Grossbritannien Der Politclown lacht zuletzt: Der Triumph des Boris Johnson

AP

14.12.2019

Premier Boris Johnson unterwegs zu einer Audienz mit Königin Elizabeth II. im Buckingham Palast.
Premier Boris Johnson unterwegs zu einer Audienz mit Königin Elizabeth II. im Buckingham Palast.
Frank Augstein/AP/dpa

Der 55-Jährige war oft Ziel von Häme und Spott, doch mit seinem klaren Brexit-Kurs gewinnt er jetzt eine Mehrheit, wie sie die Tories seit Margaret Thatcher in den 1980er Jahren nicht mehr hatten.

Die vielen Kritiker von Boris Johnson haben sich über ihn oft und gern als munter drauflos plappernden Politclown lustig gemacht. Doch nach dieser Wahl im Dezember mit der simplen Botschaft «Get Brexit Done» («den Brexit erledigen») ist es der 55-jährige bisherige und wohl auch nächste Premierminister, der zuletzt lacht.

Johnson war auf einer Eliteschule, aber sein Stil ist hemdsärmelig, überhaupt nicht elitär, kommt bei den «einfachen Leuten» an. Er sagte einmal, seine Chance, Premierminister zu werden, sei ungefähr so gross, wie seine Reinkarnation als eine Olive. Nun hat er den grösssten Wahlsieg der Tories seit den 1980er Jahren unter der Tory-Ikone Margaret Thatcher eingefahren. Wie es nach dem nun wahrscheinlichen Brexit am 31. Januar weitergehen wird, ist nebulös. Aber bei dieser Wahl gab es nur ein Thema, den EU-Austritt endlich hinter sich zu bringen, und das hatte Johnson wie kein anderer gespürt.

Schillernde Fassade

«Er scheint nicht wie eine gewöhnlicher Politiker zu sein», sagt der Politikwissenschaftler Jonathan Hopkin von der London School of Economics. «Er hat es geschafft, diese Aura um sich herum zu schaffen, eine Persönlichkeit, ein Exzentriker zu sein, jemand, der lustig ist und der Leute jenseits von Parteigrenzen beeindrucken kann».

Hinter dieser schillernden Fassade eines Bruder Leichtfuss verbirgt sich allerdings auch ein unbändiger Ehrgeiz, den Alexander Boris de Pfeffel Johnson als Kind scheinbar kindlich ausdrückte, in dem er sagte, er wolle König der Welt werden. In seinen Schuljahren in Eton galt er als clever, aber nicht gerade fleissig; ein Lehrer beschwerte sich bei seinen Eltern über eine «infame Ritter-Attitüde» ihres Sprösslings

In seinen Studienjahren in Oxford war Johnson Präsident der Debattier-Society Oxford Union und ein Mitglied des Bullington Clubs, der für feuchtfröhliche Gelage berüchtigt ist. Als junger Brüssel-Korrepondent des «Daily Telgraph» erfreute er seine Redaktion mit übertriebenen Geschichten über eine lächerliche EU-Bürokratie, die bis heute politische Wirkung auf eine Anti-EU-Haltung in Grossbritannien entfaltet haben.

In den Jahren danach lavierte Johnson zwischen Journalismus und Politik, gab sich nicht allzu ehrgeizig und wurde stetig bekannter. Er war Journalist bei einem Magazin, ein Hinterbänkler im Parlament, ein sich selbst auf die Schippe nehmender Gast in TV-Quizshows. 2008 wurde er zum Bürgermeister Londons gewählt — bis 2016 leitete er die Geschicke der britischen Hauptstadt.

Immer wieder aufstehen

Sein Weg war kein gerader. Er wurde von der «Times» gefeuert, weil er ein Zitat erfunden hatte. Er wurde von einem hohen Parteiposten entlassen, nachdem er über eine aussereheliche Affäre gelogen hatte. Er stand immer wieder auf.

Auch flapsige Sprüche brachten ihm oft genug Ärger ein. Die Einwohner Papua-Neuguineas nannte er pauschal Kannibalen, Kinder von alleinerziehenden Müttern nannte er «ignorant, aggressiv und illegitim». Und muslimische Frauen, die ihr Gesicht verschleiern, verglich er mit «Briefkästen».

Darauf angesprochen, sagte er gern, dass er doch nur einen Scherz gemacht habe. Oder er warf Journalisten vor, seine Worte zu verdrehen oder auf alten alte Artikeln herum zu reiten. Seine Kritiker sagen, seien Sprüche seien keine Ausrutscher, sondern kalkulierte Signale an eine bestimmte Wählerschaft — eine populistische Taktik, die direkt dem Drehbuch Donald Trumps entnommen sein könnte.

Freunde und Gegner fragen sich oft, was Johnson wirklich im Schilde führt. Vor dem Brexit-Referendum 2016 schrieb er zwei Zeitungskolumnen — eine für den EU-Aussteig, eine dagegen. Schliesslich wurde er zu einem Bannerträger der «Leave»-Kampagne.

Mit seiner Energie und Popularität verhalf er den Brexit-Befürworten zum Sieg. Dass dabei Dinge behauptet wurden, die einfach nicht stimmen — etwa, dass Grossbritannien wöchentlich 350 Millionen Pfund an die EU zahle, die stattdessen in das Gesundheitssystem gesteckt werden könnten — Schwamm drüber.

Nach dem Referendum wurde Johnson Aussenminister im Kabinett der glücklosen Regierungschefin Theresa May. Deren Brexit-Deal mit der EU lehnte er ab und trat zurück — um wenig später als konservativer Parteichef und dann Premierminister zurückzukommen.

Lieber «tot im Graben»

Auch da warb er mit einer klaren Ansage: Er werde lieber tot im Graben liegen, als den Brexit über den 31. Oktober hinaus zu verschieben, tönte er. Doch es kam anders, er kassierte im Parlament eine Niederlage nach der anderen, scheiterte mit seinem Versuch vor dem höchsten Gericht, dessen Sitzungspause zu verlängern und steuerte dann auf Neuwahlkurs.

Das war — wie manches zuvor in Johnsons Leben — riskant, aber er gewann. Dabei trifft auch der Slogan «Get Brexit Done» nicht exakt das, was nun folgen wird: Denn der nun sehr wahrscheinliche Austritt am 31. Januar ist zugleich auch nur der Beginn von Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen mit der EU. Die sollen — Stand jetzt — bis Ende 2020 in trockenen Tüchern sein. «Der Brexit passiert am 31. Januar», sagte ein anderer Politikprofessor an der London School of Economics, Tony Travers. «Und dann lautet die Frage: Kann irgendein Handels-Deal mit der EU bis zum 31. Dezember 2020 erreicht werden?»


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