Geheimtreffen in Deutschland AfD-Politiker diskutierten mit Neonazis über Vertreibung von Millionen

dpa/toko

11.1.2024 - 16:03

Bericht: AfD-Politiker sprachen mit Identitären über «Masterplan»

Bericht: AfD-Politiker sprachen mit Identitären über «Masterplan»

Er gilt als der Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung. Jetzt enthüllen Recherchen des Medienhauses Correctiv: Martin Sellner hat AfD-Politikern bei einem Treffen im November in Potsdam seine Ideen vorgetragen.

11.01.2024

Auf einem Treffen in Potsdam diskutieren AfD-Politiker mit dem Kopf der Identitären Bewegung über radikale Thesen der Migrationspolitik. Der deutsche Kanzler warnt eindringlich — mit Verweis auf die NS-Geschichte.

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  • In Deutschland haben AfD-Politiker in Potsdam an einem Treffen teilgenommen, bei dem der Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, über Remigration sprach.
  • Bei dem Treffen im November wurden teils radikale Thesen zur Migrationspolitik diskutiert.
  • Zu den Teilnehmern zählten mehrere Politiker der AfD wie Roland Hartwig, Berater von Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel, sowie der Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause.
  • Der deutsche Bundeskanzler appellierte mit Verweis auf die Geschichte eindringlich, dass Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen.

AfD-Politiker haben im November in Potsdam an einem Treffen teilgenommen, bei dem der Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, seine Ideen vortrug. Dies berichtete das Medienhaus Correctiv nach einer umfangreichen Recherche.

Sellner bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass er bei dem Treffen über «Remigration» gesprochen habe – ein rechtes Konzept zur Rückführung von Zugewanderten. 

Dem Correctiv-Bericht zufolge stellte Sellner verschiedene Thesen zur Migrationspolitik vor. Es gebe aus Sellners Sicht drei Gruppen, die Deutschland verlassen sollten: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht sowie «nicht assimilierte Staatsbürger». Letztere seien das «grösste Problem». Bei den Sellner angeführten Gruppen handelt es sich um Millionen Menschen.

Sellner sprach in diesem Zusammenhang auch von einem «Musterstaat» in Nordafrika. Sellner erläuterte dem Bericht zufolge, dort könnten bis zu zwei Millionen Menschen leben.

Sellner sagte weiter, man habe dann einen Ort, wo man Leute «hinbewegen» könne. Auch Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten dorthin.

Neben Sellner, dessen Bewegung ihre Wurzeln laut Experten auch im Neonazismus hat, nahmen an dem Treffen weitere Rechtsextreme und Neonazis teil. Eingeladen hatte ein Zahnarzt, der in den 1970er-Jahren als Bundesführer des «Bundes Heimattreuer Jugend» amtierte. Eine Abspaltung davon, die «Heimattreue deutsche Jugend», wurde 2009 wegen ihrer Neonazi-Programmatik verboten.

Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben. 
Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben. 
Jens Kalaene/dpa

Scholz: «Aus der Geschichte lernen»

Politiker mehrerer Parteien äusserten sich besorgt über das Treffen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf Berichte mit einem eindringlichen Appell reagiert.

«Dass wir aus der Geschichte lernen, das ist kein blosses Lippenbekenntnis. Demokratinnen und Demokraten müssen zusammenstehen», schrieb der Kanzler am Donnerstag auf der Online-Plattform X (früher Twitter). Wer sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richte, sei ein Fall für Verfassungsschutz und Justiz.

Weidel-Berater war auch dabei

Von AfD-Seite war unter anderem der frühere Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig dabei, heute Berater von Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel. Das bestätigte ein Sprecher Weidels auf Anfrage und teilte mit: Frau Weidel «hatte aber keinerlei Kenntnis von den Teilnehmern. Auch Hartwig wusste vorab nichts von Sellner.»

Ein Parteisprecher ergänzte: «Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern.»

Verfassungsschutz beobachtet Entwicklung «sehr genau»

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die Partei hat dagegen geklagt. Mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster dazu wird Ende Februar gerechnet.

«Im Rahmen der Verdachtsfall-Bearbeitung beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz die weitere Entwicklung der AfD sehr genau», sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. «Dabei werden auch mögliche Treffen mit Akteuren aus dem rechtsextremistischen Spektrum einbezogen.»

Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnt bei «Stern»: «Wir sehen auch jetzt wieder, dass es notwendig und richtig ist, dass der Verfassungsschutz sehr genau beobachtet, welche Kontakte es im rechtsextremistischen Spektrum gibt, wie sich Verfassungsfeinde mit AfD-Vertretern vernetzen und welche menschenverachtenden Ideologien dort propagiert werden.»

Correctiv erhielt nach eigenen Angaben auf Nachfrage von einem Düsseldorfer Zahnarzt die Bestätigung, dass er «alleiniger Veranstalter» des Treffens gewesen sei. Doch stand auf der Einladung, die Correctiv vorliegt und in die dpa Einblick nehmen konnte, auch der Name Hans-Christian Limmer, bisher Mitgesellschafter der Restaurantkette Hans im Glück.

