Political Correctness Änderungen an Kinderbuch-Klassikern verärgern Autoren und Leser

Von Jan-Niklas Jäger

21.2.2023

Die Bücher Roald Dahls wurden zahlreichen Änderungen unterzogen, so auch «Charlie und die Schokoladenfabrik». Das Buch wurde mehrmals verfilmt, zuletzt mit Johnny Depp in der Hauptrolle.
Die Bücher Roald Dahls wurden zahlreichen Änderungen unterzogen, so auch «Charlie und die Schokoladenfabrik». Das Buch wurde mehrmals verfilmt, zuletzt mit Johnny Depp in der Hauptrolle.
Bild: Keystone/AP Photo/Warner Bros. Pictures/Peter Mountain

Um einem Backlash vorzubeugen, liess ein Verlag die beliebten Kinderbücher Roald Dahls abändern – und erntet Empörung.

Von Jan-Niklas Jäger

Als einer der populärsten Kinderbuch-Autoren des 20. Jahrhunderts hat Roald Dahl zahlreiche Generationen junger Heranwachsender beeinflusst. Zu seinen Werken gehören so bekannte Geschichten wie «Charlie und die Schokoladenfabrik», «Der fantastische Mister Fox» und «Matilda».

Dieser Einfluss ist nun zum Zentrum einer Kontroverse um den Autor geworden, die wiederum sehr dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts entspricht. Für ihre Neuauflage wurden mehrere Stellen von Dahls Büchern abgeändert, um politisch inkorrekte Formulierungen zu entfernen.

Dabei ist Puffin Books, der Verlag, der die Massnahme in Übereinstimmung mit Dahls Erben anordnete, deutlich gründlicher vorgegangen als andere Verlage, die nur konkrete, sehr eindeutige Passagen oder Wörter abändern liessen.

Generalüberholung angeordnet

Bereits 2009 ist aus dem «Negerkönig» in den «Pippi Langstrumpf»-Büchern der «Südseekönig» geworden. Letztes Jahr gab es eine Kontroverse um aus dem Verkauf genommene «Winnetou»-Bücher.

Puffin Books hingegen liess Dahls Bücher einer Generalüberholung unterziehen, die deutlich weiter ging, als eindeutig rassistisch konnotierte Begriffe zu tilgen. Hunderte Änderungen sollen vorgenommen worden sein. So werden die Füchse aus «Der fantastische Mister Fox» an einer Stelle von schwarzen Traktoren bedroht.

In den neuen Ausgaben sind die Maschinen «mörderische, brutal aussehende Monster». Ihre Farbe wird nicht mehr erwähnt. Der Antagonist aus «Charlie und die Schokoladenfabrik» ist nicht mehr «enorm fett», sondern einfach nur «enorm».

Die Revisionen gehen über die Entfernung von eventuell als unsensibel lesbaren Beschreibungen hinaus. Manche Passagen wurden umgeschrieben, um mehr Inklusivität zu signalisieren. So sind die Oompa Loompas aus «Charlie und die Schokoladenfabrik» nun gender-neutral.

Hexen als Wissenschaftlerinnen statt Kassiererinnen

In «Hexen hexen» lernt ein Junge von seiner Grossmutter, dass sich Hexen in der Gesellschaft versteckt halten. So eine Hexe könnte etwa als «Kassiererin im Supermarkt» arbeiten oder «für einen Geschäftsmann Briefe tippen», heisst es im Original. In der neuen Version sind die Hexen hingegen «Top-Wissenschaftlerinnen oder Geschäftsführerinnen».

Teilweise wurden komplette Absätze umgeschrieben. Als der Junge aus «Hexen hexen» anfängt, Frauen an den Haaren zu ziehen, weil Hexen laut seiner Grossmutter keine echten Haare hätten, tadelt diese ihn.

Das Original gibt hier keinen Anlass zur Beunruhigung: «Sei nicht unvernünftig. Du kannst nicht an den Haaren jeder Lady ziehen, die du triffst», sagt die Grossmutter. «Versuch es und du wirst schon sehen, was passiert.»

In der Neuauflage wurden die Worte der Grossmutter abgeändert, um mehr Toleranz für Perückenträgerinnen zu generieren. Hier lauten ihre Worte: «Sei nicht unvernünftig. Es gibt viele Gründe, warum Frauen Perücken tragen und daran gibt es sicherlich nichts auszusetzen.»

Rushdie: «Absurde Zensur»

Die Änderungen sind weitgehend auf Kritik gestossen. Zu den Kritiker*innen gehört etwa der Schriftsteller Salman Rushdie. «Roald Dahl war kein Engel, aber das ist absurde Zensur», schrieb Rushdie auf Twitter. Mit der Aussage, dass Roald Dahl kein Engel gewesen sei, spielt Salman Rushdie auf antisemitische Kommentare Dahls an.

