USA-Expertin über Trumps Absichten«Ein Komplettumbau des Staates ist nur schwerlich möglich»
Von Philipp Dahm
7.11.2024
Trump: «Das wird das goldene Zeitalter Amerikas»
Donald Trump hat den Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl für sich beansprucht. Der Kandidat der Republikaner wurde am frühen Mittwochmorgen von jubelnden Anhängern in Palm Beach, im US-Bundesstaat Florida empfangen. Sie hätten die unglaublichste politische Sache erreicht, sagte 78-Jährige. «Schaut, was passiert ist: Ist das verrückt? Aber es ist ein politischer Sieg, wie ihn unser Land noch nie erlebt hat. So etwas hat es noch nie gegeben. Ich möchte dem amerikanischen Volk für die ausserordentliche Ehre danken, zum 47. und 45. Präsidenten gewählt worden zu sein.»
06.11.2024
USA-Expertin Claudia Brühwiler spricht über das überraschende Ergebnis der Wahl, die Schwächen der Umfragen, das fehlende Profil von Kamala Harris, Donald Trumps Absichten und Möglichkeiten, ihn zu bremsen.
Von Philipp Dahm
07.11.2024, 04:30
07.11.2024, 13:32
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Von wegen enges Rennen: Das Ergebnis der US-Wahl stand überraschend schnell fest, erklärt Expertin Claudia Brühwiler.
Schwäche der Umfragen: Sie erreichen tendenziell Konservative, aber auch Minderheiten und junge Wählende schlechter.
Wichtigstes Wahl-Thema: Die wirtschaftliche Lage wird der Regierung angelastet, zu der auch Kamala Harris gehört.
«It's the inflation, stupid»: Die Teuerung war ein zweites beherrschendes Thema der Abstimmung.
Fehlendes Profil: Harris ist für viele Amerikanerinnen und Amerikaner nicht greifbar geworden, glaubt die USA-Kennerin.
Kommt der grosse Austausch, weil die Republikaner den Senat geholt haben? Brühwiler beruhigt.
Für diese Werte steht Trumps designierter Vize J. D. Vance.
Trumps Ankündigungen sind zu relativieren. «Wir dürfen ihn nicht wörtlich nehmen, aber wir müssen ihn ernst nehmen», so Brühwiler.
Das SRF nennt Claudia Franziska Brühwiler «eine der profiliertesten USA-Expertinnen der Schweiz»: Die Professorin hat an der Universität St. Gallen Staatswissenschaften studiert und arbeitet seit August 2022 an ihrer Alma Mater als Dozentin für Amerika-Studien. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch «Out of a Gray Fog: Ayn Rand’s Europe».
Vor diesem Wahltag sah es nach einem knappen Rennen aus: Sind Sie überrascht, dass Trump nun so deutlich sowohl in den Bundesstaaten als auch beim Popular vote vorne liegt?
Wir wussten eigentlich immer, dass es dann am Ende deutlich werden kann, weil ja die ganzen Umfragen in der Fehlermarge drin lagen und das bedeutete, dass es durchaus möglich wäre, dass es dann am Ende deutlich wird – also dass beispielsweise einer der Kandidaten oder eben die Kandidatin alle Swing States abräumt, das war trotz der knappen Ausgangslage der Umfragen möglich.
Aber?
Was jetzt überrascht – und das hat jetzt auch sämtliche amerikanischen Medien, die das ja alles extrem eng verfolgen und alle Kommentatoren überrascht –, ist, wie schnell es klar war. Gerade bei Pennsylvania gingen wir davon aus, dass wir uns gedulden müssen, dass nachgezählt wird und so weiter. Nun sind aber die Ergebnisse so deutlich, dass man sich wieder fragen muss: Was hat man im Vorfeld verpasst?
Haben wir jetzt wieder einen Dunkelziffer-Fall, bei dem sich in Umfragen Teilnehmende nicht getraut haben, zuzugeben, dass sie Trump wählen?
Das können wir erst später in der Nachlese wirklich sehen – vor allem wenn wir schauen, wer ihn nun gewählt hat. Eines der grossen Defizite vieler Umfrageinstitute respektive grosser Umfragen ist, wen sie jeweils überhaupt erreichen. Es gibt eine Tendenz, dass gerade eben Konservative weniger gut erreicht werden, weil diese sich oft schlicht weigern, mitzumachen. Aber auch Minderheiten und jüngere Wählerinnen und Wähler werden schwieriger erreicht.
