Israel weckt Zweifel an bevorstehender Bodenoffensive in Gaza
STORY: Das israelische Militär will eigenen Angaben zufolge im Gazastreifen nicht unbedingt zu einer Bodenoffensive übergehen. Man bereite sich auf die nächsten Kriegsphasen vor, sagte ein Militärsprecher am Dienstag in Jerusalem. Man habe bisher nicht mitgeteilt, worum es sich handele. Alle würden zwar von einer Bodenoffensive sprechen, es könne aber auch etwas anderes sein. Die humanitäre Lage in Gaza ist angespannt, auch weil Israel das Gebiet kontinuierlich unter Beschuss nimmt. Befürchtet wird, dass eine Bodenoffensive die Lage erheblich verschlimmern würde. Israel hat den Gazastreifen abgeriegelt und die Bevölkerung im Norden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Dies wurde vor allem in der arabischen Welt scharf kritisiert. Nach Bundeskanzler Scholz am Dienstag wird am Mittwoch auch US-Präsident Joe Biden in Israel erwartet. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe zugesichert, er werde einen Plan entwickeln, um humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza zu organisieren, sagte US-Aussenminister Antony Blinken. Möglich wäre dies am Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, der allerdings nach wie vor geschlossen ist. Auf ägyptischer Seite stehen mittlerweile tonnenweise Hilfsgüter bereit, die Israel aber nicht in den Gazastreifen liefern lässt, weil davon auch die Hamas profitieren könnte. Andererseits haben sich auf Gaza-Seite zahlreiche Doppelstaatler versammelt, um das Gebiet Richtung Ägypten verlassen zu können. Die Regierung in Kairo fürchtet, dass damit auch zahlreiche Palästinenser nach Ägypten flüchten könnten und lässt Einreisen derzeit nicht zu. Irans geistliches und staatliches Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei warf Israel vor, im Gazastreifen einen «Völkermord» zu begehen, der «sofort» beendet werden müsse. Man müsse reagieren auf das, was in Gaza geschehe, sagte Chamenei im staatlichen Fernsehen. Iran gilt als Erzfeind Israels und unterstützt die Hamas. Bei den israelischen Luftangriffen auf Gaza sind seit dem 07. Oktober bislang mehr als 2800 Palästinenser getötet worden, ein Viertel davon Kinder. Etwa die Hälfte der 2,3 Millionen Bewohner des Gazastreifens haben ihr Zuhause verlassen.
18.10.2023
Israels Regierung hat nach dem Terrorangriff der Hamas angekündigt, die radikallislamische Gruppierung mit allen Mitteln zu vernichten. Doch die viel gefürchtete Bodenoffensive bleibt vorerst aus. Die Gründe.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Nach der Attacke der Hamas auf Israel vom 7. Oktober hat die israelische Regierung angekündigt, die Terrormilliz mit allen Mitteln zu vernichten.
- Das heisst, das israelische Militär wird aus der Luft, über das Meer und zu Land zurückschlagen.
- Doch der vielgefürchtete Einmarsch der Bodentruppen in den Gazastreifen bleibt vorerst aus.
- Laut einem Militärexperten gibt es mehrere Gründe für Israels Zögern.
- Erstens: Israel hat noch Gründe, zu verhandeln. Zweitens: Die internationale Politik macht Druck auf Israel – allen voran deren Verbündeter, die USA. Drittens: Die Hamas hat einen «Heimvorteil» im Gazastreifen. Viertens: Die latente Gefahr an der Grenze zu Libanon.
Eine umfassende Offensive aus der Luft, über das Meer und zu Land sei die einzige Möglichkeit, um diese Schlacht zu gewinnen, verkündete Tzachi Hanegbi, Chef für nationale Sicherheit jüngst. Israel werde die militärischen und administrativen Fähigkeiten der Hamas zerstören und sicherstellen, dass sie nicht wieder aufgerichtet werden können.
Mit diesen deutlichen Worten macht Hanegbi klar: Für Israel gibt es keine andere Option als die Vernichtung der Hamas. Dass dies über einen baldigen Einmarsch von Bodentruppen passieren soll, daran liess die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu bereits kurz nach dem Terrorangriff der Hamas von vor gut zwei Wochen keine Zweifel.
Seither sind Zehntausende Palästinenser im Gazastreifen auf der Flucht. Die internationale Politik und Medien erwarteten den Einmarsch der israelischen Truppen in den Gazastreifen bereits vergangenes Wochenende.
Doch der ist bis jetzt ausgeblieben. Warum?
