Coup im Schwarzen Meer Darum ist für Kiew die Befreiung der Bohrtürme so wichtig

Philipp Dahm

12.9.2023

Grund zu feiern: Ukrainische Spezialkräfte haben im Schwarzen Meer vier Bohrplattformen von den Russen zurückerobert.
Grund zu feiern: Ukrainische Spezialkräfte haben im Schwarzen Meer vier Bohrplattformen von den Russen zurückerobert.
GUR

Im Jahr 2014 hat Russland bei einem ersten Überfall auf die Ukraine auch vier Bohrplattformen eingenommen, die militärisch genutzt wurden. Dass Kiews Kräfte sie nun wieder zurückerobern konnten, ist ein grosser Erfolg.

P. Dahm

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  • 2014 hat Russland die Bohrplattformen Tavrida, Syvash, B312 alias Petro Godovanets und B319 alias Bojko-Türme im Schwarzen Meer eingenommen.
  • Sie wurden mit Geräten für Radar und Hydroakustik aufgerüstet.
  • Im Juni 2023 begann die Ukraine mit Angriffen auf die Bohrplattformen.
  • Im August werden Videos öffentlich, die Attacken mit ukrainischen Schnellbooten zeigen.
  • Im September feiert der ukrainische Militärgeheimdienst die Rückeroberung aller vier Bohrplattformen.

2009 entdeckt die staatliche ukrainische Chornomornaftogaz im Schwarzen Meer das Odeske-Gasfeld. Ein Jahr später wird ein gewisser Jurij Bojko der neue Minister für Brennstoff und Energiewirtschaft. Er gilt als enger Vertrauter des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch.

Um das Gasfeld auszubeuten, kauft die Ukraine beim Singapurer Unternehmen Keppel eine Bohrplattform. Aber nicht direkt: Die britische Firma Highway Investments Processing wird dazwischengeschaltet. Die Folge: satte Mehrkosten. 2011 kostet die Bohrplattform, die bald Bojkos Namen trägt, statt 248 Millionen Dollar über 400 Millionen Dollar.

2014 überfällt Russland die Ukraine zum ersten Mal. Moskaus Männer besetzen im März mehrere künstliche Inseln der Ukraine: die selbsthebenden Plattformen Tavrida und Syvash sowie die Bohrplattformen B312 alias Petro Godovanets und B319 alias Ukraine alias Bojko-Türme, die erst 2010 und 2012 in Dienst gestellt worden sind.

Russland schleppt die Bohrplattformen in Richtung der annektierten Krim und platziert sie beim Gasfeld Golizyn. 2022, als Russland die Ukraine erneut überfällt, sind die vier Bohrplattformen militärisch aufgerüstet worden. Ein Newa-Radar und Geräte für Hydroakustik versetzen Moskau in die Lage, die See zwischen der Krim und Odessa genau zu überwachen.

Hin und her im Schwarzen Meer

Doch das verhindert nicht, dass sich die Ukraine nach anfänglichen Verlusten die Hoheit vor der eigenen Küste zurückerobert. Am 14. April 2022 wird die «Moskwa» versenkt, Ende Juni 2022 die Schlangeninsel zurückerobert. Bis Kiew aber seine früheren Bohrplattformen befreien kann, vergeht über ein Jahr.

Im Juni 2023 gibt es auch die ersten Raketenangriffe auf die Bojko-Türme. Am 22. August 2023 greifen sie ukrainische Spezialeinheiten an. Der Kreml entsendet eine Su-30, die die Schnellboote aufhalten soll. Moskau meldet, dass zwei der in den USA gebauten Schiffe versenkt worden seien.

Doch einen Tag später kommt ein Dementi, das peinlich für den Kreml ist. Tatsächlich ist der 23. August «ein rabenschwarzer Tag für Putin – nichts als Ärger». Denn der ukrainische Militärgeheimdienst GUR veröffentlicht ein Video, das zeigt, dass die Schnellboot-Mannschaft den Kampfjet mit einer schultergestützten Boden-Luft-Rakete trifft und zur Umkehr zwingt.

Russlands Propaganda fliegt auf – schon wieder

Die Kämpfe um die Bohrplattformen halten an, stellt der britische Auslandsgeheimdienst MI6 Ende August fest. Der Kreml meldet erneut grossartige Erfolge: Am 30. August will Russland vier ukrainische Kampfboote mit insgesamt 50 Mann Besatzung zerstört haben.

Doch die Gegenseite beweist erneut mit einem Video, dass es sich ganz anders zugetragen hat. Lediglich ein ukrainischer Soldat ist über Bord gegangen, als Schnellboote einer angreifenden Su-27 ausgewichen sind. Wegen des Kampfjets kann der Mann mit dem Kampfnamen Conan nicht sofort gerettet werden.

Doch Kiew lässt aufwendig nach ihm suchen: Eine Drohne vom Typ Bayraktar TB2 spürt ihn schliesslich auf. «Unglaublich kraftvoll in Geist und Körper: Conan ist jetzt nicht nur in unserer Einheit eine Legende, sondern bei allen Spezialeinheiten», schreibt die Spezialeinheit Artan. «Er hat über zwölf Stunden auf offener See verbracht und überlebt, weil er wusste, dass seine Kameraden definitiv zurückkommen, um ihn zu holen.»

Kiew: Alle vier Bohrplattformen wurden zurückerobert

Im September lässt Kiews Militär nicht nach: Es gelingt den Spezialkräften schliesslich, die Bojko-Türme zu erobern. Das teilt der ukrainische Militärgeheimdienst am 11. September mit. Es habe sich um eine «einzigartige Operation» gehandelt, bleibt der GUR auf Telegram vage.

Bei der Befreiung erbeuten die Ukrainer sowohl das Newa-Radar als auch ungelenkte Luft-Boden-Raketen für Kampfhelikopter vom Typ NAR. Die Aktion ist einerseits wegen der Möglichkeit, Rohstoffe abzubauen, ein Erfolg, andererseits kann die Plattform für Überwachung, elektronische Kampfführung und als Helikopter-Basis genutzt werden.

Nach ukrainischen Angaben sind aber nicht nur die Bojko-Türme befreit worden. Auch Petro Godovanets, Tavrida und Syvash seien unter ihre Kontrolle gebracht worden.