Die Zweifel der Verzweifelten Indiens Fallzahlen sinken, das Vertrauen in die Zählweise ebenso

dpa/uri

17.5.2021 - 18:08

Covid-Opfer werden in einem Krematorium in Neu Delhi zur Verbrennung vorbereitet. 
Covid-Opfer werden in einem Krematorium in Neu Delhi zur Verbrennung vorbereitet. 
Bild: Keystone

Erstmals seit einem Monat sinkt die Zahl der neuen Fälle in Indien unter 300'000 am Tag. Von einer Wende mag niemand sprechen – die offiziellen Zahlen bilden kaum die Realität ab. 

In Indien sind zuletzt wieder weniger als 300'000 Neuinfektionen an einem Tag registriert worden. Insgesamt waren es in den vergangenen 24 Stunden mehr als 281'000 neue Corona-Fälle und 4106 Tote im Zusammenhang mit Covid-19, wie Zahlen des indischen Gesundheitsministeriums am Montag zeigen.

Am Montag gab indes auch der bekannte indische Virologe Shahid Jameel seinen Rücktritt von einem Regierungsgremium bekannt, das ein Konsortium von Laboren bei der Entdeckung von Mutationen berät. Das Konsortium hatte die ansteckendere indische Virusvariante B.1.617 gefunden, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als besorgniserregend eingestuft hat.

Zuvor hatte Jameel mehrfach das Corona-Management der Regierung kritisiert. In einem Meinungsartikel in der «New York Times» schrieb er vergangene Woche, dass Indien möglicherweise den Peak nicht richtig messen könne, weil zu wenig getestet werde.

Die tatsächlichen Zahlen dürften viel höher liegen

Zuletzt berichtete auch der indische Journalist Rajesh Pathak im Gespräch mit dem Spiegel, dass die offiziellen Zahlen in Indien nicht stimmen können. Sein Team zählte die in entsprechende spezielle Säcke gehüllten Covid-19-Toten in den Spitälern der Stadt. Dabei stellten die Journalisten fest, dass die «Zahlen fünfmal so hoch, manchmal sogar zehnmal so hoch» lagen, wie die offiziell mitgeteilten Zahlen suggerieren. 



Die Journalisten fuhren auch die 21 Krematorien der Stadt mit rund 5,6 Millionen Einwohnern ab und stellten fest, dass bei 200 der Toten, die offensichtlich mit grosser Vorsicht nach den Covid-19-Richtlinien verbrannt wurden, lediglich als offizielle Todesursache «Herzinfarkt», «Lungenentzündung» und manchmal sogar «Krankheit» angegeben worden war.

Laut dem «Spiegel» sei womöglich der Druck von Behörden mit der Grund, dass die Spitäler die Todesursache nicht mehr offen kommunizieren würden. So habe etwa ein Spital in Uttar Pradesh Sauerstoffmangel öffentlich gemacht und habe daraufhin Probleme mit der Polizei bekommen. Zudem würden auch Familien häufig Covid-19 als Todesursache vertuschen, um die daraus folgenden strengen Regeln bei der Bestattung zu umgehen. In einigen Regionen seien die Spitäler allerdings auch so stark überlastet, dass fast keine Zeit bleibe, um die Totenscheine korrekt auszufüllen.

Hohe Dunkelziffer auf dem Land

Zurzeit verbreitet sich das Coronavirus zunehmend in ländlichen Gebieten Indiens, wo es wenig Testmöglichkeiten gibt und mehr als die Hälfte der mehr als 1,3 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner leben. Hier dürfte die Dunkelziffer ohnehin entsprechend hoch sein.

In absoluten und offiziell erfassten Zahlen ist die grösste Demokratie der Welt nach den USA am zweitmeisten von Corona betroffen. Seit Pandemiebeginn wurden in Indien rund 25 Millionen Infektionen und mehr als 274'000 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona registriert.

dpa/uri