Neue StudieSo hat Corona die Gefühle von Schweizerinnen und Schweizern verändert
Von Jennifer Furer
8.7.2020
«Wie geht’s dir?» Das haben Forscherinnen von Schweizern wissen wollen. In einer neuen Studie gewähren sie erstmals Einblick in die Gefühlslage der Schweizer Bevölkerung – und wie sich diese durch Corona verändert hat.
Ausgangslage
Heute Donnerstag wurde der neu veröffentlichte «Atlas der Emotionen» vorgestellt. In der Studie wurde erstmals das Spektrum der Gefühlswelt der Deutschschweizer Bevölkerung untersucht. Über 9'000 Personen wurden befragt.
Die Studie ist Teil der Deutschschweizer Kampagne «Wie geht’s dir?», welche die Förderung der psychischen Gesundheit antizipiert. Sie wird von Kantonen und der Stiftung Pro Mente Sana im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz durchgeführt.
Die Resultate: Schweizer erleben 14 Emotionen im Leben
Schweizerinnen und Schweizer erleben Liebe, Freude und Geborgenheit als positivste Gefühle. Am negativsten schätzen Deutschschweizer Emotionen wie Geringschätzung, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ein.
Die Frage, welche Gefühle sie während des vergangenen Jahres am häufigsten erlebt hatten, beantworteten die Befragten vornehmlich mit Zufriedenheit, Dankbarkeit und Freude. Die beiden negativ bewerteten Gefühle, ganz oben auf der Rangliste, waren Müdigkeit und Stress.
Es fällt auf, dass vor allem positive Gefühle an der Spitze der Rangliste stehen. Werden jedoch die häufig erlebten positiven und negativen Gefühle der einzelnen Befragten zusammengezählt, ist das Verhältnis ausgeglichener: Die Befragten haben insgesamt etwa gleich viele positive wie negative Gefühle in ihrem aktiven Gefühlsrepertoire.
Die Studie hat herausgefunden, dass für die deutschsprachige Bevölkerung der Schweiz im Schnitt insgesamt rund 14 Emotionen im Leben eine Rolle spielen. Darunter fallen auch Liebe, Entspanntheit, Mitgefühl sowie Sorgen und Unsicherheit.
Ältere Menschen sind glücklicher
Die Studie kommt zum Schluss, dass Frauen ein breiteres emotionales Spektrum besitzen als Männer. Frauen nennen im Durchschnitt knapp 16 von ihnen erlebte Emotionen, Männer nicht ganz 13.
Noch ausgeprägter sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen. 15- bis 34-Jährige erleben in ihrem Alltag durchschnittlich 18 Emotionen, bei den über 64-Jährigen sind es zehn.
«Die Reduktion des emotionalen Spektrums im Lauf des Lebens legt nahe, dass Erfahrung, Konstanz und allenfalls auch eine gewisse Gleichförmigkeit des Alltags die Vielfalt der erlebten Gefühle kleiner werden lassen», heisst es in der Studie.
Fazit: Frauen erleben in der Tendenz mehr unterschiedliche Gefühle als Männer und jüngere Personen mehr als ältere.
Demografische Unterschiede bestehen jedoch nicht nur bezüglich der Anzahl, sondern auch in Bezug auf die Art der (häufig) erlebten Gefühle: So erleben über 65-Jährige mehr positive Gefühle in ihrem Alltag als 35- bis 64-Jährige. Diese wiederum erleben mehr positive Gefühle als Menschen zwischen 15 und 34 Jahren.
Dies lässt darauf schliessen, dass das Gefühlsleben der Jüngeren noch weniger geordnet und gesetzt ist.
Entspanntheit vs. Hoffnungslosigkeit
Stärker als demografische Faktoren wie Alter und Geschlecht hat die psychische Verfassung Einfluss auf die Gefühlslandschaft einer Person. Bei Personen, denen es psychisch nicht gut geht, stehen andere Gefühle im Vordergrund als bei solchen, die psychisch gefestigt und in einer guten Grundstimmung sind.
Entspanntheit, Selbstbewusstsein und Geborgenheit: diese drei Gefühle werden in der Studie als die Säulen einer guten, stabilen psychischen Verfassung genannt. Sie sind bei den Befragten übervertreten, denen es psychisch gut geht.
Das Gefühl, das am stärksten mit einer schlechten psychischen Grundstimmung zusammenfällt, ist die Hoffnungslosigkeit. Es wird von den entsprechenden Befragten 4,5-mal so häufig genannt wie von anderen. Auf Rang zwei und drei finden sich die Emotionen Verzweiflung und Hass.
