Islamforscher Reinhard Schulze «Die Angriffe der Huthi waren auch als Provokation für den Iran gedacht»

Von Dominik Müller

13.1.2024

Neu rekrutierte Huthi-Kämpfer halten bei einer Zeremonie am Ende ihrer Ausbildung in Sanaa, Jemen, eine Waffe hoch und skandieren Slogans. (Bild vom 11. Januar)
Neu rekrutierte Huthi-Kämpfer halten bei einer Zeremonie am Ende ihrer Ausbildung in Sanaa, Jemen, eine Waffe hoch und skandieren Slogans. (Bild vom 11. Januar)
Imago

Die jemenitischen Huthi-Rebellen greifen seit Ausbruch des Gazakriegs immer wieder Schiffe im Roten Meer an. Das tun sie laut Islamforscher Reinhard Schulze auch, um Geldgeber Iran aus der Defensive zu locken.

Von Dominik Müller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Seit Ausbruch des Gazakriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas greifen die jemenitischen Huthi-Rebellen immer wieder Schiffe mit angeblich israelischer Verbindung im Roten Meer an.
  • In der Nacht auf Freitag reagierten die USA und Grossbritannien mit einem Gegenschlag.
  • Laut Islamforscher Reinhard Schulze sollen die Angriffe der Huthi auch Geldgeber Iran provozieren, aktiv in den Krieg einzugreifen.
  • Ein Eingreifen des Irans in den Krieg halte er für unwahrscheinlich. Allerdings können sich die politischen Kräfteverhältnisse im Land plötzlich ändern.

Herr Schulze, der Krieg in Nahost wird an mehreren Fronten geführt: Vom Iran unterstützte Proxy-Organisationen wie die Huthi-Rebellen im Jemen führen ihrerseits Angriffe, es droht ein Flächenbrand. Wieso greifen die Huthi in den Konflikt ein?

Die Huthi sind eine schiitisch ausgerichtete Gemeinschaft, die die angestammte schiitische Tradition im Land an die von Revolutionsführer Khomeini im Iran durchgesetzte Schia angepasst hat und die von einem starken Antisemitismus geprägt ist. Für sie ist das Feindbild Israel so stark, dass dessen Vernichtung Teil ihres seit 2000 benutzten politischen Slogans geworden ist.

Zur Person
Uni Bern

Prof. em. Dr. Reinhard Schulze ist ein deutsch-schweizerischer Islamwissenschaftler. Nach Professuren an den Universitäten Bochum und Bamberg war er ab 1995 bis zu seiner Emeritierung 2018 ordentlicher Professor für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie an der Universität Bern. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf der Erforschung des sozialen Wandels im Kontext der islamischen Welt.

Handeln die Huthi selbstbestimmt oder führen sie nur den Willen des Irans aus?

Der Iran kontrolliert diese Situation nicht vollständig, deshalb kann man die Huthi nicht nur als Proxy (Stellvertreter, Anm. d. Red.) verstehen. Der Iran versucht auch immer deutlich zu machen, dass er sich nicht vorführen lässt, sondern dass er versucht, eine Art Beschwichtigungspolitik durchzusetzen.

In der Nacht auf heute haben die USA und Grossbritannien einen Militärschlag gegen die Huthi als Reaktion auf deren Angriffe auf Schiffe im Roten Meer verübt. Versuchen die Huthi mit provozierten Gegenschlägen des Westens den Iran aus der Deckung zu zwingen?

Ja, die Angriffe der Huthi waren sicherlich auch als Provokation für den Iran gedacht. Die Huthi haben die Attacken mit der Überschrift «Der versprochene Sieg» versehen. Das kann auch gelesen werden als eine Art iranisches Versprechen, dass der Iran jede Aktion schützt, die dazu führt, dass Jerusalem befreit wird. Dieses Versprechen wird von den Huthi nun eingefordert.

Und wie reagiert der Iran?

Die Reaktion der iranischen Führung auf die Aktionen in der Nacht auf Freitag machen deutlich, dass der Iran sich eben nicht so schnell provozieren lässt. Da besteht noch immer eine gewisse strategische Zurückhaltung.

Gehen Sie davon aus, dass der Iran noch aktiv in diesen Konflikt eingreifen wird?

Man weiss, dass der Iran eine Entscheidung, ob und in welcher Weise das Land eingreifen würde, ausschliesslich von seinen eigenen Interessen abhängig macht. Wenn es der strategischen Interessenlage des Irans entspricht, dann würde ein Eingreifen möglich werden. Aber der Iran greift nicht deshalb ein, weil die Hisbollah im Libanon oder die Huthi im Jemen Aktionen provoziert haben. Der Iran weiss, dass dies ein selbstmörderischer Akt wäre. Eine militärische Reaktion Israels und der USA stellt für den Iran eine so massive Bedrohung dar, dass der Iran nur unter grössten Umständen in den Krieg eingreifen würde.

Ein Kriegseintritt ist also ausgeschlossen?

Man weiss nie, wie sich die politische Szene im Iran entwickelt. Insbesondere Gruppen, die mit radikalen Teilen der Revolutionsgarden verbunden sind, könnten eigenständig agieren und die iranische Regierung vor vollendete Tatsachen stellen.