie entsprechend hatten nur 182'000 eingeschriebene Mitglieder der Regierungspartei das Recht, über die Nachfolge des abgesetzten Boris Johnson zu bestimmen.

Nicht einmal die Hälfte dieser eh schon winzigen Gruppe von Privilegierten – sie besteht vornehmlich aus weissen, im Süden von England lebenden Männern fortgeschrittenen Alters – stimmte schliesslich für Truss: Die gelernte Buchhalterin brachte es auf 81'326 Stimmen, ihr Kontrahent Richi Sunak immerhin auf deren 60'000.

Sogar im eigenen Lager geniesst Premier Truss nicht den bedingungslosen Rückhalt, den die Inselpolitik gewöhnlich von den Anhängern der regierenden Partei verlangt. In der Tat hört man es hinter den Kulissen bereits rumoren.

Boris Johnson hat seit seiner Entlassung nie einen Hehl daraus gemacht, dass er für das Vorgehen seiner Gegner in den eigenen Reihen ebenso wenig Verständnis übrighatte wie für die vielen «gewöhnlichen» Briten, die sein Verhalten in irgendeiner Weise kritisierten.

Derweil er seine Parteifreunde in den letzten Tagen aufgefordert hat, endlich wieder eine vereinte Front zu zeigen, signalisierte er gleichzeitig ziemlich unzweideutig den Ehrgeiz, früher oder später wieder am Staatsruder zu sitzen. Bereits wusste die Tageszeitung «The Times» zu berichten, dass ein Dutzend Parlamentarier eine Rebellion planten, die schon bald zu einem Misstrauensvotum führen könnte.

Nur 22 Prozent finden Truss gut

Während der Rückhalt von Truss schon in der eigenen Partei zweifelhaft ist, ist er in der breiten Öffentlichkeit inexistent. Die Resultate von diversen Umfragen sind vernichtend – und können mit einem kurzen Rundgang im nicht für seine progressive Einstellung bekannten Lokal-Pub problemlos verifiziert werden.

So gefällt Truss’ Wahl gemäss einer überall zitierten Umfrage der reputablen Firma YouGov gerade mal 22 Prozent der Befragten sehr, oder immerhin ein bisschen. Lamentable 2 Prozent trauen ihr zu, eine Lösung für die grassierende Lebenskosten-Krise zu finden.

Truss befindet sich in einer undankbaren Situation. Allerhand Krisenherde, die zum Teil seit Jahren existieren und immer wieder mittels «Wundpflaster»-Strategie unter den Teppich gewischt worden waren, sind jetzt nicht mehr von der Hand zu weisen.

«Ihre kurze Rede nach Bekanntgabe des Wahlresultates sorgte höchstens spurenweise für Optimismus»

Inflation, darbendes Gesundheitswesen, marode (weil unterfinanzierte) Sozialdienste, Kriminalität in den Städten, Energiekrise, Wohlstandsunterschiede zwischen Nord- und Südengland, ganz zu schweigen von den Konsequenzen des Brexits, die nun nicht mehr der Covid-Pandemie in die Schuhe geschoben werden können: Truss muss sozusagen nullkommaplötzlich mit Strategien aufwarten, die es ihr erlauben, zumindest ansatzweise die Hoffnung aufkommen zu lassen, die vielen Fehler ihrer Vorgänger könnten korrigiert werden.

Ihre kurze Rede nach Bekanntgabe des Wahlresultates sorgte höchstens spurenweise für Optimismus. Wie ihre Pläne aussehen könnten, liess sich daraus nicht schliessen. Immerhin vermittelte sie den Eindruck, dass sie derzeit am Planen sei, Pläne zusammenzustellen.

Dass Truss den Mut hat, unpopuläre Pläne in die Tat umzusetzen, steht ausser Frage. Als Studentin noch durchaus dazu fähig, an Demonstrationen ein herzhaftes «Maggie (Thatcher) out!» zu brüllen, begann ihr politischer Wandel mit dem Beitritt zu den Liberal Democrats, ehe sie in den mittleren 90er-Jahren zu den Tories weiterwanderte. Hier mauserte sie sich zur fundamentalistischen Vertreterin einer klassisch konservativen, liberalen Wirtschaftspolitik.

Truss zielt auf badige Steuersenkungen ab

Unter Johnson hatte sie es irgendwie geschafft, gleichzeitig den Johnsonisten und dem harten Flügel einigermassen zu gefallen, in dessen Augen Johnson ein allzu sozial denkender Verräter der Doktrin war. Am Sonntag nun stellte sie in einem Fernsehinterview für die BBC klar, dass sie für die Bestrebungen ihres Vorgängers, das finanzielle Gefälle im Land wenigstens ein bisschen auszugleichen (er nannte es «Levelling-up») kein Verständnis zeigen wird. So verspricht sie nebst einem «Hilfspaket», das Energiepreise für die Konsumenten limitieren und gleichzeitig die Energiefirmen schadlos halten soll, eine baldige Steuerreduktion.

«Die Wolken über Grossbritannien sind düster»

Dadurch soll die schleppende Wirtschaft wieder angekurbelt werden. Truss wurde darauf hingewiesen, dass von reduzierten Steuern nur wohlhabende Steuerzahler profitierten, nicht aber die Menschen, die von den diversen Notständen am härtesten betroffen sind. Das halte sie für durchaus fair, erklärte sie: schliesslich hätten die besser betuchten Menschen auch mehr Zaster in die Kassen der Nation gebracht.

Diese Einstellung lässt befürchten, dass die vom Norden bitter benötigten «Levelling-up»-Absichten vorerst auf Eis gelegt werden. Ebenso fraglich ist es, ob die vor nicht so langer Zeit mit Pauken und Trompeten angekündigten Umweltschutz-Aktionen in die Praxis umgesetzt werden, zumal sich Truss für Fracking und Erdöl-Bohrungen in der Nordsee einsetzt.

Die Wolken über Grossbritannien sind düster. Nach den vielen Grabenkämpfen präsidiert Truss eine weiterhin zutiefst zerstrittene Regierungspartei. Es wird erwartet, dass sie ihr Kabinett mit lauter Fans füllen wird, was die diversen Spaltungen nur noch vertiefen dürfte. Ausserdem wird dadurch ihr Pool von Personal mit Expertise empfindlich geschwächt.

Die Befürchtungen sind nicht von der Hand zu weisen, dass Grossbritannien in der nahen Zukunft von einem bunten Haufen fanatischer Amateure regiert wird. Ohne Zweifel lacht sich Boris Johnson schon jetzt ins Fäustchen.