Die Studie zeigt zudem, dass sich 45 Prozent in einer «sehr stabilen und gleichförmigen Lebenssituation» befinden. Weitere 36 Prozent sehen ihr Leben zwar «im Wandel aber dennoch stabil». Es bleibt rund ein Fünftel, das in einem instabilen Kontext lebt.
Die Stabilität der Lebenssituation hängt laut den Autoren der Studie sehr stark vom Lebensalter ab. Ältere Personen nehmen sich viel häufiger in einer stabilen und gleichförmigen Lebenssituation wahr als jüngere.
Einfluss der Corona-Krise
Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass die Krise sich negativ auf ihre Stimmung ausgewirkt habe. Nur 22 Prozent sahen einen positiven Effekt. Frauen und Jüngere haben eher negative Auswirkungen auf ihre Stimmungslage wahrgenommen als Männer und Ältere.
Zudem kommt die Studie zum Schluss, dass die negativen Auswirkungen als geringer eingeschätzt wurden, je stabiler die Lebenssituation war.
Nun das Paradoxe. Auf die Frage, welche Gefühle aufgrund der Coronavirus-Pandemie im Vergleich zum letzten Jahr an Bedeutung gewonnen haben, zeigt sich ein bemerkenswertes Ergebnis: Die Corona-Situation hatte vermehrt positive als negative Gefühle gefördert.
29 Prozent der Befragten geben an, dass sie vermehrt Dankbarkeit empfinden. 19 Prozent empfinden vermehrt Zufriedenheit und elf Prozent vermehrt Liebe.
Auch negative Gefühle haben an Bedeutung gewonnen. Dazu gehören Machtlosigkeit, Zukunftsangst, Unsicherheit und Sorgen. Diese wurden jedoch weniger häufig genannt als die positiven.
Dieses Corona-Paradox zeigt, dass die wahrgenommenen Gefühle und die Stimmungslage nicht einfach gleichgesetzt werden können. «Die Krise hat zwar zu Verunsicherung geführt, zugleich hat sie offenbar auch ein tieferes Bewusstsein für die eigene privilegierte Lage geschaffen», heisst es in der Studie. Die Krise habe zudem das emotionale Spektrum der Menschen in der Schweiz erweitert.
«Sie stellte Hergebrachtes infrage, sorgte für enormen Gesprächsbedarf und intensivierte damit auch das emotionale Erleben der Menschen», schreiben die Autoren. Sie sprechen von einer «emotionalen Verjüngungskur».
Über Gefühle reden
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass 31 Prozent gerne über Gefühle reden, ebenso viele tun es ungern und der Rest (38 Prozent) positioniert sich in der Mitte. Frauen sprechen in der Tendenz lieber über ihre Gefühle als Männer.
Ungern sprechen Schweizerinnen und Schweizer jedoch über negative Emotionen. Unter den 46 abgefragten Gefühlen mögen die Befragten am wenigsten über Hoffnungslosigkeit und Scham reden. Hingegen wird am liebsten über Gefühle gesprochen, wenn Bewunderung und Stolz empfunden werden.
«Allein der Charakter dieser beiden Gefühlspaare macht deutlich, dass es hier auch um eine bestimmte Form der Aussendarstellung geht», so die Studienautorinnen.
Zudem wird weniger über die eigene emotionale Verfassung gesprochen, je weniger stabil und gleichförmig die eigene Lebenssituation wahrgenommen wird. Und auch Personen, denen es psychisch sehr gut geht, sprechen weit lieber darüber als jene, denen es nicht so gut geht.
Was bei negativen Gefühlen hilft
Aus einer Liste von elf Massnahmen wurde in 39 Prozent der Fälle «mich bewegen, an die frische Luft gehen» gewählt. «Darüber reden, wie es mir geht» folgt auf dem zweiten Platz und «mich entspannen» auf dem dritten.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Massnahmen generell guttun, aber besonders bei gewissen Emotionen angewendet werden.
An die frische Luft gehen, tut gut bei Stress und darüber reden ist ein Gegenmittel bei Angst. «Dies zeigt, dass die Vielfalt der Emotionen, die in dieser Studie untersucht und aufgezeigt wurde, auch eine Vielfalt der Zugänge verlangt», heisst es in der Studie.
Video-Zusammenfassung
Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA hat die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie in einem Video zusammengefasst: