Sergei Schoigu wackeltAusgerechnet Putins loyalster Freund kann den Kreml erschüttern
Andreas Fischer
27.6.2023
Wie geschwächt ist der russische Verteidigungsminister Schoigu?
LONG PROFILE OF SERGEI SHOIGU Während der «Wagner-Revolte» war der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu mehrere Tage von der Bildfläche verschwunden. Am Montag zeigen ihn Bilder bei einem Truppenbesuch in der Ukraine. Wie es um sein Verhä
26.06.2023
Der Putsch ist gescheitert, Russlands Präsident Putin erleichtert – doch für einen Mann könnte der Aufstand der Wagner-Söldner Folgen haben. Verteidigungsminister Sergei Schoigu wackelt – und mit ihm der Kreml.
Andreas Fischer
27.06.2023, 14:07
27.06.2023, 14:08
Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Auch nach dem gescheiterten Wagner-Putsch darf Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu vorerst im Amt bleiben.
Aber Wladimir Putin könnte seinen langjährigen Vertrauten trotzdem in den nächsten Tagen feuern: Dieser Schritt würde allerdings seine Machtbasis erschüttern.
Ein Nachfolger für Schoigu steht laut russischen Medien bereit und ist ausgerechnet ein Freund von Wagner-Chef Prigoschin.
Eigentlich passt zwischen Wladimir Putin und Sergej Schoigu kein Blatt: Den russischen Präsidenten und seinen Verteidigungsminister verbindet eine langjährige Männerfreundschaft. Angelausflüge mit nacktem Oberkörper an einem Fluss in Sibirien und gemeinsame Eishockeyspiele inklusive.
Doch Verteidigungsminister Schoigu ist angeschlagen. Der gescheiterte Putschversuch der Wagner-Söldner zielte darauf ab, den Verteidigungsminister zu stürzen. Zwar hat Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin den Aufstand ziemlich schnell wieder beendet und hat sich in Weissrussland verschanzt: Doch es gibt in Russland bereits erste Spekulationen, dass die Ereignisse vom Wochenende zu personellen Veränderungen in der russischen Militärführung führen werden.
Nicht nur die Männerfreundschaft mit Putin sondern auch die politische Zukunft Schoigus ist heftig infrage gestellt.
Wie fest sitzt Sergei Schoigu nach dem gescheiterten Wagner-Putsch noch im Sattel?
Fürs Erste, das heisst die kommenden Tage, bleibt Sergei Schoigu Verteidigungsminister. Das zumindest legt ein Auftritt Wladimir Putins nahe, bei dem der Kreml-Chef russischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung nach der Zerschlagung der Revolte für ihren Rückhalt dankte.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, dass sich zu seiner Kenntnis die Haltung von Putin gegenüber Schoigu nicht geändert habe. Zudem wurde ein Video verbreitet, dass Schoigu bei einem angeblichen Frontbesuch in der Ukraine zeigt.
Was bezweckte der Kreml mit dem Schoigu-Video von der Front gestern?
Während des Aufstands der Wagner-Söldner hatte sich Sergei Schoigu nicht öffentlich geäussert oder gezeigt. Am Montag tauchte er dann für viele überraschend an der Front auf. Beobachter werteten das Video als Versuch, nach den chaotischen Ereignissen vom Wochenende ein Bild zu vermitteln, wonach Schoigu noch die Fäden in der Hand habe.
Es wurde in den russischen Medien, einschliesslich des staatlich kontrollierten Fernsehens, weit verbreitet. Allerdings könnte es sich bei den Aufnahmen ohne Ton auch um Archivbilder handeln.
Wie eng ist das Verhältnis zwischen Sergei Schoigu und Wladimir Putin?
Sergei Schoigu war lange Zeit nicht nur politischer Verbündeter von Wladimir Putin, sondern auch einer seiner wenigen Freunde innerhalb des Moskauer Machtzirkels. Dass Schoigu vorerst keine Konsequenzen tragen muss, habe einen einfachen Grund, erklärt SRF-Auslandskorrespondent David Nauer: «Das hat vermutlich mit einem der Grundprinzipien des Systems Putin zu tun: Loyalität. Wer loyal ist, dem wird auch Unfähigkeit, Untätigkeit, Korruption – schlicht alles – verziehen.»
Schoigu ist der dienstälteste Minister in Putins Regierung. Er war schon unter Boris Jelzin in den 1990er-Jahren Minister für Katastrophenschutz und in dieser Funktion einer der beliebtesten Politiker in Russland. 2012 wurde Schoigu Gouverneur der Region Moskau und kurz darauf Verteidigungsminister.
Kann es sich Putin leisten, an Sergei Schoigu festzuhalten?
Das ist die grosse Frage. Das Prinzip Loyalität hat sich mutmasslich abgenutzt. Erste Anzeichen dafür hat es in den vergangenen Wochen und Monaten bereits gegeben. Anfang Juni wurde ein Video verbreitet, das Putin und Schoigu bei der Verleihung von Medaillen in einem Militärkrankenhaus zeigt: Der Präsident wendet seinem Minister dabei in offensichtlicher Verachtung den Rücken zu.
You don't have to be a body language expert to understand what Putin currently thinks about his Defence Minister Sergei Shoigu... 😅 pic.twitter.com/ZRfJaJDE1X
Viele Experten sind sich zudem einig: «Der grosse Verlierer [des Putschversuches] ist Schoigu», wie etwa Arnaud Dubien, Leiter der französisch-russischen Denkfabrik L’Observatoire, die Ereignisse vom Wochenende beurteilte. Schon vor der Revolte der Söldner stand Schoigu aufgrund der Misserfolge im Krieg gegen die Ukraine unter Druck.
«Schoigus Gruppe steht am Rande des Zusammenbruchs, und Sergei Schoigu selbst ist in Ungnade gefallen und wird höchstwahrscheinlich zurücktreten», ist auch in dem populären Telegram-Kanal Preemnik zu lesen.
Gibt es einen geeigneten Nachfolger für Sergei Schoigu als Verteidigungsminister?
Russische und ukrainische Medien verbreiten Berichte, wonach der Gouverneur des Gebiets Tula, Alexej Djumin, neuer russischer Verteidigungsminister werden und Sergei Schoigu ablösen könnte. Beobachter mutmassen, dass Putin mit einer Umbildung noch abwarten dürfte, da er nicht gerne Entscheidungen unter Druck treffe.
Djumin ist Putins ehemaliger Leibwächter und ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister. Quellen in den russischen Medien bezeichneten ihn als einen der Gönner Prigoschins. Die beiden kennen sich angeblich seit Langem und sind miteinander befreundet: Sollte Putin den loyalen Schoigu wirklich durch Djumin austauschen, wäre die Machtbasis des Präsidenten im Kreml wohl merklich erschüttert.