«Pforte ohne Wiederkehr» Benin bietet Nachfahren von Sklaven Staatsbürgerschaft an

AP/toko

19.12.2024 - 00:00

Ein Mann paddelt ein Kanu in der Nähe eines heiligen Voodoo-Waldes in Adjarra, Benin.
Ein Mann paddelt ein Kanu in der Nähe eines heiligen Voodoo-Waldes in Adjarra, Benin.
AP Photo/Sunday Alamba/Keystone

Der Sklavenhandel wurde von europäischen Händlern betrieben. Doch in Afrika gab es meist auch örtliche Stämme, die Menschen aus benachbarten Gebieten gefangen nahmen und weiterverkauften. Das Land Benin will die eigene Rolle bei den Verbrechen aufarbeiten.

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  • Das afrikanische Land Benin will die eigene Rolle während der Zeit der Sklaverei aufarbeiten.
  • Im September wurde in Benin ein neues Gesetz verabschiedet, das Nachfahren von Opfern des Sklavenhandels eine Einbürgerung ermöglicht.
  • Als Belege akzeptieren die beninischen Behörden DNA-Tests, beglaubigte Bezeugungen und Familienaufzeichnungen.
  • Der Sklavenhandel wurde von zwar von europäischen Händlern betrieben. Dennoch gab es auch in Afrika Stämme, die Menschen aus benachbarten Gebieten gefangen nahmen und an Sklavenhändler verkauften.

Als Nadege Anelka das erste Mal nach Benin reiste, hatte sie ein Déjà-vu-Gefühl. «Viele der Menschen erinnerten mich an meine Grosseltern – die Art, wie sie ihre Kopftücher trugen, ihre Verhaltensweisen, ihre Mentalität», sagt die 57-Jährige, die von der französischen Karibikinsel Martinique stammt. Im Juli beschloss sie, in dem westafrikanischen Land zu bleiben und dort ein Reisebüro zu eröffnen. Nun hofft sie, auch die Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Im September wurde in Benin ein neues Gesetz verabschiedet, das Nachfahren von Opfern des Sklavenhandels eine Einbürgerung ermöglicht. Die Initiative dazu ging von Präsident Patrice Talon aus, der seit 2016 im Amt ist – und sie ist Teil einer generellen Bemühung des Landes, sich stärker mit der eigenen Rolle bei der massenhaften Verschleppung von Menschen von Afrika nach Amerika auseinanderzusetzen.

Das Gesetz richtet sich an Personen ab 18 Jahren, die nicht die Staatsbürgerschaft eines anderen afrikanischen Landes besitzen und die nachweisen können, dass ihre Vorfahren aus irgendeinem Gebiet in Afrika südlich der Sahara einst als Sklaven verschleppt wurden. Als Belege akzeptieren die beninischen Behörden DNA-Tests, beglaubigte Bezeugungen und Familienaufzeichnungen.

Anelka konnte mithilfe des von Benin anerkannten Online-Portals «Anchoukaj» («Verwandtschaft» in der karibischen Sprache Antillen-Kreolisch) nachweisen, dass ihre Vorfahren als Sklaven auf die Insel Martinique gebracht wurden. Sollte ihr Antrag genehmigt werden, würde sie zunächst ein für drei Jahre gültiges Dokument erhalten, das eine vorläufige Staatsbürgerschaft bescheinigt. Für eine volle Einbürgerung müsste sie sich in diesem Zeitraum dann mindestens einmal im Land aufhalten.

Einladung, «nach Hause zu kommen»

In anderen westafrikanischen Ländern gibt es ähnliche Vorstösse. In Ghana wurden diesen Monat 524 Afroamerikaner eingebürgert. Bereits 2019 hatte der Präsident des Landes, Nana Akufo-Addo, Nachfahren von Opfern des Sklavenhandels eingeladen, «nach Hause zu kommen». Anlass war das Gedenken an die Ankunft der ersten afrikanischen Sklaven in Nordamerika 1619, also genau vier Jahrhunderte zuvor, gewesen.

Das Gesetz in Benin hat aber auch deswegen eine besondere Bedeutung, weil das Gebiet des heutigen Staates zu den wichtigsten «Umschlagplätzen» des damaligen Sklavenhandels gehörte. Insgesamt hätten europäische Händler geschätzt etwa 1,5 Millionen Menschen von der Küste der Bucht von Benin, an der auch Togo und Teile des heutigen Nigerias liegen, verschleppt, sagt Ana Lucia Araujo, die an der US-Universität Howard seit vielen Jahren zu der Rolle von einstigen Akteuren in Benin forscht.