Zuletzt wurde gemunkelt, dass der bewölkte Himmel und die damit verbundene schlechte Sicht für Soldaten, Drohnen und Piloten für das bisherige Ausbleiben der Truppenbewegung dafür verantwortlich sei.
Doch mittlerweile zeichnen sich auch andere Gründe ab.
1) Israel hat noch Gründe zum Verhandeln
Wie Militärexperte Christian Mölling im Morgenmagazin des deutschen Senders ZDF einschätzt, ist Israels Zögern mehrschichtig.
Laut Mölling wolle Israel den Lösungen, die über Verhandlungen erreicht werden könnten, noch mehr Zeit einräumen. Sobald es nichts mehr zu verhandeln und auch keine Geiseln mehr zu befreien gebe, dann könnte die Bodenoffensive beginnen. Zudem schätzt der Militärexperte, dass Israel versuche, eine Lösung zu finden, in der so wenig Zivilisten wie möglich getroffen werden.
Ähnlich tönt es seitens der israelischen Armee. Deren Sprecher, Arye Sharuz Shalicar, sagte am Sonntagabend bei ARD, dass noch mehr palästinensische Zivilisten den Süden des Gazastreifens erreichen sollten, damit sie bei einer Bodenoffensive im Norden des Küstenstreifens nicht in Gefahr geraten.
2) Politischer Druck
Darüber hinaus sieht Mölling auch den politischen Druck, allen voran die USA, als weitere Begründung, dass Israel nicht sofort mit der Bodenoffensive beginnt. US-Präsident Joe Biden hatte in einem am Sonntag veröffentlichten Interview eventuelle Pläne Israels zu einer möglichen Besetzung des Gazastreifens als «grossen Fehler» bezeichnet.
3) «Heimvorteil» der Hamas
Bei einer möglichen Bodenoffensive sieht Militärexperte Mölling einen deutlichen Heimvorteil für die Hamas-Terroristen im Gazastreifen. Die Hamas bewege sich «natürlich in ihrem Territorium, (...) wo sie jeden Winkel, jede Ecke kennt». Ein Territorium, das von der Fläche zwar klein, aber gerade in Ballungszentren extrem dicht besiedelt ist. Das berüchtigte Tunnelsystem, das den Untergrund des Gazastreifens durchzieht, erschwert die Arbeit der Bodentruppen erheblich.
Weiter gelte es zu beachten, dass es sich bei der Hamas um keine Armee, sondern eine Terrorgruppe handle, sagt Mölling. Da sei für die israelischen Truppen nur schwer zu erkennen, wer Terrorist und wer Zivilist sei. Die Soldaten würden in eine Situation kommen, «in der sie zwischen Freund und Feind kaum unterscheiden können».
Verschärft werde die Situation dadurch, dass die Gruppierung Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutze und sich «einfach dahinter versteckt», betont Mölling. Alle – vor allem die Israelis – seien sich darüber im Klaren, «dass das eine sehr schwierige Operation werden wird», die nicht nur das Leben von Palästinensern und Hamas-Kämpfern fordern werde, sondern «vor allen Dingen israelische Leben», sagt der Experte.
4) Latente Gefahr aus dem Libanon
Während der Fokus derzeit vor allem auf der Region um den Gazastreifen liegt, spitzt sich die Lage auch an der israelischen Grenze zum Libanon zu.
Seit den Terrorattacken der Hamas auf Israel und den Gegenschlägen der israelischen Armee kam es in den vergangenen Tagen vermehrt zu Zwischenfällen an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon. Die Sorgen vor einer weiteren Eskalation mit der pro-iranischen Schiitenmiliz Hisbollah wachsen.
«Aus Sicht der Israelis ist es natürlich schlecht, wenn man sich um zwei Probleme gleichzeitig kümmern muss», resümiert der Experte.
Das spiele auch bei den Überlegungen zur Bodenoffensive eine Rolle. Die Israelis müssten schauen, wie man es hinkriegt, im Gazastreifen aktiv zu werden, ohne gleichzeitig viele andere Probleme im Norden – aber auch möglicherweise im Westjordanland, der sogenannten West Bank – auszulösen.
Schwarmangriff auf Schutzschild: So konnte die Hamas Israels «Iron Dome» aushebeln
Allein in den ersten beiden Kriegstagen soll die palästinensische Hamas 3500 Raketen auf Israel abgefeuert haben. Ein solch massiver Angriff zeigt auch die Grenzen des israelischen Raketenabfangsystems auf.
09.10.2023