Muss Bern beim Öl-Embargo mitziehen? «Der Druck mitzumachen, steigt»

Von Oliver Kohlmaier

4.5.2022

Anlagen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH im deutschen Schwedt.
Anlagen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH im deutschen Schwedt.
Bild: Keystone/dpa/Patrick Pleul

Die EU steht kurz vor einem Öl-Embargo gegen Russland. Ist als Nächstes Erdgas dran? Und kann es sich die Schweiz erlauben, abseits zu stehen? Wir haben mit einer Politologin gesprochen.

Von Oliver Kohlmaier

Lange war in der EU gestritten worden über ein mögliches Öl-Embargo gegen Russland. Vor allem Deutschland erwies sich zum Ärger vieler Verbündeter als Bremser, gab seinen Widerstand aber nun auf.

Woher kommt der deutsche Sinneswandel — und zieht die Schweiz wie bei den vorangegangenen Sanktionen mit? Wir haben mit der Politologin Stefanie Walter gesprochen.

Russland verkauft schon jetzt weniger Erdöl. Wird ein Embargo dem Land überhaupt noch signifikant schaden?

Solche Ausfälle akkumulieren sich über die Zeit. Dass das Land nun schon seit Monaten weniger Öl verkauft, schadet der russischen Wirtschaft natürlich. Je besser die Embargos greifen, je länger die Sanktionen dauern, umso weniger Erdöl verkauft Russland. Damit sinkt natürlich dessen Fähigkeit, etwa neue Waffensysteme zu kaufen. Das ist auch eines der ultimativen Ziele — man versucht, Russland in diesem Krieg zu schwächen.

Zur Person
zVG

Stefanie Walter ist ordentliche Professorin für Internationale Beziehungen und Politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich und dessen stellvertretende Leiterin. Sie forscht insbesondere zu internationaler Wirtschaftspolitik und Globalisierung.

Deutschland hat seinen Widerstand gegen ein Öl-Embargo der EU aufgegeben. Dieses sei nun verkraftbar, heisst es aus Berlin. Hat der Sinneswandel nur wirtschaftliche Ursachen?

Die aktuelle Situation zeigt, dass Russland bislang nicht kompromissbereit ist und es daher wichtig ist, dass der Westen weiterhin zusammensteht. Deutschland steht unter sehr grossem Druck, bei einem Embargo mitzumachen, idealerweise von Öl und Gas. Letzteres ist für Deutschland noch schwieriger.

Beim Erdöl hat Deutschland nun allerdings Varianten gefunden, wie es die Nachfrage zumindest grösstenteils abdecken kann, auch etwa in Raffinerien wie Schwedt, wo das vorher schwierig war. In diesem Fall hat man sich mit Polen geeinigt, dass man Pipelines von dort mit nutzen kann. 

Dies macht es Deutschland nun möglich, umzusteigen auf andere Ölquellen. Dass man hier auf andere — in der Regel teurere Quellen umsteigt, liegt allerdings nicht in einem wirtschaftlichen Rational begründet. Dahinter stecken vielmehr ganz klar geopolitische Überlegungen.

Bisher hat sich die Schweiz EU-Sanktionen jeweils angeschlossen. Kann es sich das Land überhaupt leisten, im Abseits zu stehen?

Das ist natürlich eine schwierige Frage. Die Schweiz ist stark von Erdöl- und Erdgas-Importen abhängig. Deshalb hat eine Reduktion der Importe russischen Erdöls durch andere Staaten automatisch auch hierzulande Auswirkungen.

Auch für die Schweiz stehen wirtschaftliche, aber auch sicherheits- und geopolitische Fragestellungen im Mittelpunkt. Wo steht man in diesem Konflikt, wenn man sich nicht an den Sanktionen beteiligt? Stützt man damit implizit Russland? Diese Überlegung war auch der Grund, warum man sich den Sanktionen bisher angeschlossen hat. Man hat gesagt: Bei einem so eklatanten Bruch des Völkerrechts kann die Schweiz nicht abseits stehen.

