Reaktion auf Christchurch Der Aufstand der Anständigen

Philipp Dahm

19.3.2019

Eine Frau legt am Samstag, den 16. März in Christchurch Blumen nahe des Tatorts ab.
Eine Frau legt am Samstag, den 16. März in Christchurch Blumen nahe des Tatorts ab.
Bild: Keystone

Die Reaktionen auf den Christchurch-Amoklauf in einem Wort? Respekt. Vom #EggBoy über kleine Gesten der Menschlichkeit bis zum Volksbegehren – der fünfte Kontinent geht grossartig mit der Untat um.

Der Mann wähnt sich auf einem Kreuzzug. Fraser Anning, 69 Jahre alt, sitzt für die rechtspopulistische Partei One Nation im australischen Senat. Ein Farmer mit britischen Vorfahren. Ein Hotelbesitzer, der vier Jahre bei der Armee war. Was ihn umtreibt: der Islam. Sein Feind: das Fremde.

Immer und immer wieder attackiert der Reservist. Vor allem den Islam – auch wenn der bekennende Rassist seine Sekundärziele hat. Anning agitiert gegen Andersdenkende, Ausländer, Homo- und Transsexuelle. In Reden, in Debatten, in sozialen Netzwerken nimmt er die Minoritäten ins Visier, und immer wieder trifft es die muslimische Gemeinschaft. 

Es sind nicht zuletzt auch seine Worte, die in einer Untat enden: Der National-Terrorismus brodelt an die Oberfläche, in Christchurch fliesst Blut.

Christchurch am 15. März 2019.
Christchurch am 15. März 2019.
Bild: Keystone

Der Vater zweier Töchter twittert noch am Freitag: «Der wahre Grund für das heutige Blutvergiessen auf Neuseelands Strassen ist die Einwanderungspolitik, die vorher ermöglicht hat, dass muslimische Fanatiker einwandern. Damit das klar ist: Heute sind Muslime die Opfer, aber normalerweise sind sie die Täter. Auf der ganzen Welt töten Muslime im grossen Stil im Namen ihres Glaubens.»

Anning bekommt, was er will: Empörung. Bis zur «Washington Post» und dem britischen «Guardian» widerhallt der Affront, bis sich selbst Australiens Premier Scott Morrisson bemüssigt fühlt, auf Twitter Stellung zu nehmen.

Es riecht nach Schema F: Politiker distanzieren sich, Aufschrei in den liberalen Medien – dabei passiert von nun an bloss Bemerkenswertes. Die Gesellschaft übt den kollektiven Schulterschluss.

Trauer in Christchurch am 16. März.
Trauer in Christchurch am 16. März.
Bild: Keystone

Die politischen Ebene sei jetzt einmal aussen vor gelassen, obwohl auch hier Beachtliches geschieht: von glaubhafter Anteilnahme über klare Ächtung bis hin zum rapide umgesetzten Waffenverbot. Vielleicht sagt aber mehr über eine Gesellschaft aus, was die Bürger – auf allen Ebenen – auf eine solche Untat hin unternehmen. Und wie prompt sie es tun.

Untere Ebene: #EggBoy vs. Fraser Anning

Anning will aus seinem Twitter-Pamphlet PR-Profit schlagen. Um den kühl kalkulierten Eklat in bare Sendezeit zu verwandeln, setzt er am Samstag eine Pressekonferenz an – sie wird gut besucht. Die Aufmerksamkeit richtet sich ganz auf ihn. Wäre da nicht der Teenager hinter ihm.

Screenshot: YouTube

Gerade als Anning vor den Kameras die islamische Gefahr heraufbeschwört, zückt der Teenie mit dem Handy ein Ei und filmt, wie er es an Annings Kopf klatscht. Der Getroffene kontert humorlos mit einer trockenen Rechten, nach einem zweiten Schlag und einigen Tritten von One-Nation-Anhängern wird der Junge abgeführt.

Der Niederschlag ist jedoch kein Knock-out: Journalisten und Twitter-User verbreiten die Tat des Teenagers, der nur noch #EggBoy heisst. Auf Twitter und Facebook fliegen ihm die Sympathien nur so zu, Bands bieten ihm am Wochenende Gratistickets an, der Junge wird zum Symbol einer Anti-Rassismus-Bewegung.

Eine Crowdfunding-Kampagne sammelt Geld für allfällige Rechtsberatungen – und mehr Eier. Zwar ist der Initiant fragwürdig, aber es kommen in zwei Tagen die gewünschten 50'000 Dollar zusammen. Und während der Teenie von der Polizei bald entlassen wird, wird gegen seinen Kontrahenten wegen der Schläge ermittelt.

Mittlere Ebene: Mittelpunkt Mensch

Respekt für die Opfer: Schüler führen am 18. März in Christchurch den Haka-Tanz der Ureinwohner vor.
Respekt für die Opfer: Schüler führen am 18. März in Christchurch den Haka-Tanz der Ureinwohner vor.
Bild: Keystone

Unter den vielen Betroffenen, die so eine Tat zurücklässt, gibt es immer einige, die nicht ruhen können. Die etwas tun wollen, um ihre Anteilnahme mit Hinterbliebenen und ihren Respekt für die Opfer auszudrücken. Irgendetwas. Dies unabhängig vom Glauben, der Hautfarbe, der Herkunft. Menschen, die im Kleinen zusammenrücken, im Weiteren Solidarität demonstrieren – und eine Gesellschaft bilden.

Ein Junge bringt Polizisten, die eine Moschee bewachen, Saft und Sandwiches.
Ein Junge bringt Polizisten, die eine Moschee bewachen, Saft und Sandwiches.
Bild via Reddit

Meta-Ebene: Schwarmintelligenz

Fraser Anning allerdings dürfte schon jetzt bedient sein. Nach dem Tiefschlag gegen den Teenager und den folgenden Polizeiermittlungen ist er auf Social Media eine Persona non grata. Er hat es doch tatsächlich geschafft, den gesamten fünften Kontinent gegen sich aufzubringen. Eine Petition, ihn aus dem Parlament zu entlassen, geht schnörkellos mit einem australischen Rekord einher: Nie zuvor kamen in so kurzer Zeit so viele Unterschriften zustande. In drei Tagen haben 1,25 Millionen zugestimmt.

Diese gesellschaftliche Geschlossenheit imponiert augenscheinlich auch international – die Indizien reichen vom Schweizer «nau»-Bericht über einen saftigen Fraser-Anning-Rant des britischen TV-Satirikers John Oliver bis hin zu Statements der Schauspieler Armie Hammer und Dev Patel.

Deutlich: John Oliver in seiner HBO-Newssatire «Last Week Tonight»

Hammer und Pavel wollen eigentlich für den Film «Hotel Mumbai» werben , schweifen aber ab und reflektieren das Blutbad. Hammer sagt: «Jeder sollte wie Egg Boy sein.» In einer Gesellschaft besterdings, die immer derart geschlossen reagiert, wenn eine(r) der ihren angegriffen wird: Neuseelands Bürger sind der Lichtblick beim dunklen Massaker von Christchurch.

Hammer und Pavel im Interview.

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