Könige verkauften Menschen

Einer der wichtigsten afrikanischen Häfen im Sklavenhandel des 18. und 19. Jahrhunderts war der der Küstenstadt Ouidah. Fast eine Million Männer, Frauen und Kinder wurden dort gezwungen, Schiffe zu besteigen, die dann den Atlantik überquerten. Im Laufe von 200 Jahren hatten mächtige afrikanische Könige die Menschen gefangen genommen, um sie an portugiesische, französische und britische Händler zu verkaufen.

Überbleibsel der damaligen Königreiche existieren bis heute in Form von Stammesnetzwerken. Auch die Volksgruppen, deren Siedlungen damals überfallen wurden, gibt es in Benin bis heute. Vor der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 kursierten Gerüchte, dass auch Talon ein Nachfahre von Sklavenhändlern sei. Der Präsident hat sich nie öffentlich zu diesen Gerüchten geäussert.

Benin hat sich vergleichsweise früh zur eigenen Rolle im Sklavenhandel bekannt. In den 90er Jahren richtete das Land gemeinsam mit der UN-Organisation Unesco eine Konferenz aus, bei der es darum ging, wie und wo Sklaven verkauft worden waren. Im Jahr 1999 entschuldigte sich der damalige Präsident Mathieu Kérékou während eines USA-Besuchs in einer Kirche in Baltimore bei allen Afroamerikanern für die Beteiligung afrikanischer Akteure an dem einstigen Handel.

«Pforte ohne Wiederkehr»

Parallel dazu hat sich eine Art «Gedenk-Tourismus» entwickelt. Für die Regierung Benins ist der inzwischen ein zentrales Mittel, um ausländische Besucher ins Land zu locken. Die meisten der historischen Stätten, die sich Reisende aus den USA und anderen Ländern Amerikas anschauen, befinden sich in Ouidah – etwa die «Pforte ohne Wiederkehr», die symbolisch den Ort markiert, von dem aus unzählige Menschen als Sklaven verschifft wurden, sowie das Museum der Stadt. «Erinnerungen an den Sklavenhandel sind auf beiden Seiten des Atlantiks präsent, aber nur eine dieser Seiten ist umfassend bekannt», sagt Sindé Cheketé, der Leiter der nationalen Tourismus-Behörde des westafrikanischen Landes.

Nate Debos, ein 37-jähriger Musiker aus New Orleans, erfuhr während des Besuchs eines Masken-Festivals in der beninischen Hauptstadt Porto-Novo von dem neuen Gesetz. Sein Interesse an Benin sei vor allem durch die Voodoo-Religion geweckt worden, die in dem Land mindestens eine Million Anhänger habe. Der Sklavenhandel brachte die Religion auch nach Amerika, wo die verschleppten Menschen sie teilweise mit christlichen Elementen vermischten.

«Am Ende bin ich doch Amerikaner»

«Unsere afrikanischen Vorfahren waren keine Wilden, sie hatten hoch entwickelte Kulturen mit ehrwürdigen und schönen spirituellen Bräuchen», sagt Debos. Der Afroamerikaner hat vor, seine Kontakte zu Voodoo-Gemeinden in Benin zu vertiefen und wird daher künftig wohl für längere Phasen vor Ort sein. Auch er will sich um eine Staatsbürgerschaft bemühen, wenngleich er nicht plant, sich dauerhaft in Benin niederzulassen.

«Am Ende bin ich doch Amerikaner, selbst wenn ich mich mit den wunderschönen Stoffen und Anzügen kleide, die sie in Benin haben», sagt Debos. Auch Anelka, die in dem Land ein Reisebüro eröffnet hat, sieht ihren Antrag auf Staatsbürgerschaft eher als etwas Symbolisches. «Ich weiss, dass ich nie eine echte Beninerin sein werde. Man wird mich immer als Ausländerin betrachten», sagt sie. Sie tue das für ihre Vorfahren. «Es ist eine Art, mein Erbe zurückzubekommen – eine Art, eine Wiedergutmachung zu erhalten.»