Ausserdem habe er rassistische Tendenzen gehabt und sich 1989 im Zuge des Aufrufs des iranischen obersten Führers, Rushdie wegen seines vermeintlich beleidigenden Romans «Die satanischen Verse» zu töten, auf die Seite seiner Kritiker*innen gestellt. Erst letztes Jahr hat Rushdie ein Attentat, das auf diesen Aufruf zurückzuführen war, nur knapp überlebt.

Suzanne Nossel, die Vorsitzende des Autorenverbands PAN America, schrieb ebenfalls auf Twitter: «Das Problem damit, wenn man sich die Freiheit herausnimmt, Klassiker zu verändern, ist, dass es keine Limits gibt. Man fängt damit an, hier und da ein Wort zu verändern und schliesslich fügt man komplett neue Ideen ein.»

Nicht nur Konservative empört

Mit den Änderungen sei Dahls Werk seinem Charakter beraubt worden, kritisieren viele. «Kinder mögen Roald Dahl, weil er das seltsame Kind auf dem Spielplatz ist, das dir eine Box voller Würmer und Schnecken zeigen will», schreibt der britische Journalist James Palmer. «Ihn zu einem Prediger von belehrender Tugend umzuschreiben, wird den Geist seiner Bücher verfälschen.»

Weder Rushdie noch Nossel und Palmer sind Konservative – sonst die Gruppe, die den Backlash gegen Entscheidungen wie die von Dahls Verlag anführt. Manche liberale Kritiker*innen merken an, Puffin Books wäre besser beraten gewesen, dem Beispiel Disneys zu folgen.

Disney reagierte auf rassistische Stereotypen in alten Cartoons mit der Einblendung eines kurzen Textes, der die Filme historisch einordnet statt sie zu zensieren oder aus dem Programm zu nehmen.

Präventivmassnahme statt Reaktion

Bemerkenswert an den Änderungen ist, dass ihnen keine öffentliche Debatte vorangegangen ist. Puffin Books liess die Revisionen nicht aufgrund von Kritik vornehmen, sondern wahrscheinlich vielmehr um ihr zuvorzukommen.

Dafür spricht auch das Timing. Den Auftrag, Dahls Bücher zu überarbeiten, erteilte der Verlag 2020 – kurz bevor sich Netflix die Rechte an den Werken für eine Reihe neuer Verfilmungen kaufte.

Da im Zuge dieser Neuverfilmungen mit einem neuen Interesse an den literarischen Vorlagen zu rechnen ist, könnte der Verlag sich zu einer Präventivmassnahme entschlossen haben, um einem sogenannten «Shitstorm» vorzubeugen. Doch das ging nach hinten los: Stattdessen löste die Entscheidung eine andere Kontroverse aus.

Dahl selbst änderte sein Buch

Dass der Autor selbst sich gegen ein solches Vorgehen gewehrt hätte, ist ein wiederkehrender Bestandteil von Kontroversen wie dieser. Wer aber glaubt, diese Aussage zweifelsfrei im Namen Roald Dahls tätigen zu können, stellt sich auf dünnes Eis.

Denn Dahl hat einst selbst Änderungen an «Charlie und die Schokoladenfabrik» vorgenommen, die zwar als Reaktion auf Kritik entstanden und bei Weitem nicht so umfassend waren, aber demselben Prinzip folgten.

Auch der wirtschaftliche Kontext war fast derselbe: Eine Verfilmung stand an. Als das 1970 bekannt wurde, meldete die Bürgerrechtsbewegung NAACP Bedenken an, weil die Oompa-Loompas unkritisch die Versklavung von Afrikaner*innen widerspiegelten.

Parallelen zur Sklaverei

Das war keine Übertreibung. Im ursprünglichen Text erläutert Willy Wonka, die Oompa-Loompas seien ein afrikanisches Zwergenvolk, das er selbst entdeckt habe und nun in seiner Fabrik lebe. Bezahlt würden sie mit Kakaobohnen.

«Ich habe sie in grossen Kisten mit Löchern hierher geschmuggelt», so Wonka im originalen Text, «jeden Mann, jede Frau und jedes Kind des Oompa-Loompa-Stammes». «Ich will auch einen haben», ruft ein kleines Mädchen. «Ich werde dafür sorgen, dass du einen kriegst», sagt ihr Vater.

Dahl betonte, er habe keine rassistischen Absichten gehabt, hege aber Sympathien für das Anliegen der NAACP. Also änderte er das Buch selbst. Fortan waren die Oompa-Loompas weiss und kamen aus dem fiktiven «Loompaland».

Die 1971 erschienene Verfilmung mit Gene Wilder machte aus den Oompa-Loompas Fantasiewesen mit grünen Haaren und orangener Haut. Die jüngste Version aus dem Jahr 2005 stammt von Tim Burton. Darin werden die Oompa-Loompas vom indischstämmigen, 132 Zentimeter grossen Schauspieler Deep Roy dargestellt.

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