Die Erderwärmung ist ungebremst – und nun der Klimagipfel in Madrid. Werden sich die CO2-Sünder den Ergebnissen beugen? Tut die Schweiz genug? Wir fragen ETH-Professor Reto Knutti und die Klimajugend.
Nichts als schlechte Neuigkeiten gab es zuletzt im Kampf gegen die Klimaerwärmung: Der weltweite Ausstoss von Treibhausgasen nahm 2019 erneut zu, statt zu sinken. Das zeigt eine Analyse des Global Carbon Project.
Und: Machen wir weiter wie bisher, droht bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung um bis zu 3,9 Grad, warnt das UNO-Umweltprogramm Unep. Dabei sollten es dringlich 1,5 bis maximal zwei Grad sein – so lautet zumindest die Absicht im Pariser Klimaabkommen von 2015.
Aus wissenschaftlicher Sicht kämen diese Berichte nicht überraschend, sagt Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. «Es tritt das ein, was die Forscher schon seit Jahrzehnten festhalten.» Nämlich: «Es reicht nicht, was wir tun, um die Erwärmung auf zwei Grad zu beschränken. Bei Weitem nicht.»
Michael Huber von der Schweizer Klimajugend findet es gar «leichtsinnig, wie die Politik mit der Klimaerwärmung umgeht.»
Der Handlungsbedarf bleibt also gross. Seit Montag verhandeln 197 Delegationen aus aller Welt in Madrid. Doch wie optimistisch darf man dem 25. UNO-Klimagipfel überhaupt entgegenblicken?
Alles blickt auf 2020
Der grosse Wurf sei nicht zu erwarten, sagt Knutti. «Das sparen sich die einzelnen Nationen für 2020 auf, wenn sie ihre konkreten Ziele für die nächsten Jahre offenlegen müssen.»
Dennoch werde in Madrid wichtige Hintergrundarbeit geleistet: Die Delegationen müssten sich etwa auf ein Regelwerk einigen, wie man die Treibhausgas-Einsparungen überhaupt messen und miteinander vergleichen könne. Ein Gipfel in diesen Dimensionen macht somit durchaus Sinn.
Reto Knutti ...
Bild: Keystone
... ist Professor für Klimaphysik am Departement für Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich.
Die Herausforderung sei jedoch, dass das Pariser Abkommen auf Freiwilligkeit basiere. Am Ende ist es jedem Land selber überlassen, zu handeln.
Die Schweiz will ihren CO2-Ausstoss bis 2050 netto auf null senken. Für die Klimajugend geht das zu langsam: «Wir fordern, dass die Schweiz schon bis 2030 im Inland netto null Treibhausgasemissionen verursacht – ohne Einplanung von Kompensationstechnologien», sagt Huber.
Dagegen sieht ETH-Professor Knutti im bundesrätlichen Zeitplan bis 2050 einen vernünftigen Vorsatz. «Wenn die ganze Welt das erreichen würde, hätten wir eine realistische Chance, die Erwärmung bei unter zwei Grad zu halten.»
Trump stellt sich quer
Jedoch wollen sich genau die beiden grössten CO2-Sünder – die USA und China – nicht auf verbindliche Vorgaben einlassen. US-Präsident Donald Trump hat sogar den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen beschlossen.
Hier lohnt es sich jedoch, etwas differenzierter hinzusehen: Knutti zufolge haben etwa 24 der 50 US-Bundesstaaten, die zusammen 55 Prozent der Bevölkerung stellen würden, sich bereits von sich aus zum Pariser Abkommen bekannt. Dass Trump dem Abkommen den Rücken kehre, habe zudem nicht zum befürchteten Absprung anderer Länder geführt.
Und auch in China tue sich etwas: Kein anderes Land investiere so viel in erneuerbare Energien. Das Wirtschaftswachstum sei aber so gross, dass sich der Energiehunger nur mit dem gleichzeitigen Ausbau von Kohle und Gas stillen lasse.
Was Knutti zudem zuversichtlich stimmt: «Wenn China etwas umsetzen will, dann geht das schnell. Das Land kann uns also noch immer überholen, wenn es will.»
