«Jagt sie, verfolgt ihre Geldströme»Die Nerven liegen blank – 3400 Festnahmen bei Nawalny-Protesten
Agenturen/tafi
24.1.2021
Der Kreml spricht von nur wenigen Teilnehmenden, lässt aber 3400 Menschen verhaften: Im Kreml liegen nach landesweiten Proteste für die Freilassung von Alexej Nawalny die Nerven blank. Auch weil weitere Sanktionen drohen.
Bei Protesten für die Freilassung des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny am Samstag in Russland sind Bürgerrechtlern zufolge mehr als 3400 Menschen festgenommen worden. Allein in der Hauptstadt Moskau wurden mindestens 1360 Demonstranten festgesetzt, wie das Portal OWD-Info am Sonntagvormittag mitteilte. 523 weitere Festnahmen gab es demnach in St. Petersburg. Angaben von Russlands Kinderrechts-Beauftragten zufolge wurden auch rund 300 Minderjährige in Gewahrsam genommen.
Nawalnys Mitstreiter sprachen von 40'000 Menschen, die allein in Moskau auf die Strasse gegangen seien. Die Polizei hatte die Zahl der Teilnehmer an der nicht genehmigten Kundgebung deutlich geringer angegeben.
«Jetzt werden viele sagen, dass viele Menschen zu den nicht genehmigten Aktionen gegangen sind», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem russischen Staatsfernsehen. «Nein, es sind wenige Menschen hingegangen. Viele Menschen stimmen für Putin», sagte Peskow in der Sendung «Moskau.Kreml.Putin», die am Sonntagabend ausgestrahlt werden sollte.
Russland kritisiert US-Botschaft
Peskow kritisierte zudem die US-Botschaft in Moskau, die im Vorfeld der Proteste eine Liste mit Demo-Treffpunkten und Uhrzeiten veröffentlicht hatte. Das sei «eine direkte Unterstützung des Gesetzbruchs», sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin.
Insgesamt hatten in rund 100 russischen Städten Zehntausende Menschen für Nawalnys Freiheit und gegen Präsident Wladimir Putin demonstriert. Das Team des Oppositionellen, der im August Opfer eines Giftanschlags geworden war, sprach von einer «grandiosen gesamtrussischen Aktion».
Für Entsetzen sorgte in sozialen Netzwerken unterdessen ein Video, auf dem zu sehen ist, wie in Polizist in St. Petersburg eine Frau brutal wegtritt. Medienberichten zufolge erlitt die 54-Jährige ein Schädel-Hirn-Trauma. Sie liege im Krankenhaus und sei nicht bei Bewusstsein. Ermittler kündigten an, den Fall zu prüfen.
«Jagt sie, verfolgt ihre Geldströme»
Nach den Protesten gibt es international Rufe nach weiteren EU-Sanktionen gegen Russland. Die Strafmassnahmen müssten Oligarchen und Freunde von Kremlchef Wladimir Putin treffen, erklärten im Ausland lebende Oppositionelle um den früheren Oligarchen Michail Chodorkowski am Samstagabend. «Jagt sie, verfolgt ihre Geldströme», sagte der frühere Schach-Weltmeister Garri Kasparow bei der Online-Pressekonferenz.
Die EU solle das Sanktionsinstrument nutzen, das sie im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen im Dezember beschlossen hatte. Der Aussenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, kündigte an, am Montag mit den Aussenministern der EU-Staaten bei einem Treffen in Brüssel über die nächsten Schritte zu beraten
Klobürsten des Protests
Nawalny drohen in Russland mehrere Strafverfahren und viele Jahre Gefängnis. In Haft sitzt der 44-Jährige aktuell zunächst für 30 Tage, weil er gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstossen haben soll – während er sich in Deutschland von dem Giftanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholte.
Zusätzlich für die Proteste mobilisiert hatte wohl ein kürzlich von Nawalnys Team veröffentlichtes Enthüllungsvideo, das beweisen soll, dass Putin sich aus Schmiergeldern ein «Zarenreich» am Schwarzen Meer bauen liess.
In vielen Städten hielten Demonstranten Klobürsten in die Höhe – eine Anspielung darauf, dass im Badezimmer von Putins Riesenpalast eine italienische Klobürste im Wert von 750 Franken stehen soll. Der Kreml dementiert die Vorwürfe in dem bis Sonntagvormittag mehr als 77 Millionen Mal aufgerufenen Film. Nawalnys Unterstützer kündigten an, die Proteste fortsetzen zu wollen.