Late Night USA«Die Demokratie steht zur Wahl, und sie wird leider verlieren»
Von Philipp Dahm
7.11.2022
Bill Maher ist vor den Zwischenwahlen in den USA alles andere als optimistisch: Der Late-Night-Host sieht eine Zeitenwende auf die Nation zukommen, nach der nichts so sein wird, wie es war.
Von Philipp Dahm
07.11.2022, 11:30
07.11.2022, 14:41
Philipp Dahm
«Wir hatten unseren Spass», sagt Bill Maher in seiner «Real Time» voller Pessimismus. Alles in Amerika werde sich ändern: «Regeln werden nichts mehr wert sein», unkt der 66-Jährige mit Blick auf die bevorstehenden Zwischenwahlen in den USA.
«Dienstag ist Wahltag», fährt Maher fort, «und ich weiss, ich sollte Ihnen wahrscheinlich sagen, dass Sie bei dieser wichtigsten Wahl überhaupt abstimmen sollten. Okay», sagt Maher lachend: «Sie sollten wählen. Und es sollte die eine Partei sein, die für den Erhalt der Demokratie steht.»
Applaus brandet auf, doch der Moderator kann nur schal lachen. «Das ist allerdings auch eine Verschwendung von Atem. «Denn alle, die das glauben, wollen wählen und alle, denen man das erst sagen muss, gucken nicht zu – und in Amerika kann sowieso niemand mehr von irgendwas überzeugt werden.»
Was bringt Maher zu der Annahme? «Die Anhörungen zum 6. Januar haben bei niemandem die Meinung geändert», erläutert der Late-Night-Host. Das Komitee habe zwar saubere Arbeit geleistet. «Aber wir leben jetzt in einem Amerika der Parteien: Es ist so, als würde man Stand-up-Comedy machen, und die Hälfte [des Publikums] spricht bloss Mandarin. Es ist egal, wie gut das Material ist: Nur die Hälfte kommt an.»
«Selbst wenn du recht hast, bekommst du nichts»
Tatsächlich sei die Zahl der Menschen, die denken, Trump habe nichts Falsches gemacht, trotz des Untersuchungsausschusses noch um drei Prozentpunkte gestiegen, verdeutlicht Maher. «So ist Amerika jetzt. Es ist, als wolltest du in der Ehe streiten: Selbst wenn du recht hast, bekommst du nichts.»
Late Night USA – Amerika verstehen
Blue News
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.
Der frühere Präsident Benjamin Franklin habe gesagt, die USA seien «eine Republik, wenn man sie erhalten kann». «Nun, das schaffen wir nicht», meint Maher düster. «Die Demokratie steht zur Wahl, und sie wird leider verlieren. Und wenn sie weg ist, ist sie weg. Man kann nicht später seine Meinung ändern.» Maher grinst: «Das geht vielleicht beim Geschlecht.»
Er wisse, was passieren werde: Die Republikaner würden das Repräsentantenhaus übernehmen und im kommenden Jahr ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Joe Biden anstrengen «und nie aufhören»: «für den Abzug aus Afghanistan, für das Engagement in der Ukraine, wegen der Inflation, wegen der Rezession und weil er vom Velo gefallen ist».
«Ein Nein wird [Trump] nicht akzeptieren»
Maher fährt fort: «Es ist egal, warum, und es ergibt keinen Sinn. Aber Biden wird eine verkrüppelte Ente, wenn er 2024 gegen Trump und Kari Lake antritt. Und selbst wenn Trump verliert, ist es egal: [Trump] wird am Tag der Amtseinführung 2025 auftauchen. Ob er nun gewonnen hat oder nicht. Und ein Nein wird er nicht akzeptieren.»
Denn dann werde eine «Armee von election deniers» hinter ihm stehen, die bei den anstehenden Zwischenwahlen in ihre Ämter gehievt würden. «Es gibt auf den Wahlzetteln in diesem Jahr fast 300 Kandidaten, die nicht an Wahlen glauben», führt Maher aus. «Und sie werden diejenigen sein, die die Regeln machen und überwachen, wie 2024 Stimmen gezählt werden.»