US-Wahlen 2024 im Fokus
Amerika wählt am 05. November einen neuen Präsidenten. Aber nicht nur der Präsident, sondern auch 35 Senatssitze, das komplette Repräsentantenhaus sowie elf Gouverneure werden neu gewählt. blue News begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten direkt aus den USA.
Patrick Semansky/AP/dpa
Wie kann man das auffangen?
Man hat jetzt angefangen, auch auf webbasierte Umfragen umzuschwenken, um auszugleichen, dass beispielsweise nicht mehr jeder einen Festnetzanschluss hat. Das war ja früher quasi der Weg für die Umfragen. Aber wo jetzt genau der Fehler liegt, wird sich erst noch zeigen. Und es wird eben vor allem interessant sein, zu sehen, wen Kamala Harris von jenen Wählern verloren hat, die 2020 noch Joe Biden zum Sieg verholfen haben.
Wie hat denn Trump so viele Wählende überzeugen können, und was hat auf der anderen Seite Kamala Harris ausgebremst?
Wie gesagt: Einen Teil der Antwort haben wir erst, wenn wir sehen, wer wie gewählt hat. Aber was sich abgezeichnet hat, ist, dass die Wählerinnen und Wähler in dieser Wahl vor allem ein grosses Anliegen hatten. Das haben auch die Exit polls bestätigt, und das ist die wirtschaftliche Lage. Diese wird dann natürlich automatisch der regierenden Administration angelastet. Und Kamala Harris ist nun mal Teil dieser regierenden Administration.
Hat sie sich nicht von Joe Biden distanziert?
Wann immer sie von einem Neuanfang und einem Aufbruch gesprochen hat, mussten sich Wählerinnen und Wähler natürlich sagen: «Du bist ja schon Teil dessen, was ist – was soll denn dieser Wechsel genau bedeuten?» Vor allem auch, wenn die Kandidatin gleichzeitig sagt, sie hätte nichts anders gemacht als ihr Chef. Das andere ist: Kamala Harris ist für viele Amerikanerinnen und Amerikaner nicht greifbar geworden. Das scheint uns etwas paradox gemessen daran, wie viel Medienaufmerksamkeit ihr zuteilgeworden ist und wie präsent diese Wahlen überhaupt sind – hüben wie drüben.
Ihr fehlt also Profil?
Tatsächlich haben viele Amerikaner nicht wirklich ein Gefühl dafür entwickeln können, wie sie sich unterscheidet von Joe Biden und was ihre persönlichen Visionen sind. Da muss man sich dann fragen: Lag es an der Zeit? Es war nun mal ein erzwungenermassen sehr kurzer Wahlkampf. Oder lag es an der Art des Messagings und der Medien, die sie bedient hat?
Glauben Sie, dass viele Männer ein Problem damit hatten, eine Frau ins höchste Amt zu wählen?
Der Sexismusvorwurf ist natürlich schnell bedient worden, aber wie gesagt: Wir müssen erst einmal schauen, wer wie gestimmt hat. Den Gender Gap werden wir wohl feststellen können, aber wir hatten den auch bei Hillary Clinton und Joe Biden. Von daher sehen wir, dass vor allem Frauen mit Hochschulabschluss anders stimmen als andere Wähler. Aber bevor wir da nicht die Zahlen vorliegen haben, sollte man nicht voreilig zu solchen Schlüssen kommen.
Aber auf dem Papier steht es um die US-Wirtschaft doch eigentlich gar nicht so schlecht: Warum konnte Harris hier dennoch nicht punkten?
Es ist tatsächlich so, dass die wirtschaftliche Grosswetterlage hervorragend ist: Wir haben geringe Arbeitslosigkeit, wir haben Wachstum und die Löhne sind auch wieder gestiegen. Aber es gilt dieses Mal nicht das Motto wie bei Bill Clinton «It's the economy, stupid», sondern – wie ein Kommentator das schön umgewandelt hat – «It's the inflation, stupid». Das ist, was die Amerikanerinnen und Amerikaner umtreibt, dass der Warenkorb einfach immer noch so viel teurer ist.
Ist das denn wirklich so?
Beispielsweise Eier kosten dreimal so viel, wie sie das vor drei Jahren getan haben, und wenn man dann hört, ja es gab ja auch Lohnerhöhungen, muss man sagen: Einerseits sind die nicht allen zuteilgeworden und andererseits empfinden Menschen Lohnerhöhungen nicht als Inflationsausgleich, sondern man geht davon aus, dass man etwas dafür geleistet hat. Die Menschen vergleichen die Preise jetzt mit den Preisen, die sie zuvor gezahlt haben. Und gerade jene, die noch keine Lohnsteigerung erfahren haben, belastet das sehr. Das andere ist der Wohnraum, der gerade in Wachstumsregionen knapper geworden und auch schwerer bezahlbar ist.