Ich denke, für die Schweiz ist es sehr schwierig, nicht mitzumachen, aber eben auch kostspielig, dabei zu sein.

Wermuth: «Da hat es mir den Nuggi rausgehauen»

Wermuth: «Da hat es mir den Nuggi rausgehauen»

Als Teenager zog Cédric Wermuth als Austauschschüler in die Ukraine. Bei Roger Schawinski spricht der Co-Präsident der SP über Sanktionen gegen Russland, Oligarchen in der Schweiz und den Krieg.

27.03.2022

Müsste die Schweiz aus Ihrer Sicht Konsequenzen befürchten, sollte sie nicht mitziehen — möglicherweise sogar Sanktionen der EU?

Eine gute Frage. Grundsätzlich findet der ganze Konflikt ohnehin in einem schwierigen geopolitischen Umfeld statt. Es geht nicht nur um den Krieg in der Ukraine in Isolation. Das Ganze spielt sich vor dem Hintergrund grundsätzlicher geopolitischer Verschiebungen ab, wie der Konflikt zwischen den USA und China. Die Frage ist, wo die EU in diesem Kräftemessen steht, wie sie sich wirtschafts- und sicherheitspolitisch aufstellt.

In dieser Gemengelage muss sich auch die Schweiz fragen, wie sie sich positioniert. Lange war es so, dass sich die Schweiz — auch durch die Neutralität — als kleines, handelsstarkes Land sehr stark davon profitieren konnte, dass man eigentlich mit allen auf gutem Fuss stand.

Jetzt wird das immer schwieriger. Durch die geopolitischen Verschiebungen kann es sein, dass die Schweiz sich immer häufiger mit der Frage konfrontiert sieht, auf wessen Seite sie steht — implizit oder explizit. Der Druck mitzumachen, steigt. Natürlich haben andere Staaten eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die Schweiz mehr oder weniger offen zu zwingen, mitzumachen — oder zumindest Anreize dafür zu schaffen. Ich denke daher schon, dass ein Abseitsstehen politische Konsequenzen und Kosten hat.

Als weitere Sanktionsmöglichkeit bliebe der EU vor allem noch ein Embargo von Erdgas, wo die Abhängikeit weitaus grösser ist als beim Erdöl. Halten Sie ein baldiges Gas-Embargo für realistisch?

Die spannende Frage ist, wie lange es diesen Spielraum noch gibt. Denn Russland könnte durchaus als erstes den Gashahn zudrehen. Das Land hat bereits einen Exportstopp nach Polen und Bulgarien verfügt. Es könnte ein spannendes Spiel werden bei der Frage, wer als Erstes dran ist — mit den ähnlichen Konsequenzen für beide Seiten. Ich habe auch bei den Gasimporten den Eindruck, dass Bemühungen laufen, sich so schnell wie möglich unabhängig zu machen.

Das gestaltet sich jedoch weitaus schwieriger als beim Erdöl. Auf der einen Seite sind die Europäer auf russisches Gas dringend angewiesen und es ist viel schwieriger als beim Erdöl, es zu ersetzen. Auf der anderen Seite braucht Russland die Devisen. Der Erdgas-Transport wird zudem über Pipelines abgewickelt, die nun mal nach Westen ausgerichtet sind. Russland kann nicht einfach sagen, ‹wir liefern jetzt nach China›, weil die ganze Infrastruktur dafür fehlt.

Die Abhängigkeit ist auf beiden Seiten da — die Frage ist, wer sich zuerst bewegt. Eines ist klar: Wenn man möglichst weit gehen und Russland schaden will, wäre ein Gas-Embargo ein gutes Mittel. Die Frage ist jedoch: Kann man das durchhalten? Die Frage ist auch, was man erreichen will. Für die Schwächung Russlands ist es sicherlich ein sinnvolles Ziel, einen Regime Change werden wir in Russland eher nicht sehen. Die Forschung zeigt, dass dies eher nicht passieren wird.