Sind sie nicht wachsam genug? Die Saudis sind Angriffsziel – trotz modernster US-Abwehrwaffen

Robert Burns, AP

22.9.2019

Bewaffnete tief fliegenden Drohnen und Cruise Missiles hatten die Ölraffinerie Abkaik – die grösste auf der Welt –  und das wichtige Churais-Ölfeld getroffen (Archivbild).
Bewaffnete tief fliegenden Drohnen und Cruise Missiles hatten die Ölraffinerie Abkaik – die grösste auf der Welt –  und das wichtige Churais-Ölfeld getroffen (Archivbild).
Bild: Keystone

Saudi-Arabien verfügt über ein reiches modernes Waffenarsenal aus den USA, auch über Patriot-Abwehrraketen. Wie konnte es da zu den erfolgreichen Angriffen auf wichtige Ölanlagen kommen? Experten befürchten einen neuen Trend.

Saudi-Arabien hat Milliarden zum Schutz eines Königreichs ausgegeben, das auf Öl aufgebaut ist. Aber es konnte die mutmasslich iranische Drohnen- und Raketenattacke am vergangenen Wochenende nicht stoppen – trotz hochmoderner Abwehrwaffen aus den USA.

Nun müssen die Saudis und ihr amerikanischer Verbündeter nicht nur entscheiden, ob und in welcher Form Vergeltung geübt werden sollte. Sie müssen auch möglichst rasch herausfinden, wie eine Wiederholung der Angriffe auf Ölanlagen verhindert werden kann – oder schlimmer noch, ein Schlag gegen Saudi-Arabiens Exportanlagen oder eines der Entsalzungswerke zur Trinkwasserversorgung.

Ist es möglich, dass die Saudis nicht wachsam genug waren? Sogar die beste Luftverteidigung versage manchmal, antwortete US-Aussenminister Mike Pompeo vergangene Woche auf eine entsprechende Frage. «Dies ist ein Angriff in einem Ausmass, wie wir es bisher einfach nicht erlebt haben.» Jetzt gelte es sicherzustellen, «dass Infrastruktur und Ressourcen so platziert werden, dass Attacken wie diese (künftig) weniger erfolgreich wären als diese es anscheinend waren».

Die bewaffneten tief fliegenden Drohnen und Cruise Missiles (Marschflugkörper) hatten die Ölraffinerie Abkaik – die grösste auf der Welt – und das wichtige Churais-Ölfeld getroffen. Die sonst übliche tägliche Produktionsmenge wurde dadurch drastisch verringert, in einem Mass, das etwa fünf Prozent der täglichen weltweiten Ölversorgung entspricht.

Dabei haben die Saudis in den vergangenen Jahrzehnten – insbesondere im Gefolge der irakischen Invasion im benachbarten Kuwait 1990 – Dutzende Milliarden Dollar für ausländische Militärausrüstung und -ausbildung ausgegeben. Von 2014 bis 2018 war das Königreich der grösste Waffenimporteur auf der Welt, und das meiste Gerät kam aus den USA. 22 Prozent der globalen amerikanischen Waffenverkäufe in dieser Zeitspanne entfielen auf Saudi-Arabien, wie das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm errechnet hat.

So verfügt das Königreich über einige der fortgeschrittensten Systeme, die ihr grosser westlicher Verbündeter zu bieten hat: F-15-Kampfjets etwa, Apache-Angriffshubschrauber und mehrere Batterien von Patriot-Luftabwehrraketen, die feindliche Flugzeuge oder ballistische Raketen kürzerer Reichweite abschiessen sollen. Das Patriot-System bietet «punktuelle Verteidigung», also keinen verbreiteten Schutz von Gebieten, und es ist unklar, ob Abwehrraketen in der Nähe der Ölanlagen stationiert waren.

Experten sind besorgt

Die USA unterstützen das saudische Militär zwar mit Aufklärung, aber auch das hat seine Grenzen. «Wir haben nicht immer ein nicht blinkendes Auge auf die gesamte Nahostregion gerichtet», formulierte es US-Generalstabschef Joseph Dunford.

Die Saudis selbst waren ganz klar nicht auf diesen Schlag vorbereitet - ungewöhnlich in seiner Ausführung und bisher einmalig in der Wahl des Zieles. Sie haben ihre Luftverteidigung hauptsächlich auf Bedrohungen vom Süden her ausgerichtet, mit den Huthi-Rebellen im Jemen im Auge, die saudisches Territorium häufig mit Kurzstreckenraketen und Drohnen angreifen. Nach Angaben saudischer Offizieller vom vergangenen Mittwoch kamen die beim Schlag gegen die Ölanlagen eingesetzten Marschflugkörper und bewaffneten Drohnen aber aus nördlicher Richtung, wo der Iran liegt.

Seth Jones vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington glaubt, dass «fast kein Staat» in der Lage gewesen wäre, einen solchen unkonventionellen Angriff voll abzuwenden. Und Saudi-Arabien habe es angesichts des Ausmasses seiner Ölinfrastruktur besonders schwer, auch wenn es «ziemlich gut» auf konventionelle Bedrohungen etwa durch Flugzeuge vorbereitet sei.

Saudi-Arabien spricht zwar von einer raschen Rückkehr zu den üblichen Produktionsmengen, aber das beruhigt nur begrenzt, wie Experten sagen: Nach ihrer Auffassung scheinen die Angriffe generell eine neue Ära der Energieverwundbarkeit eingeläutet zu haben. «Noch nie in der Geschichte der globalen Energiemärkte ist ein gegen Energieinfrastruktur gerichteter bösartiger Akt weltweit gespürt worden», schrieb Analyst Pierre Noel vom International Institute for Strategic Studies in London am vergangenen Dienstag.

Er sprach von einem «archetypischen Vorgang, von dem Ölsicherheitsexperten stets reden, aber der nie geschieht».

Nebulöse Form von Kriegsführung

Der Iran bestreitet jegliche Rolle bei den Angriffen. Aber viele Experten meinen, dass die Art der Attacken – präzise, aber ohne offensichtliche Hinweise auf den Täter – in ein Muster früherer iranischer Aggressionen passen. Und auf einen Trend zu einer nebulösen Form von Kriegsführung hinweisen, die traditionelle Verteidigungsmassnahmen überlistet.

So sagt auch CSIS-Nahostexperte Anthony Cordesman, dass der Einsatz von Marschflugkörpern und Drohnen bei den Angriffen eine Bewegung hin zu unkonventionellen militärischen Fähigkeiten widerspiegele - die traditionellem Verteidigungs-und Sicherheitsdenken trotzten. «Analysten haben seit Jahren vor dieser Verschiebung in der Natur von Kriegen gewarnt, aber die jüngsten Schläge in Saudi-Arabien haben klar gemacht, dass sie jetzt zumindest eine begrenzte Realität sind.»

John Huitquist, Spezialist für Aufklärungsanalyse bei der Sicherheitsfirma FireEye, glaubt, dass der Iran sozusagen über einen ganzen Werkzeugkasten von Angriffsmitteln verfügt - von Froschmännern zur Sabotage von Öltankern über Drohnen und Stellvertreterkräfte wie die Huthi-Rebellen bis hin zu Cyberattacken. «All dies ist jetzt auf dem Tisch, und Unternehmen, die im Golf operieren, sollten aufhorchen und sich vorbereiten.»

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