Not in Afghanistan «Die Leute verkaufen alles, was sie haben, für ein bisschen Brot»

Von Gil Bieler und Elia Lavater

6.3.2022

«An jeder Ecke stehen bewaffnete Taliban-Kämpfer»

«An jeder Ecke stehen bewaffnete Taliban-Kämpfer»

Seit über einem halben Jahr leben die Menschen in Afghanistan wieder unter Taliban-Regime. Die Journalistin Natalie Amiri hat das Land bereist und berichtet von der Situation der Frauen – und erschreckender Armut.

24.02.2022

Seit über einem halben Jahr leben die Menschen in Afghanistan wieder unter Taliban-Regime. Die Journalistin Natalie Amiri hat das Land bereist und berichtet von der Situation der Frauen – sowie erschreckender Armut.

Von Gil Bieler und Elia Lavater

So wie gerade alles auf die Ukraine blickt, so galt vor einem halben Jahr die Aufmerksamkeit Afghanistan. Nach 20 Jahren Nato-Präsenz hatten die radikal-islamischen Taliban wieder die Macht an sich gerissen. Bilder der chaotischen Szenen am Flughafen von Kabul, wo verzweifelte Menschen um eine Fluchtmöglichkeit rangen, gingen um die Welt. 

Die Schweiz, wie viele andere Nationen, flog ihr Botschaftspersonal aus, auch das Schweizer Kooperationsbüro ist geschlossen. Die Taliban-Regierung wird bisher von keinem Land anerkannt. Diese Isolation vergrössert die Not im Land noch zusätzlich. «Die Situation ist verheerend», sagt Natalie Amiri, die Wirtschaft liege am Boden. Im Gespräch mit blue New spricht sie von einer «humanitären Katastrophe». Die deutsche Journalistin und Nahost-Expertin reiste im Winter nach Afghanistan, um sich ein Bild von der Lage zu machen. 

Ihre Eindrücke schildert Amiri im Video oben.

Neues Buch

Natalie Amiri hat über ihre Recherche ein Buch geschrieben. «Afghanistan. Unbesiegter Verlierer» erscheint am 14. März im Aufbau-Verlag.

Nach der Landung in Kabul flog Amiri nach Kandahar im Süden des Landes, um dann über den Landweg wieder zurück in die Hauptstadt zu reisen. Eindrücklich schildert sie im Gespräch, wie ausgeprägt die Armut in dem Land ist: «Die Menschen haben schlicht keine Einnahmequelle mehr, da Gehälter nicht mehr ausbezahlt werden und sehr viele ihren Job verloren haben», sagt sie. Sie habe so viele bettelnde Kinder wie nie gesehen, «vor den Banken standen Hunderte Menschen an, teilweise tagelang, um Geld abzuheben. Nur bekommen sie ihr Geld nicht, weil die Bank hat halt keines.»

Zwei Millionen Menschen würden auf der Strasse leben, und ihre Zahl steige, sagt die Journalistin und Buchautorin. «Sie haben nichts mehr – und der Westen hat gerade keine Zeit mehr für Afghanistan.»

All das zeige: Den Afghaninnen und Afghanen müsse dringend geholfen werden. «Ob wir wollen oder nicht, die Taliban sind jetzt an der Macht und es muss eine Lösung mit ihnen gefunden werden.»

Doch müsse die internationale Staatengemeinschaft, die das Land die letzten 20 Jahre «mit Geld überschüttet» habe, aus den Fehlern der Vergangenheit lernen: «Wenn man über Geld spricht, dann muss das an Bedingungen geknüpft werden. Das müssen ganz klare Bedingungen sein, die auch kontrolliert werden», so Amiri. «Man darf sich nicht mit irgendwelchen vage formulierten Frauen-Dekreten und möglicherweise gutem Willen zufriedengeben. Nein, man muss ganz klar sehen, was umgesetzt wurde – und erst dann gibt es weiteres Geld.»