«Es ist egal, wo CO2 kompensiert wird»
Wie die Schweiz ihr Klimaziel erreichen will, ist noch nicht klar. Jedoch liess sich der Bundesrat die Option offen, im Ausland CO2-Emissionen zu kompensieren. Wie sieht der Klimaforscher das?
Nicht per se schlecht: «Für das Klima ist es egal, wo genau CO2 eingespart wird.» Und ökonomisch könne es auch sinnvoll sein, dort anzusetzen, wo das am günstigsten möglich ist.
Galerie: So trifft der Klimawandel die Schweizer Städte
So trifft der Klimawandel die Schweizer Städte
8,4 heisse Tage pro Jahr gab es seit 2000 in Basel. Ein Tag gilt an einem Ort dann als heiss, wenn die Durchschnittstemperatur deutlich über den ortsüblichen Temperaturen liegt, schreibt «Spiegel Online». In Basel sind das im 24-Stunden-Mittel über 22 Grad Celsius. Die durchschnittliche Jahrestemperatur stieg seit der Jahrtausendwende um 0,8 Grad im Vergleich zum 20. Jahrhundert.
Im Winter gibt es seit 2000 in Basel bedeutend weniger Frosttage: nur noch 33,4 pro Jahr im Vergleich zu 39 zuvor.
Den grössten Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur seit 2000 der untersuchten Schweizer Städten verzeichnete Genf: Sie liegt um 0,9 Grad Celsius über dem Durchschnitt des 20. Jahrhunderts. Die Anzahl der heissen Tage (im 24-Stunden-Mittel über 23 Grad Celsius) stieg von 2,5 Tagen pro Jahr im 20. Jahrhundert auf 9,2 Tage.
Die Anzahl der Frosttage pro Jahr sank in Genf von 29,8 im 20. Jahrhundert auf 24,3 seit 2000.
In Lausanne stieg die Durchschnittstemperatur seit 2000 um 0,7 Grad Celsius, seit der Jahrtausendwende gibt es 6,0 heisse Tage (im 24-Stunden-Mittel über 21 Grad Celsius) pro Jahr im Waadtländer Hauptort. Vorher waren es nur 1,8.
Die Winter in Lausanne werden milder: Die Zahl der Frosttage sank von durchschnittlich 56,2 pro Jahr auf 51,3.
Die durschnittliche Jahrestemperatur ist in St. Gallen von 5,0 Grad Celsius im 20. Jahrhundert auf 5,8 Grad Celsius seit 2000 gestiegen. Es gibt im Schnitt 6,5 heisse Tage (im 24-Stunden-Mittel über 19 Grad Celsius) im Jahr, vorher waren es 1,5.
Der Winter bringt seit der Jahrtausendwende fast eine Woche weniger Frosttage in die Ostschweiz: Im 20. Jahhrundert waren es noch 80,1 pro Jahr, jetzt sind es nur noch 73,6.
In Winterthur gab es im 20. Jahrhunder nicht mal einen ganzen heissen Tag (im 24-Stunden-Mittel über 21 Grad Celsius) pro Jahr: Seit der Jahrtausendwende stieg die Zahl von 0,8 auf 4,1. Die Durchschnittstemperatur legt um 0,8 Grad Celsius zu.
Für Spaziergänge an frostigen Tagen hat man in Winterthur mittlerweile fast eine Woche weniger Zeit: Die Zahl sank von 61,3 auf 54,6 pro Jahr.
In Zürich gibt es fast sechs heisse Tage (im 24-Stunden-Mittel über 21 Grad Celsius) mehr pro Jahr (von 2,3 auf 8,6) und eine um 0,8 Grad Celsius gestiegene Durchschnittstemperatur.
Die Tage, an denen der Brunnen am Alfred-Escher-Denkmal vor dem Zürcher Hauptbahnhof zufrieren kann, werden seltener: Statt an 47,6 Tagen pro Jahr im 20. Jahrhundert ist es seit 2000 nur nach an 41,2 Tagen pro Jahr im 24-Stunden-Mittel unter -1 Grad Celsius kalt.
Ein Beispiel: Einen alten Ofen in China zu ersetzen, sei kurzfristig günstiger, als bei einer Anlage in einem bereits hochentwickelten Land noch eine Steigerung von einem Prozent herauszuholen.
