«Es muss aufhören»Der Hass auf Asiaten erschüttert die USA
dpa
9.5.2021
Beschimpfungen, Attacken – und die tödlichen Angriffe in drei Massage-Salons. Eine Reihe dramatischer Vorfälle in der Corona-Pandemie bringt in den USA anti-asiatischen Rassismus ans Licht.
dpa
09.05.2021, 18:00
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Es passiert mitten im New Yorker Stadtteil Manhattan, am helllichten Tag. Ein Mann läuft hinter einer Frau, tritt sie. Die asiatischstämmige Amerikanerin fällt zu Boden, der Mann tritt weiter auf die 65-Jährige ein. Gegen ihren Kopf, immer und immer wieder.
Als «wirklich verstörend, wirklich ekelhaft» bezeichnet ein Polizist in New York die Bilder von der Attacke Ende März. Und es war kein Einzelfall: Am Dienstag veröffentlicht die Polizei-Taskforce gegen Hassverbrechen ein Video, aufgenommen am Sonntag in der Nähe des Times Square. Dieses Mal geht eine Frau mit einem Hammer auf zwei Asiatinnen los. Am Abend meldet die Polizei in San Francisco einen Messerangriff auf zwei ältere asiatische Frauen.
«Hass darf keinen sicheren Hafen haben»
Die Vorfälle sind Beispiele für eine Entwicklung, die die Behörden in den USA zunehmend mit Sorge betrachten. US-Justizminister Merrick Garland spricht von einem «beunruhigenden Trend» und einem «signifikanten Anstieg von Angriffen und Belästigungen», die durch Vorurteile gegen asiatischstämmige Amerikanerinnen und Amerikaner motiviert sind. Nach Angaben der Polizei in New York richten sich die meisten Hassverbrechen in der Metropole seit Jahresanfang gegen Asiaten oder asiatischstämmige Personen.
«Hass darf in Amerika keinen sicheren Hafen haben. Es muss aufhören», sagte US-Präsident Joe Biden, kurz nachdem Mitte März eine Serie tödlicher Attacken in und nahe der Stadt Atlanta im US-Staat Georgia das Land erschütterte.
In drei Massage-Salons waren innerhalb kurzer Zeit acht Menschen erschossen worden. Die Opfer waren überwiegend asiatischstämmig. Der Tatverdächtige gab an, nicht aus rassistischen Motiven gehandelt zu haben, und nannte stattdessen Sexsucht als Motiv. Doch die Bluttat fachte die Debatte über die zunehmende Diskriminierung asiatischstämmiger Amerikaner an.
Das «China-Virus»
Der Hass tritt in einem Land zutage, in dem Rassismus insbesondere gegen Schwarze tief verankert ist – und das bis vor wenigen Monaten noch einen Präsidenten hatte, der nicht vom Coronavirus, sondern vom «China-Virus» sprach: Donald Trump. Trotz Rassismus-Vorwürfen provozierte der Republikaner wiederholt auch mit der Bezeichnung «Kung Flu» für Corona. Trump hatte das Virus immer wieder mit einer Grippe verglichen, auf Englisch «flu».
Karthick Ramakrishnan will nicht ausschliesslich Trump für die Zunahme der Feindseligkeiten verantwortlich machen. Dessen Rhetorik habe aber dazu beigetragen, dass sich in der Pandemie ein bestimmtes Narrativ festgesetzt habe, sagte er dem Sender NBC News. Ramakrishnan ist der Gründer und Direktor der Nichtregierungsorganisation AAPI Data, die derzeit verstärkt auf anti-asiatische Tendenzen aufmerksam macht.
Das Problem anhand von Zahlen zu greifen zu bekommen, ist schwierig. Die Senatorin Mazie Hirono beklagt, Hassverbrechen und andere Vorfälle seien «offenkundig unterrepräsentiert». Ein FBI-Beamter nannte bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten im März keine Daten zu laufenden Ermittlungen im Zusammenhang mit anti-asiatischem Hass, sagte aber, dass Vorfälle in den vergangenen Jahren zugenommen hätten.
Hirono und andere Senatoren führen immer wieder eine Auswertung von Polizeidaten des Zentrums für die Erforschung von Hass und Extremismus an der California State University an, wonach in 16 der größten Städte Amerikas anti-asiatisch motivierte Straftaten 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 140 Prozent zugenommen haben.
Die Online-Plattform Stop AAPI Hate sammelt seit März 2020 Informationen über anti-asiatische Vorfälle, die Betroffene selbst melden können. Ins Leben gerufen wurde sie von Interessengruppen und dem Institut für asiatisch-amerikanische Studien an der San Francisco State University als Reaktion auf die «alarmierende Eskalation von Fremdenfeindlichkeit» durch die Corona-Pandemie.
Den Angaben zufolge wurden zwischen März 2020 und Februar 2021 der Plattform fast 3800 rassistische Vorfälle gegen asiatischstämmige Amerikaner gemeldet - von verbalen Attacken bis hin zu physischer Gewalt und Vandalismus.
Die Zahl wird auch in einem Gesetzesentwurf angeführt, den der Senat im April mit seltener Unterstützung von Vertretern beider Parteien billigte - es gab nur eine Gegenstimme. Der Gesetzesentwurf zielt unter anderem auf eine schnellere Überprüfung von Hassverbrechen durch das US-Justizministerium sowie die Erweiterung von Kanälen ab, über die Vorfälle gemeldet werden können. Öffentliche Aufklärungskampagnen sollen dafür sorgen, dass das Bewusstsein für Hassverbrechen wächst.
Thema im Repräsentantenhaus
Das Votum für das Gesetz zeige den Betroffenen: «Wir sehen euch, wir werden euch beistehen, wir werden euch beschützen», erklärte die Senatorin und Irak-Veteranin Tammy Duckworth, deren Mutter chinesischstämmige Thailänderin war. Es müsse aber noch sehr viel mehr getan werden. Das Repräsentantenhaus – die zweite Kammer des US-Kongresses – wird sich voraussichtlich in diesem Monat mit dem «Covid-19 Hate Crimes Act» befassen.
Der amerikanische Historiker und Musikkritiker Jeff Chang betont, dass das Narrativ, Asiaten wären Träger von Krankheiten und würden von aussen ins Land kommen, um die Orte zu verseuchen, keine neue Erzählung sei. Es werde nicht über Nacht gelingen, dieses Vorurteil zu zerstören, sagt Chang in einem Podcast des US-Nachrichtenportals Vox. «Ich denke, in diesem Moment fordert die asiatisch-amerikanische Gemeinschaft, gesehen zu werden. Also erheben wir jetzt unsere Stimmen. Wir sagen: Hey, seht ihr, was hier passiert? Wir brauchen eure Hilfe, klar? Wir brauchen eure Unterstützung.»