Lockern im grossen StilDänemark hat «der Pandemie den Zahn gezogen»
SDA
10.9.2021 - 00:00
Wer durch Kopenhagen schlendert, der fragt sich schon seit Längerem: Ist eigentlich noch Pandemie? Am Freitag enden die meisten der letzten Corona-Regeln – das Virus zirkuliert aber dennoch.
10.09.2021, 00:00
Von Steffen Trumpf und Sigrid Harms, DPA
Wer die Nase voll hat von der Pandemie, dürfte beim Gang durch Kopenhagen aufatmen. Rund um den Strøget, die langgezogene Fussgängerzone der dänischen Hauptstadt, ist im Laufe des Sommers nach und nach so etwas wie Normalität eingekehrt. Und nicht nur hier, auch im restlichen Land wird eine Corona-Regel nach der nächsten gelockert.
Nachdem im Frühling zunächst die Schulkinder in ihre Klassenzimmer zurückkehrten, durften Restaurants und Bars wieder Gäste bedienen, sofern diese einen Covid-Pass vorzeigen konnten. Mit diesem kleinen Hilfsmittel, mit dem man per App Impfung, Test oder Genesung vorzeigen kann, konnten wenig später auch wieder Kinos, Theater, Fitnessstudios und andere Einrichtungen öffnen.
Fussball-Europa staunte im Juni, wie dicht gedrängt und lautstark die dänischen Zuschauer bei den EM-Partien im Kopenhagener Stadion Parken mitfiebern konnten. Die Vorgabe zum Arbeiten aus dem Homeoffice wurde ebenfalls zurückgefahren, schliesslich fiel auch die Maskenpflicht.
Während sich das Leben im Land so zuletzt schon fast beschränkungsfrei angefühlt hat, geht Dänemark an diesem Freitag noch einen Schritt weiter: Genau anderthalb Jahre nach der Einführung von ersten weitreichenden Corona-Massnahmen werden nun auch die letzten bestehenden Restriktionen aufgehoben – und das EU-Land hofft, diesen Beschränkungen ein für alle Mal Lebewohl sagen zu können.
Fast alle über 60-Jährigen sind geimpft
«Die Pandemie ist nicht ganz überstanden, aber wir haben ihr den Zahn gezogen», sagt Lone Simonsen, Pandemieforscherin an der Universität Roskilde. «Wir haben die Verbreitung des Virus noch nicht gestoppt, aber die Hospitalisierung und die Todesfälle.» Hauptgrund dafür sei die hohe Impfrate. Mehr als 96 Prozent aller Menschen über 60 Jahren seien fertig geimpft – und das seien diejenigen mit dem grössten Risiko für eine schwere Erkrankung.
Zum Vergleich: In der Schweiz sind es bei den 60- bis 69-Jährigen erst 75 Prozent vollständig geimpft, bei der Alterklasse 80 plus sind es 83,6 Prozent. Deutlich weniger als in Dänemark also.
Unter anderem deshalb wird Covid-19, die durch das Coronavirus ausgelöste Erkrankung, in Dänemark ab Freitag nicht mehr länger als «gesellschaftskritische Krankheit» kategorisiert.
Das mag nach einer bürokratischen Formalität klingen, hat aber ganz konkrete Auswirkungen für die Menschen: Die Einstufung machte die Einführung bestimmter Regeln erst möglich, etwa ein Versammlungsverbot, die Maskenpflicht oder die Vorgabe, mit dem Corona-Pass zum Beispiel im Restaurant oder Fitnessstudio vorzeigen zu müssen, dass man geimpft, genesen oder getestet worden ist.
«Die Epidemie ist unter Kontrolle. Wir haben rekordhohe Impfraten», jubelte Gesundheitsminister Magnus Heunicke bei der Ankündigung Ende August. Seine Regierung habe versprochen, an den Massnahmen nicht länger als notwendig festzuhalten – und an diesem Punkt sei man nun angelangt. Zugleich machte er klar: «Aber auch wenn wir uns derzeit in einer guten Position befinden, sind wir aus der Epidemie nicht heraus. Die Regierung wird nicht zögern, schnell zu handeln, wenn die Pandemie wieder wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft bedroht.»
Die letzten Beschränkungen im Land fallen nun weg, etwa das Vorzeigen des Corona-Passes, wenn man zu Grossveranstaltungen wie Fussballspielen oder in eine der gerade erst wieder geöffneten Diskotheken gehen will. Empfehlungen etwa zum Abstandhalten werden die dänischen Gesundheitsbehörden jedoch weiterhin aussprechen.
Ungeimpfte sind nicht aus dem Schneider
Dänemark mit seinen 5,8 Millionen Einwohnern hat im Vergleich zu anderen Ländern besonders viel getestet, jeweils mehr als 40 Millionen PCR- und Schnelltests wurden gemacht. Rund 350'000 Menschen haben sich nachweislich mit dem Coronavirus angesteckt, knapp 2600 sind in Verbindung mit einer Erkrankung gestorben.
Interessant dabei ist, dass die Neuinfektionszahlen pro Einwohner seit Längerem höher als in anderen EU-Ländern sind. Dennoch hält Forscherin Lone Simonsen die Öffnung für richtig. «Wir müssen nicht mehr auf die Infektionszahlen schauen, sondern auf die Anzahl der Spitalpatienten», sagt sie. Dieser Wert ist mit derzeit rund 130 Patienten verhältnismässig niedrig. Doch für die, die nicht geimpft seien, sehe es schlimm aus: «Wenn du nicht geimpft bist, wirst du dem Virus im Herbst oder Winter begegnen.»
Auch wenn die Dänen und Däninnen nun trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken, kann ein neuer Lockdown nicht komplett ausgeschlossen werden. «Wenn wir Virus-Mutationen bekommen, gegen die die Impfstoffe nicht helfen, können wir so nicht weitermachen», warnt Simonsen. Die Aufhebung der Beschränkungen und der Massentests werde vermutlich dazu führen, dass man in Zukunft weniger über den Verlauf der Pandemie weiss. «Jetzt müssen wir die neuen Krankenhauseinweisungen genau beobachten. Die zeigen, ob sich die Epidemie-Intensität ändert und ob es Hinweise auf ein Versagen des Impfstoffs gibt.»