Late Night USA «Dumm genug, so eine Cartoon-Boshaftigkeit einem Reporter zu gestehen»

Von Philipp Dahm

11.9.2020

Mal wieder im Mittelpunkt: Donald Trump spricht am 9. September im Weissen Haus über «Rage», das kommende Buch von Bob Woodward.
Mal wieder im Mittelpunkt: Donald Trump spricht am 9. September im Weissen Haus über «Rage», das kommende Buch von Bob Woodward.
Screenshot:  Youtube

Donald Trump ist in der Defensive, seit Tonbandaufnahmen belegen, dass er früh um die Gefahr durch SARS-CoV-2 wusste. Warum bloss beichtet er das einem Enthüllungsjournalisten, fragt sich News-Satiriker Seth Meyers?

Es sei nicht einfach, den Enthüllungen über Donald Trump und seine Administration noch zu folgen, beginnt der Gast von «Late Night with Seth Meyers».

Einer gegen alle: Seth Meyers (rechts) und (von links) Donald Trump, Sean Hannity und ein weiterer Journalist, dessen Namen nachgeliefert wird.
Einer gegen alle: Seth Meyers (rechts) und (von links) Donald Trump, Sean Hannity und ein weiterer Journalist, dessen Namen nachgeliefert wird.

«Allein in den letzten 24 Stunden hätten die Amerikaner erfahren, dass Trumps Heimatschutzministerium Geheimdienstberichte über Russlands Einmischung in die Wahlen 2020 zensiert hat und die Gefahr durch Rassisten heruntergespielt hat. Dass das Heimatschutzministerium Beweise verdreht hat, um zu Trumps Lügen über die Antifa zu passen.

Dass das Gesundheitsministerium versucht hat, dem Top-Experten für übertragbare Krankheiten einen Maulkorb zu verpassen, um zu verhindern, dass er die Öffentlichkeit vor den Gefahren warnt, die das Coronavirus für Kinder darstellt. Und als Krönung hat der Präsident auf einer Aufnahme zugegeben, dass er wusste, dass das Coronavirus tödlich und per Luft übertragbar ist und dass eine hochinfektiöse und tödliche Krankheit kleingeredet hat.»

«Er hätte die Amerikaner aufklären können»

Gemeint sind Details aus dem am 15. September erscheinenden Buch «Rage» von Bob Woodward, die vorab bekannt geworden sind: Auf Tonbandaufnahmen, die der Journalist bei insgesamt 18 Interviews mit dem US-Präsidenten gemacht hat, räumt der 74-Jährige frank und frei ein, er habe die Pandemie heruntergespielt, um Panik zu vermeiden.

Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Die Late-Night-Show stellt dem (ab Minute 2.58) TV-Ausschnitte vom Februar entgegen: «Eines Tages verschwindet sie wie durch ein Wunder», sagt Trump. «Es sieht so, als würde es im April verschwinden» und «Normalerweise ist es verschwunden im April», «Sie werden es unter Kontrolle haben». Und noch am 30. Januar sagte Trump, man arbeite mit China zusammen an der Bekämpfung des Coronavirus. «Das ist diese neue Sache, über die alle reden.»

«Er hätte die Amerikaner leicht über die Risiken aufklären können. Stattdessen hat er es vertuscht», meint Meyers und spielt ab Minute 5.09 Ausschnitte aus dem Interview ein. Entlarvend ist, dass Trump am 7. Februar Bob Woodward sagt: «Es ist auch viel tödlicher als unsere stärkste Grippe.» Den Moderator schockiert aber vor allem Trumps kohärente Ausdrucksweise.

Grippesyndrom

«Das ist derselbe Typ, der empfohlen hat, Bleichmittel zu trinken!» Wäre er gleich derart seriös aufgetreten, hätten seine Anhänger das Virus vielleicht ernster genommen.» Zumal Trump früher behauptet hat, das neue Coronavirus sei «ein bisschen wie eine normale Grippe, und wir werden eine Grippeimpfung dafür haben». Auch «Coronagrippe» nannte er die Seuche schon.

Warum Trump Woodward (Mitte), der als scharfer Hund gilt, 18 Interviews gegeben hat und sich nun über das Ergebnis wundert, wundert wiederum Seth Meyers.
Warum Trump Woodward (Mitte), der als scharfer Hund gilt, 18 Interviews gegeben hat und sich nun über das Ergebnis wundert, wundert wiederum Seth Meyers.
Screenshot: YouTube.0

Dass Trump so gehandelt habe, um keine Panik zu verbreiten, stimmt Meyers nicht milder. «Ziel erreicht», frotzelt er, «vom alle 100 Jahre vorkommenden Wirtschaftscrash, der Gesundheit und Auskommen von Millionen bedroht über die Schlangen vor den Tafeln für Bedürftige bis zu den Kämpfen um Toilettenpapier im Detailhandel, ist alles ganz entspannt. Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss meine Gesichtsmaske waschen und meine Post in der Mikrowelle desinfizieren.»

Die Gretchenfrage für Meyers: «Ich war vor allem schockiert, dass er dumm genug war, so eine Cartoon-Boshaftigkeit einem Reporter zu gestehen, der das aufnimmt.»

«Feuer!»

Der US-Präsident selbst zeigt keine Reue, wie ab Minute 8.58 zu sehen ist: «Ich bin ein Cheerleader dieses Landes. Ich liebe unser Land», sagte er vorgestern im Weissen Haus.

Die Republikaner reagieren mit einer Art Vogel-Strauss-Taktik auf Woodwards Buch – im Bewegtbild ab Minute elf zu sehen. Da will Senator John Kennedy alles abkanzeln, kann aber nicht auf das Argument reagieren, dass Trumps Aussagen ja allesamt mit Tonband belegt seien.
Die Republikaner reagieren mit einer Art Vogel-Strauss-Taktik auf Woodwards Buch – im Bewegtbild ab Minute elf zu sehen. Da will Senator John Kennedy alles abkanzeln, kann aber nicht auf das Argument reagieren, dass Trumps Aussagen ja allesamt mit Tonband belegt seien.
Screenshot: YouTube

Bei seinem Haus- und Hofsender «Fox» gibt es dafür Applaus: «Es ist der Job des Präsidenten, die Ordnung aufrechtzuerhalten und das Schiff durch die Pandemie zu steuern», lobt Sean Hannity, «und nicht Panik oder Angst in der Bevölkerung zu verbreiten. Er wollte, dass die Leute Ruhe bewahren.»

Meyers kontert: «Er hat in den letzten vier Jahren behauptet, Karawanen von Migranten kommen, um alle zu töten und Flugzeuge voller schwarzverhüllter Verbrecher fliegen quer durchs Land, um Städte abzufackeln. Er ist die Personifizierung des Rufes ‹Feuer!› in einem vollbesetzten Theater. Zugegeben: Heutzutage verursacht man Panik, wenn man ‹Vollbesetztes Theater!› ruft.»

Es sei auch nicht wahr, dass es bloss die Wahl zwischen «Panik oder lügen» gebe, gibt der Moderator noch zu bedenken. Es ist das treffendste Argument seines spitzen Monologs.

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