Fragen und Antworten Darum blockiert Ungarn erneut die Russland-Sanktionen der EU

dpa/uri

2.6.2022

Ungarn blockiert erneut EU-Sanktionen gegen Russland

Ungarn blockiert erneut EU-Sanktionen gegen Russland

Ungarn blockiert weiter das neue EU-Sanktionspaket gegen Russland: Das Land weigert sich, den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill auf die Sanktionsliste zu setzen.

02.06.2022

Der Weg für das neue Paket mit Russland-Sanktionen sei endlich frei, hiess es nach dem jüngsten EU-Gipfel. Doch schon einen Tag später blockiert Ungarn den Beschluss. Nicht zum ersten Mal.

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Ungarn stellt die Geduld der anderen EU-Länder abermals auf die Probe und blockiert die Verabschiedung des jüngsten EU-Sanktionspakets gegen Russland.

Warum blockiert Ungarn die aktuellen die EU-Strafmassnahmen?

Ungarn verlangt weitere Änderungen an dem neuen EU-Sanktionspaket gegen Russland und blockiert damit erneut dessen Inkrafttreten. Konkret fordert das Land nun, auf die geplanten Strafmassnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill zu verzichten, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend bestätigten.

Was hat die EU im Sinn?

Ursprünglich hatte die EU geplant, das Beschlussverfahren für das sechste Sanktionspaket am gestrigen Mittwoch endlich auf den Weg zu bringen. Zuvor war in der Nacht zum Dienstag nach wochenlangem Streit bei einem Gipfeltreffen eine Einigung im Streit über das ebenfalls geplante Öl-Embargo erzielt worden. Ungarn setzte dabei durch, dass Öllieferungen per Pipeline zunächst von dem Einfuhrstopp ausgenommen werden.

Der ungarische Premier Victor Orban mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron am 30. Mai 2022 in Brüssel. (Archiv)
Der ungarische Premier Victor Orban mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron am 30. Mai 2022 in Brüssel. (Archiv)
Bild: Keystone

Welche Massnahmen enthält das Sanktionspaket noch?

Neben dem Öl-Embargo und den Sanktionen gegen den Patriarchen soll das sechste grosse Sanktionspaket der EU gegen Russland noch zahlreiche weitere Massnahmen enthalten. So ist geplant, die grösste russische Bank, die Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift auszuschliessen. Zudem sollen mehrere russische Nachrichtensender in der EU verboten werden.

Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland sieht vor, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien sollen wegen ihrer grossen Abhängigkeit noch bis auf Weiteres russisches Öl über die Druschba-Pipeline importieren dürfen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge wird die EU trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferungen bis Ende des Jahres rund 90 Prozent weniger Öl aus Russland beziehen. Nach Schätzungen der EU-Denkfabrik Bruegel gaben EU-Staaten bis vor Kurzem noch täglich etwa 450 Millionen Euro für Öl aus Russland sowie 400 Millionen für Gas aus.

Warum soll Patriarch Kirill sanktioniert werden?

Patriarch Kirill soll nach dem Willen der anderen EU-Staaten wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Sanktionsliste der EU kommen. Kirill pflegt engen Kontakt zu Präsident Wladimir Putin und zeigte sich bislang sehr kremltreu. Der 75-Jährige stellte sich in seinen Predigten immer wieder hinter den Kriegskurs und behauptete zuletzt sogar, dass Russland noch nie ein anderes Land angegriffen habe. Das katholische Kirchenoberhaupt Papst Franziskus sagte zuletzt ein geplantes Treffen mit Kirill ab.

Konkret würden Sanktionen gegen Kirill bedeuten, dass der Geistliche nicht mehr in die EU einreisen darf. Zudem müssten möglicherweise von ihm in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden.

Kirchenführer Kirill pflegt engen Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin. (Archiv)
Kirchenführer Kirill pflegt engen Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin. (Archiv)
Bild: Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Wie begründet Ungarn die Blockade?

Beim EU-Gipfel am Montag und Dienstag waren die geplanten Sanktionen gegen Kirill nach Angaben von Diplomaten nicht thematisiert worden. Orban hatte allerdings bereits Anfang Mai in einem Rundfunk-Interview seine Ablehnung zum Ausdruck gebracht. «Ungarn wird seine Zustimmung nicht dazu geben, dass man mit Kirchenführern auf eine solche Weise umgeht», sagte er damals. «Aus prinzipiellen Gründen ist das eine noch wichtigere Angelegenheit als das Öl-Embargo.»

Der für die «verfolgten Christen in der Welt» zuständige ungarische Staatssekretär Tristan Azbej erklärte wenig später zur ungarischen Haltung: «Die russisch-orthodoxe Kirche hat weltweit 160 Millionen Gläubige und 40'000 Priester. Die ‹völlig irre› Vorstellung der EU-Kommission würde es dem orthodoxen Kirchenoberhaupt sogar verbieten, das Territorium der EU zu betreten, das heisst, die dort lebenden Gläubigen von ihrem religiösen Führer isolieren. Diese Idee ist schädlich, sie führt nicht zur Versöhnung.»

In Ungarn selbst gibt es nach EU-Zahlen kaum Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche. Die grosse Mehrheit der Gläubigen ist demnach katholisch.

Was hat Orban vor?

Beobachter gehen davon aus, dass die Orban-Regierung mit ihren Forderungen die EU in mehreren Bereichen unter Druck setzen will. Dabei geht es nicht zuletzt um viel Geld aus Brüssel. So hat die EU bereits den Rechtsstaatsmechanismus formell gegen Ungarn auf den Weg gebracht. Demnach können EU-Gelder, die Ungarn missbräuchlich einsetzt, künftig entzogen werden.

Auch dürfte Ungarn um 7,1 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds pokern, die derzeit nicht nach Budapest überwiesen werden, weil die dazugehörigen Anträge der Orbán-Regierung der Kommission zu korruptionsanfällig erscheinen.

Unabhängig davon pflegte Victor Orban in der Vergangenheit ein gutes Verhältnis zu Wladimir Putin und traf den russischen Präsidenten regelmässig. Derzeit baut ein russisches Unternehmen südlich von Budapest ein Kernkraftwerk.