Es sieht so aus, als würden die Republikaner auch den Senat übernehmen, der die Besetzung hoher Ämtern absegnet: Wird Trump den Staat bis zu den Zwischenwahlen in zwei Jahren umbauen?
Das ist ein Schreckgespenst, das auch die Demokraten immer wieder heraufbeschworen haben: Ein Komplettumbau des Staates ist nur schwerlich möglich. Was wir wissen, ist, dass in der Bundesverwaltung neu besetzt werden soll. Man hat sich Mühe gemacht, viele Nachwuchskräfte zu rekrutieren, die in die Bundesverwaltung gelangen können. Man wird auch besser vorbereitet sein, um die höheren Stellen neu zu besetzen. Das war 2016 noch ein grosses Chaos, als man zu Beginn von Trumps Amtszeit eigentlich gar keine Personalliste hatte.
Kommt nun der grosse Austausch?
Was zum Beispiel die Schliessung von Ministerien betrifft, ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen. Zumal Donald Trump sich ja stark distanziert hatte von dem Project 2025 und jetzt sehr darauf achtet, dass niemand, der mit diesem Programm in Verbindung steht, in seinem Übergangsteam ist.
Wie sieht es mit dem Obersten Gericht aus?
Der Senat wird es möglich machen, dass zwei etwas in die Jahre gekommene Richter jetzt vielleicht doch in Rente gehen. Der eine wäre Samuel Alito, der andere ist der amtsälteste und älteste Richter, Clarence Thomas. Die würde man wohl durch jüngere Richterinnen und Richter ersetzen, die dann die konservative Mehrheit im Supreme Court auf einige Jahre hinaus festigen.
Falls Trump keine vier Jahre durchhält, würde sein Vize J. D. Vance übernehmen: Wo ordnen Sie ihn ein?
J. D. Vance gehört einer Bewegung an, die sich postliberal nennt. Er steht auch der nationalkonservativen Bewegung nahe. Das heisst, er betreibt eine sehr traditionalistische Familienpolitik, die er in den Vordergrund stellen möchte. Er betont immer wieder, wie wichtig gesunde Familien und Chancen für Familien für die Zukunft Amerikas sind. Er fährt ebenfalls einen protektionistischen Kurs bezüglich der Wirtschaftspolitik. Und er ist isolationistisch aus Überzeugung. Das ist ein Unterschied zu Trump, der ja in dem Sinne keine politischen Überzeugungen hat, sondern Instinkte.
Welche Möglichkeiten bleiben den Demokraten jetzt, die Politik der Republikaner und von Trump zu kontrollieren?
Wir müssen abwarten, wie die Wahlen für das Abgeordnetenhaus ausfallen. Da sind die Chancen noch intakt, dass die Demokraten eine Mehrheit erlangen. Das andere ist, dass es keinen Fraktionszwang bei amerikanischen Parteien gibt – und wir haben gesehen, wie chaotisch die Verhältnisse bei den Republikanern waren, als es darum ging, einen neuen Sprecher fürs Repräsentantenhaus zu bestimmen. Man darf jetzt nicht davon ausgehen, dass plötzlich eine disziplinierte Partei Trump einfach Gefolgschaft leistet.
Gibt es institutionelle Bremsen?
Die Senatorinnen und Senatoren, die Abgeordneten sind vor allem ihrer eigenen Wiederwahl verpflichtet und weniger Donald Trump. Man muss natürlich auch berücksichtigen, dass Amerika ein föderalistischer Staat ist, und in zahlreichen Staaten sind Demokraten am Ruder. Das ist auch immer ein Gegengewicht. Checks and balances reduzieren sich eben nicht einfach auf die Bundesebene, sondern pflanzen sich auf der Ebene der Gliedstaaten fort.
Universelle Zölle, geringeres NATO-Engagement und die Beendigung des Ukraine-Krieges: Erwarten Sie, dass Donald Trump seine Wahlversprechen auch einlöst?
Wir blicken zurück auf 2016 und sehen, dass die Mauer zu Mexiko nicht steht, dass die USA immer noch in der NATO sind und dass auch die Wirtschaftspolitik am Ende wesentlich republikanisch-traditionalistischer war als versprochen. Von daher dürfen wir ihn nicht wörtlich nehmen, aber wir müssen ihn ernst nehmen.