Gefahr unter der Stadt Neapel in Sorge vor Supervulkan

Von Christoph Sator, dpa

14.11.2023 - 21:41

Die Stadt Pozzuoli liegt auf dem Supervulkan Campi Flegrei, wo Experten nach einer Serie von Erdbeben Schlimmeres befürchten.
Die Stadt Pozzuoli liegt auf dem Supervulkan Campi Flegrei, wo Experten nach einer Serie von Erdbeben Schlimmeres befürchten.
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Der Ätna auf Sizilien, die Halbinsel Reyjkanes auf Island – Europas Vulkane sind derzeit sehr aktiv. Die grösste Gefahr droht nach Meinung von Experten aber in der dichtbesiedelten Umgebung von Neapel.

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  • Unter der Erde nahe der italienischen Stadt Neapel befindet sich der wohl gefährlichste Vulkan Europas.
  • Regelmässig bebt im Westen der Metropole die Erde, die Angst vor dem Supervulkan ist gross.
  • Für den Fall einer Evakuierung sind viele Anwohner schon gewappnet.

Der Sportplatz von Montefusco Spinesi ist keiner, auf dem die grossen Erfolge gefeiert werden. Ein Kunstrasen in einem Vorort von Neapel, mehr schwarz als grün, hinterm Tor dicke Plastikplanen, die Tribüne einfach nur Beton. Ein Platz wie viele in Italien.

Was Montefusco Spinesi so besonders macht: Hier wird mitten auf Europas wahrscheinlich gefährlichstem Vulkan Fussball gespielt. Auch an diesem Abend steigen in der Nähe wieder Rauchwolken aus der Erde. Es riecht nach faulen Eiern. Die Leute sind das gewohnt. Nur sind ihre Sorgen neuerdings arg gewachsen.

Seit Monaten wird die dicht besiedelte Region im Westen der Millionenstadt von kleinen und grösseren Erdbeben erschüttert: allein seit Anfang September mehr als 1500. Meist nur ein Zittern von einigen Sekunden, manchmal begleitet von einem Rumoren im Untergrund, ohne, dass bislang gross etwas passierte.

Aber das heftigste Beben hatte immerhin Stärke 4,2. Viele Anwohner fürchten, dies seien Vorzeichen für einen Ausbruch. Gerardo Cerino (55), der seinen Sohn gerade beim Fussballtraining beobachtet, sagt: «Ich bin hier aufgewachsen. Aber seit ein paar Wochen spielt die Angst mit.»

Die Gefahr im Boden

Die Gegend hier trägt die Gefahr schon im Namen: Campi Flegrei. Wörtlich übersetzt: Brennende Felder. Die Wissenschaft hat daraus mit etwas mehr Zurückhaltung die Phlegräischen Felder gemacht. Der hiesige Vulkan ist kein wohlgeformter Berg wie der Vesuv, der seit seinem spektakulären Ausbruch auf Pompeji im Jahr 79 Neapels Panorama so schön beherrscht. Auf den Campi Flegrei schlummert die Gefahr im Boden, man sieht sie nicht: ein insgesamt 150 Quadratkilometer grosses Areal aus Dellen und Kratern, zu grossen Teilen im Meer versteckt.

Auf dem Festland lässt sich das Risiko am ehesten in der Hafenstadt Pozzuoli ahnen, ein paar Kilometer vom Fussballplatz entfernt. Auf dem Kraterfeld Solfatara blubbert die Erde vor sich hin, Rauch zieht nach oben, der Wasserdampf ist mit Kohlendioxid und Schwefel versetzt – daher der Faule-Eier-Gestank.

Bis vor ein paar Jahren war die Solfatara eine Touristenattraktion. Seit 2017, als ein Paar mit elfjährigem Sohn auf dem Feld ums Leben kam, ist sie Sperrgebiet. Das Spektakel lässt sich jetzt nur noch von einem Hügel aus betrachten. Daneben steht ein Luxushotel mit Blick weit hinaus aufs Meer.

Grösste Eruption der letzten 100'000 Jahre

Vor 39'000 Jahren war dies der Schauplatz der grössten vulkanischen Eruption der letzten hunderttausend Jahre auf dem europäischen Kontinent. Damals wurde in weiten Teilen des heutigen Süditaliens fast alles Leben vernichtet. Die Asche flog bis aufs Gebiet des heutigen Russlands.

Aus diesen Zeiten hat die Bezeichnung Supervulkan für die Campi Flegrei ihre Berechtigung. Supervulkane zeichnen sich durch eine besonders grosse Magmakammer und enorme Gewalt aus: Anders als normale Vulkane explodieren sie regelrecht.

Der letzte Ausbruch auf den Campi Flegrei ist bald ein halbes Jahrtausend her: 1538. Zuvor hatte sich der Boden über einen Zeitraum von 70 Jahren durch Magmaschübe nach und nach um mehrere Meter angehoben. So ist das Szenario auch heute: Seit sieben Jahrzehnten wölbt sich der Boden wieder. In Pozzuoli erkennt man das daran, dass die Kaimauer im Hafen um ein paar Meter höher liegt als früher: Die Fischer haben Schwierigkeiten, sie von ihren Booten aus zu erreichen.

«Wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt»

Im Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (IGNV) von Neapel wird das alles genau verfolgt: die Beben, das Auf und Ab des Bodens, die Zusammensetzung des Rauchs. An einem der Bildschirme steht der Geophysiker Giovanni Macedonio. «Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt», sagt der 64-Jährige. Aufgrund der Daten erwarten die meisten Experten, dass sich der Boden weiter wölben wird. Heisst: mehr Spannung, mehr Risse, mehr Brüche, mehr Beben. Bis es irgendwann vielleicht zu viel wird.

Aber wann, was und ob überhaupt etwas passieren wird, weiss niemand. Es muss keine Eruption sein. Möglich auch, dass es ein schweres Erdbeben gibt oder eine Wasserdampf-Explosion mitten in der Stadt mit schlimmen Folgen. Denkbar aber auch, dass sich der Supervulkan wieder fast völlig beruhigt. So oder so: Macedonio ist zuversichtlich, dass die Bevölkerung im Fall der Fälle rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden kann. 48 Stunden sollen reichen, um mehr als 360'000 Menschen zu evakuieren, die in der unmittelbaren Gefahrenzone leben.

Seit 2012 gilt erhöhte Wachsamkeit

Seit 2012 gilt in der Region Alarmstufe Gelb – erhöhte Wachsamkeit. Nach den vielen Beben der letzten Monate wird nun spekuliert, dass sie demnächst auf Orange angehoben wird. Der Zivilschutzminister der italienischen Rechtsregierung, Nello Musumeci, deutete das bereits an. Beschlossen wurde in Rom schon, dass der Katastrophenschutz für die Campi Flegrei 52 Millionen Euro zusätzlich bekommt.

In der Nachbarschaft bereiten sich die Leute sicherheitshalber vor. Die Hausfrau Silvana Di Dio (36) gehört zu denen, die schon einen Koffer gepackt haben. Er steht zu Hause im Flur. «Das Allernötigste nur: Kleidung, Medikamente, Kosmetik. Wir sind in zehn Minuten abfahrbereit», sagt die Mutter von zwei Kindern. Auch die Pfarrei von San Gennaro an der Solfatara hat schon Vorsorge getroffen. Bei Gottesdiensten bleibt die Kirchentür neuerdings offen. So sollen die Gläubigen, wenn etwas passiert, schneller nach draussen kommen.

Von Christoph Sator, dpa