100 Jahre Kommunistische Partei Chinas «Die Partei hatte schon immer Angst vor der eigenen Bevölkerung»

Von Sven Hauberg

23.7.2021

Ende Juni liess sich die Kommunistische Partei Chinas auf einer Gala in Peking feiern.
Ende Juni liess sich die Kommunistische Partei Chinas auf einer Gala in Peking feiern.
Bild: Keystone

Vor 100 Jahren wurde in Shanghai die Kommunistische Partei Chinas gegründet. Im Interview erklärt die China-Expertin Mareike Ohlberg, wie sich die Kommunisten so lange an der Macht halten konnten.

Von Sven Hauberg

Gefeiert wurde bereits am 1. Juli, zum 100. Mal jährt sich der Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas aber erst heute Freitag. «Wir müssen die Führung der Partei aufrechterhalten. Chinas Erfolg hängt von der Partei ab», verkündete Staats- und Parteichef Xi Jinping auf einer Massenveranstaltung. Welche Rolle die Partei noch heute im Leben der Chinesen spielt und wie sie es geschafft hat, trotz vieler Krisen an der Macht zu bleiben, erklärt China-Expertin Mareike Ohlberg im Interview.

Die Kommunistische Partei wurde 1921 gegründet, seit 1949 ist sie an der Macht. War diese Entwicklung vor 100 Jahren vorherzusehen?

Nein, vorherzusehen war das sicherlich nicht. Im 20. Jahrhundert haben sich viele kommunistische Parteien gebildet, von denen es viele nicht mehr gibt und nur noch die allerwenigsten an der Macht sind. Die KPCh aber hat sich im Lauf dieser 100 Jahre durchgesetzt. Das hatte manchmal mit Glück zu tun, oft aber hat sie sich auch geschickt angestellt, wenn es darum ging, ihre eigene Macht zu sichern.

Zur Person
Bild: zVg

Mareike Ohlberg ist eine der renommiertesten China-Expertinnen im deutschsprachigen Raum. Nach mehreren Jahren als Analystin der Denkfabrik Merics arbeitet sie heute beim German Marshall Fund of the United States. Zusammen mit Clive Hamilton veröffentlichte Ohlberg zuletzt den Sachbuch-Bestseller «Die lautlose Eroberung». 

Was hat die Partei richtig gemacht, um so lange an der Macht zu bleiben?

Die Partei ist relativ gut darin, Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben und gesellschaftliche Institutionen zu durchdringen. So hat sie auch dafür gesorgt, dass sich keine Alternative zu ihrer Herrschaft herausbilden konnte. Vor allem nach dem Schock von 1989, als die Demokratiebewegung niedergeschlagen wurde und man mitansehen musste, wie der Ostblock zerfiel und sich die Sowjetunion auflöste.

Die Partei hat immer zu verhindern versucht, dass sich die Menschen ausserhalb von Parteistrukturen überregional vernetzen. Immer, wenn sich Alternativen formiert haben, wurden diese von der Partei zerschlagen. Und wenn man keine Alternativen zulässt, tut man sich leicht damit zu sagen: Ausser uns kann niemand das Land regieren. Die Partei sieht sich als zentrales Element des politischen Systems des Landes.

Die Kommunistische Partei selbst würde wohl eher auf vermeintliche Erfolge verweisen – etwa auf die Bekämpfung der Armut.

Die Partei wiederholt immer wieder die Erzählung, dass sie angeblich Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt hat. Aber man muss sich fragen, wem man diesen Erfolg zuzuschreiben hat. Die Partei schreibt ihn natürlich sich selbst zu, und nach der Reform- und Öffnungspolitik in den 80er-Jahren wurde sicherlich einiges richtig gemacht: Man hat beschlossen, die Kontrollen über die Wirtschaft Stück für Stück zu lockern und die Leute selbst machen zu lassen – und das dann komplett als eigenen Erfolg verbucht.

Dabei war man in den Jahrzehnten davor für viel Armut verantwortlich, für 30 Millionen Hungertote während des «Grossen Sprungs nach vorn» etwa. Man könnte also ebensogut sagen: Die Partei hat die Menschen lange in Armut gelassen und ihnen irgendwann erlaubt, sich selbst daraus zu befreien.

Welche Rolle spielen einzelne, herausragenden Personen für den Erfolg der Partei? Menschen wie einst Mao oder jetzt Xi Jinping?

Die Frage ist eher, wie sich einzelne Personen in die Parteigeschichte hineinschreiben. Mao stand immer an der Spitze des Staates, seine Stellung hat aber geschwankt. 1959, als er sein Staatsamt an Liu Shaoqi abtrat, war er in einer anderen Position als zum Beispiel 1967, auf der Höhe der Kulturrevolution. Heute soll Xi Jinping als dritter grosser Parteivorsitzender in die Parteigeschichte reingeschrieben werden.

Unter Mao ist China aufgestanden, unter Deng Xiaoping ist man reich geworden, und jetzt unter Xi Jinping ist China stark geworden – das ist die offizielle Version. Dabei hatte es nach Maos Tod noch einen gewissen Konsens darüber gegeben, dass man eine so starke Person nicht noch einmal allein an der Spitze haben will. Weil man auch die Nachteile einer derartigen Machtfülle gesehen hat. Unter Xi scheint man das vergessen zu wollen.



