Protestwelle gegen die AfD «Die etablierten Parteien müssen bessere Politik machen»

Von Alex Rudolf

23.1.2024

Tausende von Menschen gingen am vergangenen Wochenende auf die Strasse, um gegen die AfD zu demonstrieren.
Tausende von Menschen gingen am vergangenen Wochenende auf die Strasse, um gegen die AfD zu demonstrieren.
Quelle: KEYSTONE

Geheimgespräche über Massenausschaffungen werden öffentlich, worauf die Deutschen zu Hunderttausenden gegen Rechtsextremismus demonstrieren: SRF-Korrespondent Stefan Reinhart schätzt die Lage ein.

Von Alex Rudolf

23.1.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Zehntausende gingen in Deutschland auf die Strasse, um gegen die Rechtspartei AfD zu demonstrieren.
  • SRF-Korrespondent Stefan Reinhart schätzt die Lage für blue News ein.
  • Er sagt, dass ein Verbot der AfD nichts bringen würde und eher eine Radikalisierung die Folge wäre.
  • Die anderen Parteien müssten der AfD auf politischer und nicht auf gerichtlicher Ebene entgegentreten.

Herr Reinhart, Sie vertreten derzeit die SRF-Korrespondentin Alexandra Gubser in Berlin. Wie nahmen Sie die Lage am vergangenen Wochenende wahr, als Hunderttausende von Menschen auf die Strasse gingen, um gegen die AfD zu demonstrieren?

Das war eine beeindruckende Demonstration von Bürgersinn, Zivilcourage und einer demokratischen Bewegung. Man sah, dass viele nicht goutieren, dass die AfD auf der Hinterbühne etwas anderes sagt, als sie es auf der Vorderbühne tut. Die Gespräche mit Identitären und Rechtsextremen führten zu einer enormen Mobilisierung, die ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe.

Es ging bei besagten Gesprächen, die vom Recherchekollektiv Correctiv aufgedeckt wurden, um «Remigration», ein Begriff aus der rechtsextremen Szene. Es befindet sich aber auch im EU-Programm der AfD. Inwiefern überrascht die Nähe zu Rechtsextremen?

Im Wahlprogramm der AfD steht klar, dass man sich auf der Ebene des Grundgesetzes bewegen will. Wenn aber herauskommt, dass man sich mit Identitären wie Martin Sellner trifft, der für eine rein europäische Gesellschaft sowie millionenfache Ausschaffungen kämpft, ist dies etwas anderes.

«Jemandem die demokratischen Rechte wegzunehmen, bringt nichts, wie ich glaube.»

Zur Person
Stefan Reinhart 
TV-Korrespondent Tessin
2021

Copyright: SRF/Oscar Alessio
SRF/Oscar Alessio

Stefan Reinhart arbeitet seit 2004 für das SRF. Zwischen 2009 und 2014 war er Berlin-Korrespondent. Heute leitet er das Team der Ausland-Korrespondent*innen und ist Chef vom Dienst im Newsroom. Aktuell übernimmt er die Vertretung der Deutschland-Korrespondentin Alexandra Gubser in Berlin.

Es zeigte sich, dass die Radikalität innerhalb der AfD eine grössere ist, als man sie gegen aussen bislang wahrgenommen hat. Auch wenn einzelne Vertreter deutliche Worte finden und beispielsweise sagen, man wolle die CDU und die bürgerliche Mitte zerstören. Es gab durchaus Hinweise darauf, dass die Pläne der AfD weiterreichen, als es in den bekannten Programmen steht.

Welche Rolle spielt die aktuell bekannteste Politikerin der AfD Alice Weidel?

Ich habe schon mehrmals mit Alice Weidel gesprochen. Gegen aussen ist sie ein freundliches Gesicht. Andere Exponenten wie Björn Höcke dürfen nach einem Gerichtsbeschluss bereits als rechtsextrem bezeichnet werden.

Ihm sollen die politischen Rechte genommen werden und die AfD gar verboten werden, fordern einige. Was sagen Sie dazu?

Jemandem die demokratischen Rechte wegzunehmen, bringt nichts, wie ich glaube. Die Folge wäre eine Radikalisierung der Wähler*innen, die Björn Höcke als ihren Märtyrer feiern würden. Zudem wäre es demokratiepolitisch hochgradig problematisch. Die demokratischen Parteien, wie sie sich selbst bezeichnen, – also die SPD, die Grünen, die CDU und die FDP – müssen auf politischer Ebene gegen die AfD ankommen und nicht gerichtlich.

Im Frühling stehen die Europawahlen an und im Herbst wählen mehrere Bundesländer. Der AfD wird eine Wählerstärke von bis zu 40 Prozent vorausgesagt. Wie reagieren die etablierten Parteien?

Man ist höchst nervös. Für alle Parteien, die schon länger im Bundestag sind und sich als demokratisch bezeichnen, ist die AfD eine Bedrohung – vor allem im Osten. Gesamtdeutsch kommt die AfD aktuell auf gut 20 Prozent. In den Bundesländern, die früher DDR-Gebiet waren, liegen die Umfragewerte bei knapp 40 Prozent. Das führt zu einer Polarisierung. Man bezeichnet sich gegenseitig als Extremisten, und als nicht demokratisch was nicht gerade Brücken baut hinsichtlich der Menschen, die noch unentschlossen sind. Die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft driften derzeit auseinander.

Wie lässt sich dies lösen?

Die etablierten Parteien müssen bessere Politik machen. Sie müssen sich darauf einlassen und die AfD auf politischer Ebene bekämpfen. Viele Menschen in Deutschland fühlen sich abgehängt – wegen Corona, der Migration, dem Krieg in der Ukraine oder der Inflation. Darum tendieren viele Wähler*innen zu jener Partei, die ihnen einfache Antworten gibt.

Laut neusten Umfragen hat die AfD seit den Demonstrationen rund 1,5 Prozent bei der Wählergunst verloren. Ist damit ein Abwärtstrend eingeläutet?

Nein, das glaube ich nicht. Die AfD ist noch immer auf einem sehr hohen Niveau. Ausserdem glaube ich nicht, dass die Demonstrationen eine derartige Wirkung haben, da sich die beiden Gruppen nicht mehr treffen. Viele AfD-Wähler*innen fühlen sich in die Enge getrieben. Forscher gehen davon aus, dass die Demonstrationen auch der AfD nützen.

Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht macht Schlagzeilen. Wird die ehemalige Links-Politikerin mit ihrer neuen Partei der AfD Wähler*innen streitig machen können?

Vielleicht vereinzelt. Sehr wahrscheinlich wird sie einen grossen Teil der Linken aufsaugen, die traditionell im Osten stärker ist. Dass Sahra Wagenknecht die Hoffnungsträgerin der etablierten Parteien ist, sehe ich skeptisch. Sie wird wohl den Aufstieg der AfD nicht bremsen können.