«Die Fakten, die Politik oder das Benehmen» würden nicht mehr wichtig sein, prognostiziert der New Yorker. «Man könnte Trump dabei filmen, wie er ein Baby von einer Brücke wirft, und er würde trotzdem gewinnen – ohne Herschel Walker auf irgendwelche Ideen bringen zu wollen», scherzt Maher mit Blick auf die Abtreibungen des republikanischen Kandidaten.
«Der Moment, in dem der Rubikon überschritten wird»
«Das ist wirklich der Moment, in dem der Rubikon überschritten wird», macht Maher deutlich. «Die election deniers werden gewählt. Das ist der Weg, auf dem Staaten oft in den Totalitarismus gleiten: Nicht nur Panzer in den Strassen, sondern indem Leute gewählt werden, die nicht daran denken, die Macht zurückzugeben.»
Die Show führt Tim Michels an, der für die Republikaner in Wisconsin antritt und sagt, seine Partei werde «nie wieder eine Wahl» in dem Bundesstaat verlieren, wenn er Gouverneur werde. «So läuft das: Hitler wurde gewählt, Mussolini, Putin, Viktor Orban», sagt Maher. «Jetzt passiert es uns. Wir spüren es nur noch nicht. Und ehrlich gesagt, kümmern sich zu viele Amerikaner einfach nicht darum.»
Das werde sich auch nach der Wahl nicht ändern. Denn jene Leute könnten der Politik ohnehin nicht folgen oder hätten in der Schule nichts über die Demokratie gelernt. «Wie traurig sollen sie sein, wenn sie etwas verlieren, von dem sie nicht wussten, dass sie es hatten?» Man könne ihnen sagen, dass die Gewaltenteilung auf dem Spiel stehe, doch die Klientel werde eine Antwort drauf haben: «Was ist Gewaltenteilung?»
«Unsere Wahlen werden nur noch Show sein»
Maher verabschiedet sich deshalb von Dingen, die «Amerika wirklich grossartig gemacht» hätten, die nun aber für immer verloren gingen – wie die «friedliche Machtübergabe» oder «Bürgerrechte». «Trump wird nicht die Kinderarbeit zurückbringen, das soziale Netz abschaffen oder die Rassentrennung an Trinkbrunnen wieder einführen.»
Und weiter: «Trump hasst nicht die Juden. Ivanka ist [durch ihre Heirat mit Jared Kushner] eine Jüdin und er liebt sie – jetzt, da sie 40 ist, nur noch als Freund.» Die Anspielung auf ein früheres tiefer gehendes Verlangen des Ex-Präsidenten nach seiner Tochter sorgt natürlich für Lacher.
«Aber täuscht euch nicht: Unsere Wahlen werden nur noch eine Show sein – wie in China, Russland oder allen anderen Orten, die für Trump ‹sehr stark› sind. Freie Rede? Nun, [Trump] ist einer, der immer sehr gut mit Kritik umgehen konnte.» Das Publikum quittiert das mit Gelächter.
«Geniesst, solange ihr noch könnt»
Auch die Religionsfreiheit sei in Gefahr, weil die «QAnon und die anderen Schocktruppen» alles daran setzten, «eine christliche Regierung zu installieren».
Das FBI werde womöglich bald durch rechte Proud Boys ersetzt, und auch Marihuana könnte wieder verboten werden. «Das hängt nur davon ab, ob Snoop Dogg Trump irgendwann mal ‹brillant› nennt. So werden die Dinge entschieden werden, nicht durch die Herrschaft des Rechts.»
Apropos: «Unser wohl hellster Moment als Amerikaner war, als wir nach dem Zweiten Weltkrieg sogar den unterlegenen Nazis einen fairen Prozess gegeben haben.» Das dürfte sich ändern, so der Gatsgeber.
Natürlich rufe er dazu auf, wählen zu gehen, endet Maher. «Aber ich war immer ein Realist. Ich fürchte, Demokratie ist wie der McRib: Jetzt ist er da, und er wird noch ein bisschen länger da sein – also geniesst, solange ihr noch könnt.»