Prigoschins ungewisse Zukunft «Kugel in den Kopf» oder doch Rente im Belarus-Exil?

Von Philipp Dahm

27.6.2023

Putin: «Der Westen wollte, dass Russen sich gegenseitig töten»

Putin: «Der Westen wollte, dass Russen sich gegenseitig töten»

In seiner ersten TV-Ansprache nach dem Ende des Wagner-Aufstandes hat Russlands Präsident Wladimir Putin dem Westen einmal mehr vorgeworfen, Russland zerstören zu wollen.

27.06.2023

Wladimir Putin lässt Wagner die Wahl: Einbindung in die Armee, Exil in Belarus oder Demobilisierung. Das Verfahren gegen Jewgeni Prigoschin ist angeblich eingestellt, aber dennoch dürstet es so Manchen nach Rache.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Wladimir Putin hat in einer TV-Ansprache dem Westen und der Ukraine eine Mitschuld an dem Wagner-Aufstand gegeben.
  • Die Söldner seien «Patrioten», die fehlgeleitet worden seien: Sie können nach Belarus gehen, in die Armee übertreten oder ein ziviles Leben führen.
  • Prigoschins Namen nimmt Putin nicht in den Mund.
  • Russische Kommentatoren fordern im TV Prigoschins Kopf.
  • Russische Behörden zeigten Gold, Devisen, Milliarden von Rubel und falsche Pässe, die Prigoschin gehören sollen.
  • Das Strafverfahren gegen Prigoschin ist aber dennoch angeblich eingestellt worden.
  • Prigoschin ist offenbar in Belarus eingetroffen und soll heute noch vor die Presse treten.
  • Alexander Lukaschenko hat das Militär von Belarus wegen eines Nato-Aufmarschs in die höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Wladimir Putin sagt, Jewgeni Prigoschins «Marsch für Gerechtigkeit» sei von Russlands Feinden unterstützt worden. «Ein solcher Brudermord war von den Nazis in Kiew und ihren westlichen Helfern gewollt, um Militär und Zivilisten zu töten» erklärt der russische Präsident am 26. Juni. «Sie wollten, dass Russland in einem Bürgerkrieg gespalten wird.»

Die meisten Wagner-Söldner seien jedoch «Patrioten», attestiert ihnen der 70-Jährige. Er dankt ihnen sogar, dass sie dazu beigetragen hätten, ein «Blutbad» zu vermeiden, und lässt ihnen drei Optionen: Sie könnten entweder Prigoschin ins Exil nach Belarus folgen, einen neuen Vertrag mit der Armee schliessen und sie werden demobilisiert.

Putin dankt weiterhin jenen, die sich dem Aufstand entgegengestellt hätten: «Öffentliche Organisationen, religiöse Vereinigungen, die führenden politischen Parteien und im Grunde die gesamte russische Gesellschaft haben die verfassungsmässigen Organe mit aller Kraft unterstützt», behauptet er.

Prigoschins Namen nennt Putin dabei nicht. Er sagt bloss, die Organisatoren des Aufstandes hätten ihre Kameraden verraten. Damit öffnet er den Söldnern, die benutzt worden seien, eine Tür, um sie bei der Stange zu halten. Dem Duma-Abgeordneten und Ex-Militär Andrej Guruljow stösst das sauer auf.

Prigoschin? «Kugel in den Kopf»

In der populären TV-Show «Sonntagabend mit Wladimir Solowjow» sagt der 55-Jährige: «Eine Kugel in den Kopf ist die einzige Erlösung für beide, Prigoschin und [seinen Wagner-Kollegen Dmitri] Utkin. Es gibt keine andere Option.» Guruljow sagt weiter, dass der Präsident erpresst werde und Minister Schoigus Kopf gefordert werde, könne nicht sein.

Gastgeber Wladimir Solowjow bläst ins gleiche Horn: Putin trifft keine Schuld. «Praktisch alle Meinungsführer haben eine eindeutige Position bezogen, unseren vom Volk gewählten Präsidenten zu unterstützen. Das ist das positive Ergebnis.» Nun müsse man auf jenen «Patriotismus und [die] Liebe für das Mutterland» setzen, die ein Blutvergiessen verhindert hätten.

Darauf will sich Putin offenbar nicht verlassen: Als Machtmensch ist er wohl noch nie derart kompromittiert worden wie durch Prigoschin. Das lässt sich der gebürtige St. Petersburger nicht gefallen.

Kisten voller Geld

Noch am Samstag, den 24. Juni, präsentiert der Geheimdienst falsche Pässe, die auf Prigoschin ausgestellt sind. Ausserdem zeigt er Gold, Devisen und Milliarden von Rubel, die bei einer Durchsuchung seines Büros gefunden worden sein sollen.

Dieses Büro von Prigoschin befindet sich angeblich im Hotel Trezzini in St. Petersburg. Während der Razzia fällt den Ermittlern ein grauer Kastenwagen auf, der keinem Bewohner der Strasse gehört. Nach einer Bomben-Kontrolle wird der Wagen geöffnet. Darin: Kisten voller Rubel im Wert von rund 47 Millionen Dollar.

Spannend: Prigoschin streitet gar nicht ab, dass der Lieferwagen ihm gehört. Demnach seien zwei weitere, ähnliche Autos entdeckt worden. Das Bargeld sei für die Zahlung von Löhnen, für Kompensationen für die Familien von Gefallenen und andere Dinge bestimmt, kontert Prigoschin noch am Samstag auf Telegram.

Verfahren gegen Prigoschin – erneut – eingestellt 

Die Veröffentlichung der Bilder durch den Staat zeigen, dass Prigoschin nicht von Haken ist. Nachdem zuerst berichtet wurde, das Verfahren gegen ihn werde eingestellt, meldeten russische Nachrichtenagenturen danach, es würde weiter gegen ihn ermittelt. Nun heisst es wiederum, der FSB habe die Akte geschlossen. Ob das letzte Wort damit gesprochen ist?

Unklar ist auch, wie die Integration der Wagner-Truppe in die reguläre Armee funktionieren wird. Angeblich ist die Übernahme bereits im Gange und Mensch und Material würden nun in die regulären Streitkräfte eingebunden. Beobachter zweifeln daran, dass diese Integration klappen kann.

Jewgeni Prigioschin soll mittlerweile in Belarus eingetroffen sein. Es wird erwartet, dass er sich heute noch vor der Presse äussert. Lukaschenko hat sich heute Morgen an die Öffentlichkeit gewandt: Der Diktator hat seine Armee in die höchste Alarmbereitschaft versetzt – angeblich wegen der Bedrohung durch Nato-Truppen im Baltikum.

Veränderungen auch im Verteidigungsministerium

Vor der TV-Ansprache trifft sich der Kreml-Chef mit Entscheidungsträgern, um die Strafverfolgung des Wagner-Marsches zu besprechen: Neben Verteidigungsminister Sergei Schoigu nehmen General-Staatsanwalt Igor Krasnow, FSB-Direktor Alexander Bortnikow, Nationalgarde-Chef Viktor Zolotow, Dmitri Kochnew vom Schutzdienst FSO und Alexander Bastrykin vom staatlichen Ermittlungskomitee teil.

Der prorussische Telegram-Kanal Rybar will erfahren haben, dass auch im Verteidigungsministerium Köpfe rollen werden. Aber nicht die Armeeführung um Schoigu und General Waleri Gersassimow muss ihren Hut nehmen, sondern Generaloberst Sergej Rudskoj, Generalleutnant Iwan Buwaltsew und Generaloberst Jewgeni Burdinski.