Lagebild Ukraine Das Schlachtfeld kommt mehr und mehr in Bewegung

Von Christian Thumshirn und Philipp Dahm

24.4.2023

Lagebild Ukraine: Das Schlachtfeld kommt mehr und mehr in Bewegung

Lagebild Ukraine: Das Schlachtfeld kommt mehr und mehr in Bewegung

Die Luft in Bachmut wird immer dünner, doch die Verteidiger halten stand. Im Norden gibt es Scharmützel, während im Süden ukrainische Kräfte möglicherweise die erwartete Grossoffensive vorbereiten: Ukrainische Truppen haben den Dnepr überschritten.

24.04.2023

Die Luft in Bachmut wird immer dünner, doch die Verteidiger halten stand. Im Norden gibt es Scharmützel, während im Süden ukrainische Kräfte möglicherweise die erwartete Grossoffensive vorbereiten.

Von Christian Thumshirn und Philipp Dahm

Theoretisch ist alles angerichtet: Die Flugabwehrsysteme Patriot aus den USA und Deutschland sind in der Ukraine eingetroffen, die Panzer und Schützenpanzer aus dem Westen sind angekommen – und neu trainiertes Personal ist aufgestellt. Doch bevor wir mehr solche Bilder zu sehen bekommen ...

... wird wohl noch ein wenig Zeit vergehen: Die ganze letzte Woche hat es in der Ostukraine geregnet. Die Felder sind voller Schlamm: Bisher sieht man den deutschen Leopard 2A4 deshalb auch nur, wenn er sich mühsam durch den Matsch quält. Für grossangelegte Manöver sollte das Schlachtfeld trockener sein – doch auch die kommende Woche wird nass werden, so der Wetterbericht.

Aber hat die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin nicht gesagt, die Gegenoffensive habe bereits begonnen? Die Antwort lautet: Jein. Hanna Maliar sagt zwar, dass Vorbereitungen im Gange sind und die Befreiung der Ukraine ein langfristiges Ziel sei. Doch sie mahnt auch: «Wir sollten die Gegenoffensive nicht auf bestimmte, grossangelegte Vorstösse herunterbrechen.»

Und doch scheint Bewegung in die Fronten zu kommen. Für Kiew ist es wichtig, Bachmut weiterhin so lange zu halten wie möglich – um russische Truppen hier zu binden und Angriffe an anderen Frontabschnitten zu vereinfachen. Die Angreifer haben inzwischen den Bahndamm überschritten und rücken langsam weiter nach Westen vor. 

Nördliche Verbindung nach Bachmut unterbrochen

Im Norden der Stadt kann die russische Armee einen Erfolg vermelden, weil sie weiter auf die Verbindungsstrasse nach Tschassiw Jar vorrückt. Dort kann sie einen Schützengraben direkt an der Strasse einnehmen. Um in diesem nicht eingekesselt zu werden, werden auch die dahinter liegenden Gräben genommen.

Der erste Schützengraben (links, gelb) drohte, umschlossen zu werden. Die russische Armee hat deshalb die Linien dahinter eingenommen (in Höhe der Pfeile). Im Bogen darunter: die Verbindindungsstrasse zwischen Tschassiv Jar und Bachmut.
Der erste Schützengraben (links, gelb) drohte, umschlossen zu werden. Die russische Armee hat deshalb die Linien dahinter eingenommen (in Höhe der Pfeile). Im Bogen darunter: die Verbindindungsstrasse zwischen Tschassiv Jar und Bachmut.

Die ukrainischen Streitkräfte nehmen das Gebiet daraufhin unter Artilleriefeuer, rücken mit mechanisierten Einheiten vor und bilden einen Puffer zur Strasse, von dem aus sie versuchen, die Russen weiter nach Norden hinter eine Kette von Bäumen zu drängen, wo sie keine direkte Sicht mehr auf die Strasse haben.

Ukrainische Soldaten haben sich zurück in die Schützengräben gekämpft, doch russische Angreifer haben immer noch freie Sicht auf die Strasse.
Ukrainische Soldaten haben sich zurück in die Schützengräben gekämpft, doch russische Angreifer haben immer noch freie Sicht auf die Strasse.
YouTube/Reporting from Ukraine

Der Verbindungsweg bleibt jedoch vorerst unbenutzbar. Doch Nachschub bekommen die Verteidiger nach wie vor über die Autobahn bei Ivanivske und angeblich auch über Tunnel. Der Befehlshaber des Heeres zeigt sich bei Telegram direkt an der Front: «Wir treffen den Feind – oft unerwartet für ihn – und halten weiter unsere strategischen Linien», so Generaloberst Oleksandr Syrskyj.