Doch gelte auch: Wenn das Ziel sei, bis 2050 weltweit Klimaneutralität zu erreichen, dann könne man spätestens dann nicht mehr auf Auslandkompensationen ausweichen. Daher müsse der Fokus so oder so auf Massnahmen im Inland liegen. Und hier müsste die Schweiz überall ansetzen, da sind sich ETH-Forscher und Klimajugend einig: vom Verkehr über den Gebäudesektor und die Ernährung bis hin zur Industrie.
Finanzbranche in die Pflicht nehmen
Michael Huber findet, die Schweiz müsse auch die Finanzbranche zur Verantwortung ziehen. Denn dieser verursache mit seinen weltweiten Kapitalanlagen in fossile Energien ein Vielfaches dessen, was alle Schweizer Haushalte und Unternehmen ausstiessen: Der Vertreter der Klimajugend spricht von 1'100 Millionen Tonnen CO2 gegenüber 50 Millionen Tonnen pro Jahr.
Knutti findet diese Forderung ebenfalls begrüssenswert. «Das wäre ein Hebel, um auch über die Landesgrenzen hinaus etwas zu bewirken.»
All dies entschlossen in Angriff zu nehmen, dafür sei es nun höchste Zeit, sagt Knutti – der Klimawandel mit Folgen wie schmelzenden Gletschern und steigenden Meeresspiegeln sei schon da. Die Frage sei nur noch, ob die Erwärmung zwei oder vier Grad betragen werde. Nach all den Klimademos in diesem Jahr und dem Erstarken der Grünen bei den Wahlen sei er überzeugt, dass das Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel stehe, so gross wie noch nie sei.
Zumindest die Klimajugend hat nicht vor, lockerzulassen, wie Michael Huber klarstellt. Gerade weil die Politik zu zögerlich handle, sei es wichtig, «dass die Klimademos weitergehen und die Bevölkerung aufgerüttelt wird».
Wie auf den Salomonen die Inseln verschwinden
Wie auf den Salomonen die Inseln verschwinden
«60 Minutes Australia», der australische Ableger des amerikanischen Newssendung «60 Minutes», thematisiert im Mai 2019 den Klimawandel. Genauer gesagt geht es um den Anstieg des Meeresspiegels, der ...
... auf der Inselgruppe im Pazifik die Eilande im Wasser versinken lässt.
Kleinere Inseln wie diese sind innerhalb von zwei Jahrzehnten ...
... von der Erdoberfläche verschwunden. Der australische Biologe Dr. Simon Albert beobachtet die Folgen des Klimawandels in der Region seit Jahren.
Hier erzählt der 39-Jährige (rechts) dem Reporter, dass seine Kollegen und er an dieser Stelle noch vor 18 Monaten gepicknickt hätten.
Auch anhand alter Luftaufnahmen wie hier von Sogomou kann aufgezeigt werden, wie viel Land ...
... bis heute verloren gegangen ist.
Das aktuelle Luftbild lässt die alte Inselform erahnen.
Heutzutage muss mit einem Boot befahren werden, wo früher noch Land war.
Mit Regenwald bewachsene Inseln, versinken im Meer. Diese Bäume, die laut Dr. Albert um die 150 Jahre alt sind, werden erst unter Wasser gesetzt ...
... und sterben dann ab, womit der Küstenschutz der Eilande weiter erodiert.
Hier erklärt der Reporter, dass dieser Baum vor wenigen Jahren noch in der Mitte der Insel stand. Nun ist er erster Kandidat, im Meer abzutauchen.
Ein Haus ist im Begriff, im Meer zu versinken. Ein Einwohner erzählt, dass der Strad ...
... dort begann, wo nun das Haus zu sehen ist. Das war bloss ein Jahr vorher.
Eine weitere versinkende Insel: Von 33 Inseln im Nordwesten der Salomoninseln, die Dr. Albert untersucht hat, ...
... sind fünf verschwunden und sechs ...
... gerade mal noch halb so gross wie früher. In den letzten 20 Jahren ist der Meeresspiegel laut dem Wossenschaftler um ...
... 15 Millimeter angestiegen. Neben dem Klimawandel drücke der Wind mehr Wasser in die Region, so Dr. Albert.
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