Das Unternehmen teilte mit, Limmer habe seinen Rückzug angeboten und man habe dies angenommen. Die Trennung habe sofortige Wirkung. Das Unternehmen distanziere sich «klar von rechtsextremen Ansichten, sie stellen das genaue Gegenteil unserer Grundwerte dar».

Auch Sachsen-Anhalts AfD-Fraktionschef Ulrich Siegmund bestätigte Correctiv seine Teilnahme und erklärte, er sei als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Abgeordneter für die AfD bei dem Treffen gewesen. Doch forderten SPD, Linke und Grüne in Magdeburg Siegmunds Rücktritt als Chef des Sozialausschusses im Landtag.

«Eine rein private Veranstaltung»

Der stellvertretende Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause bestätigte auf Anfrage ebenfalls, dass er bei dem Treffen zeitweise anwesend war. Es sei darum gegangen, «dem Migrationsrecht wieder zu Recht und Geltung zu verhelfen».

Krause, der auch Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion ist, betonte: «Es war eine rein private Veranstaltung.» Den Vortrag von Sellner habe er nicht gehört, weil er erst ab dem frühen Abend teilgenommen habe. «Die Identitäre Bewegung steht aus gutem Grund auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD», sagte Krause. Er habe aber an dem Abend Kontakt zu Sellner gehabt, weil er lieber mit Menschen als über sie spreche.

Martin Sellner ist der bekannteste Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung .
Martin Sellner ist der bekannteste Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung .
dpa (Archivbild)

Im Einladungsbrief heisst es, bei der Veranstaltung werde ein «Strategiekonzept im Sinne eines Masterplans» vorgestellt. Für die Teilnahme werde eine «Mindestspende von 5000 Euro» erhoben. Correctiv berichtete unter Berufung auf Teilnehmer, Thema bei dem Treffen sei ein Vortrag Sellners zur «Remigration» gewesen – was Sellner dann auch bestätigte.

Für AfD ist «Remigration» schon lange Thema

Unter dem Begriff Remigration verstehen Fachleute die Rückkehr von Menschen, die geflohen oder eingewandert sind, in ihre Herkunftsländer. Sellner schrieb in einer E-Mail, sein Plan sei nicht geheim, sondern werde «im patriotischen Lager breit und öffentlich diskutiert». Er umfasse «nicht nur Abschiebungen, sondern auch Hilfe vor Ort, Leitkultur und Assimilationsdruck».

Er habe eine «Musterstadt» vorgeschlagen, «die als Sonderwirtschaftszone in Nordafrika gepachtet und organisiert werden könnte». Sellner fügte hinzu: «Das Konzept der Remigration ist ein Vorschlag meinerseits. Welche Partei diesen aufgreift oder eventuell umsetzt, ist aus meiner Sicht nicht relevant.»

Führende AfD-Politiker fordern auch öffentlich «Remigration». Der innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Gottfried Curio, sagte im November im Bundestag: «Wir brauchen die wirkliche, tatsächliche Rückführung, die komplette Abschiebung. Wir brauchen, meine Damen und Herren, endlich die wirkliche Remigration.»

Der Begriff wird oft nicht klar umrissen. Bisweilen wird er im Zusammenhang mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht genannt. Bei dem Potsdamer Treffen soll die Dimension jedoch grösser gewesen sein. Auch das wird in der AfD bereits seit längerem diskutiert: Auf dem AfD-Europaparteitag 2023 forderte die Delegierte Irmhild Bossdorf öffentlich eine «millionenfache Remigration».

Kontakte von AfD-Politikern zu dem Österreicher Sellner sind nicht neu, auch wenn die AfD offiziell auf Distanz zur Identitären Bewegung geht, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch gewertet wird. Der Schweriner AfD-Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kramer hatte sich Ende 2023 für seinen persönlichen Podcast mit Sellner unterhalten und dafür Kritik eingesteckt.

Empörung bei anderen Parteien

Die deutsche Innenministerin Faeser warnte mit Blick auf das Treffen im «Stern»: «Niemand sollte diese Gefahr unterschätzen.» Man sehe, wie notwendig es sei, «dass der Verfassungsschutz sehr genau beobachtet, welche Kontakte es im rechtsextremistischen Spektrum gibt, wie sich Verfassungsfeinde mit AfD-Vertretern vernetzen und welche menschenverachtenden Ideologien dort propagiert werden».

Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestags, sagte: «Die AfD agiert als Wolf im Schafspelz eines rechtsextremen Netzwerkes mit faschistischer Vertreibungsideologie.» Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, forderte einen «Aufstand der Anständigen» zum Erhalt der Demokratie.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte zu dem Treffen: «Wir beobachten das mit grösster Sorge. Die AfD macht sich planvoll auf einen Weg, der eine grosse Gefahr für unser Land, unsere Freiheit, unseren Wohlstand wäre.» Die Linke warnte: «Die AfD spielt eine zentrale Rolle bei rechten Bestrebungen, gewaltsam gegen Menschen und Institutionen vorzugehen.» Dies sei eine ernste Bedrohung.

dpa/toko