Russland stärkt Kräfte bei Kreminna

Doch während Bachmut in den letzten Wochen auch im medialen Fokus steht, geht im nördlichsten Frontabschnitt der Kampf seit Wochen weiter, ohne dass die Öffentlichkeit gross Kenntnis davon nimmt. Die 1. Gardepanzerarmee und die 47. Gardepanzerdivision, die hier die Stellungen halten, sind allerdings stark dezimiert worden, weiss das Washingtoner Institute for the Study of War

Im nördlichsten Frontabschnitt ist Kupjansk die Schlüsselstadt.
Im nördlichsten Frontabschnitt ist Kupjansk die Schlüsselstadt.
Militaryland

Weiter südlich bei Kreminna hat Russland seine Kräfte verstärkt. Luftlandetruppen sind ebenso zugeführt worden wie Speznas-Einheiten und die thermobarische Artillerie TOS-1. Diese ist natürlich ideal dafür geeignet, angreifende Infanterie im Wald westlich von Kreminna unter Feuer zu nehmen.

Weiter nach Süden: Im Oblast Donezk rechnet Kiew mit einer erneuten russischen Offensive auf die Kohle-Keinstadt Wuhledar. «Der Feind nutzt die Taktik der verbrannten Erde», sagt dazu Armee-Sprecher Oleksii Dmytrashkivskyi. Am Wochenende sei die Stadt mehrfach auch mit Jets angegriffen worden. Das Ziel: hohe Gebäude.

Offensiven bei Wuhledar und in Saporischschja?

«Das wird gemacht, um zu verhindern, dass unsere Verteidiger die Linie halten. Häuser werden zerstört», berichtet Dmytrashkivskyi. «Im Militär-Jargon heisst das ‹Häuser auseinandernehmen›, Etage für Etage, und das passiert sowohl in Bachmut als auch in Wuhledar.» Auch die Ukraine setzt ihre Luftwaffe ein, muss dabei aber auch Verluste hinnehmen.

Die spannendste Entwicklung spielt sich aktuell aber ganz im Süden des Schlachtfeldes ab: Schon seit Tagen liefern sich ukrainische Kräfte im Oblast Saporischschja an der Kontaktlinie Gefechte mit dem Gegner. Dabei geht es offenbar darum, deren Stärken und Schwächen auszuloten. Dörfer werden mitunter evakuiert.

Für Furore sorgt die Meldung, dass ukrainische Truppen den Dnjepr überquert haben. Soldaten sind demnach mit Booten über den Fluss gefahren, um vor der Stadt Oleschky in russisch besetztes Territorium vorzudringen. Wie das einzuordnen ist, siehst du im Video ganz oben.

Waffen-Update

Zu den militärischen Aktionen im Süden gehört auch ein ukrainischer Angriff auf die Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Der ist jedoch fehlgeschlagen – sagt zumindest Moskau: Demnach hätten zwei Drohnen-Boote attackiert, von denen eins zerstört wurde und eines frühzeitig explodiert sei. Es seien keine Schäden angerichtet worden.

Bewegung herrscht auch beim Nachschub mit westlichen Waffen: Dänemark und die Niederlande wollen gemeinsam 14 Leopard 2A4 für die Ukraine einkaufen. Dazu stünden 165 Millionen Euro bereit, berichtet «Army Recognition». Die Panzer sollen 2024 geliefert werden.

Verstärkung kommt auch aus Italien: Nachdem Rom Kiew bereits 20 Panzerhaubitzen vom Typ M109L Paladin geliefert hat, sollen nun noch einmal 40 weitere Exemplare folgen, von denen 20 bereits auf einem Zug gesichtet wurden, der durch Österreich gefahren ist.

Im jüngsten US-Paket für die Ukraine stecken neue Himars-Raketen, Munition für 105- und 155-Millimeter-Haubitzen, Panzerabwehrraketen vom Typ TOW und AT-4, Minen und weitere Ausrüstug.