Chiasso, Milano Tangenziale, Savona – als die Kolumnistin diesen Herbst erstmals seit der Pandemie wieder nach Ligurien fährt, merkt sie, was ihr in letzter Zeit wirklich gefehlt hat: Italien!
Von Caroline Fink
18.10.2021, 06:30
18.10.2021, 17:37
Caroline Fink
Ich war gut zwei Jahre alt, als ich zum ersten Mal in Italien war. An einzelne Eindrücke erinnere ich mich bis heute: Das Meer, das ich dort erstmals sah, den Sand, streunende Katzen und Pfirsiche, für Kinderhände so gross, dass ich sie in beiden Händen hielt. Das war 1979.
Letztmals besuchte ich Italien vor zwei Wochen. Weil uns der Wetterbericht in der Schweiz nicht zugesagt hatte, waren wir kurzerhand ins Auto gestiegen, um für eine Woche nach Ligurien zu fahren und an der Sonne zu klettern.
Zwischen den zwei Reisen liegen 42 Jahre, doch etwas verbindet sie: die Entdeckung Italiens. Nicht, dass ich dazwischen die südliche Nachbarin nie besucht hätte. Im Gegenteil.
Jovanotti, Gianna Nannini, Francesco Guccini
Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser
Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.
Ich kletterte auf die Zinnen der Dolomiten, schlenderte durch Turin, stieg auf den italienischen Viertausender des Gran Paradiso, wanderte durch den Nationalpark des Val Grande, besuchte die linke Universitätsstadt Bologna, zog auf Tourenski durch die Alpi Marittime.
Und auch daheim in der Schweiz hörte ich manchmal den Soundtrack Italiens: Jovanotti, Gianna Nannini, Francesco Guccini.
Dann kam der Tag im März 2020, als die Grenzen zugingen. Ein schwarzer Tag, so fand ich. Zu aller anderen Mühsal, die die Pandemie uns bescherte, fühlte ich mich danach wie in einem Gefängnis.
Was mich selbst verwunderte, lebe ich doch gern in der Schweiz. Aber das Leben schien von einem Tag auf den anderen seine Weite zu verlieren. Auch wenn es nur die Weite der Gedanken war. Diese Möglichkeit, in den Zug zu steigen und kurz auf einen Kaffee nach Domodossola zu fahren. Oder in Tirano einen Crodino zu trinken.
Blau und weit bis zum Horizont
Nach dieser auferzwungenen Pause reiste ich vor zwei Wochen also erstmals wieder Richtung Süden: Gotthard Passhöhe, Zoll bei Chiasso, Milano Tangenziale Ovest. Die Po-Ebene, so flach wie ein See, die blauen Schilder über der Autobahn, die in weissen Lettern den Weg nach Savona, Torino, Ventimiglia weisen.
Und dann, mit einem Mal, der Blick auf das Meer, blau und weit bis zum Horizont. Wenig später, im Agriturismo, dieser mediterrane Geruch von trockener Erde und Gestrüpp in der Luft.
Mit einem Mal war alles wieder da: die Felsen in der Sonne, die ligurischen Berge, das Brechen der Wellen am Strand. Die Buchläden, der Kaffee mit Marmeladenbrioche an der Ecke, der Klang der Sprache, das Licht des Südens.
Schmale Gassen mit Blumentöpfen auf Stiegen und Balkonen, Mauern mit Geschichte und Ristoranti voller Herren mit schicken Frisuren und Damen, deren Handtaschen zu Ohrringen und Schuhen passten.
Erst als wir eine Woche später wieder zurück Richtung Chiasso brettern, weiss ich mit einem Mal, was mir während der Pandemie wirklich fehlte: nicht das Reisen, sondern Italien!
Das Nachbarland, in das schon meine Grosseltern gereist waren, in dem ich zum ersten Mal das Meer gesehen hatte und das in den letzten Jahren so sehr zu meinem Alltag gehörte, dass ich vergessen hatte, wie schön es war. In dem Sinne sende ich heute auf diesem Weg eine Grussbotschaft in den Süden und sage:
Bis bald wieder, mein liebes Italien – ci vediamo presto!
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