Die Partei hat immer wieder schwere Krisen durchgemacht und sich doch jedes Mal wieder aufgerappelt. Wie hat sie das geschafft?

Nach 1989 hat man sich angeschaut, wieso andere kommunistische Parteien die Macht verloren haben, welche Fehler gemacht wurden. Dass die Kommunistische Partei sich nach 1989 noch so lange an der Macht halten konnte, ist nicht dem Zufall geschuldet, sondern liegt daran, dass man als autoritäres System seine Hausaufgaben gemacht hat.

Die politischen Kontrollen wurden aufrechterhalten und effizienter gemacht. Trotz einer gewissen Öffnung nach aussen konnte man grösstenteils verhindern, dass die Zivilgesellschaft ihre Rechte einfordern kann. Statt politischer Öffnung hat man auf ideologische Kontrolle gesetzt.

Parteimitglieder posieren Ende Juni vor dem Pekinger Museum der Kommunistischen Partei.
Parteimitglieder posieren Ende Juni vor dem Pekinger Museum der Kommunistischen Partei.
Bild: Keystone

Welche Rolle spielt diese Ideologie für die Partei heute noch?

Die Partei glaubt, dass sie die Ideologie braucht. Ob das wirklich so ist, darüber kann man sich streiten. Unter Mao spielte die Ideologie eine sehr starke Rolle, unter Deng Xiaoping verfolgte man dann einen eher pragmatischen Kurs, was schliesslich aber auch in eine Art ideologische Krise geführt hat. Heute ist man wieder der Meinung, dass die Partei ein stärkeres ideologisches Fundament braucht.

Der Zynismus der letzten Jahrzehnte, als selbst Parteimitglieder sagten, man sei zwar ein kommunistisches Land, in Wahrheit aber doch irgendwie auch ein kapitalistisches, das will die Partei heute nicht mehr zulassen. Die Bevölkerung und vor allem die Parteimitglieder selbst sollen wieder von ideologischen Grundsätzen überzeugt werden. Ohne ideologische Grundlagen, so die Befürchtung, könnte im Krisenfall alles sehr schnell zusammenbrechen.

Gleichzeitig scheint die Partei grosse Angst vor der eigenen Bevölkerung zu haben – und überwacht die Bürger mit digitalen Mitteln immer strenger.

Das ist nicht erst heute so. Die Partei hatte schon immer Angst vor der eigenen Bevölkerung. Fast alles, was sie macht, dient dem Ziel, an der Macht zu bleiben und die eigene Legitimität zu sichern. Auch der Wohlstand der Bevölkerung ist eine wichtige Basis dafür. Aber obwohl die Partei heute relativ fest im Sattel sitzt, ist die Grundnervosität weiterhin da. Ein Bekannter sagte mir einmal: Das hier ist China, hier kann alles passieren.



Dennoch hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder den Umständen angepasst. Gab es dabei rote Linien, die nie überschritten werden durften?

Eine rote Linie ist sicher, dass man nie andere Regierungsparteien zugelassen hat. Die Kommunistische Partei ist die Einzige, die in China regieren darf. Es gab in der Vergangenheit Debatten darüber, wie stark man die Partei aus Staatsgeschäften raushalten soll und ob man Partei und Staat stärker trennen muss. Manche vertraten die Ansicht, man solle die Rolle der Partei auf wichtige Grundfunktionen beschränken wie etwa die ideologische Kontrolle und die Ernennung von Kadern. Inzwischen ist man von diesen Überlegungen weggegangen – die Partei mischt immer und überall mit.

Heute hat die Partei 92 Millionen Mitglieder. Wie sie in ihrem Innersten funktioniert, darüber weiss man aber nur sehr wenig. Ist diese Geheimniskrämerei auch Teil ihres Erfolgs?

Es bringt der Partei sicherlich Vorteile, wenn wenig über sie bekannt ist. Wenn man sich nicht in die Karten schauen lässt, macht man sich auch weniger angreifbar.

Vor welchen Herausforderungen wird die Partei in den nächsten Jahren stehen?

Die entscheidende Frage wird sein, wie weit man sich öffnen beziehungsweise abschotten will. Während der Corona-Pandemie hat China sehr stark auf Abschottung gesetzt, und ich glaube nicht, dass sich daran in diesem oder im nächsten Jahr viel ändern wird. Vielleicht ist die derzeitige Abschottung eine Art Probelauf, anhand dessen man ausprobiert, wie viel Geschlossenheit man beibehalten kann, ohne wirtschaftlich allzu sehr darunter zu leiden. Zumal der Westen daran arbeitet, seine Wirtschaft ein Stück weit von chinesischen Unternehmen zu entkoppeln. Für China bedeutet das, dass das Land zunehmend versuchen wird, auch ohne den Westen wirtschaftlich weiterzuwachsen. Denn davon hängt auch die Zukunft der Kommunistischen Partei ab.