«Slow Travel» Verrückt und vernünftig zugleich – die Vorteile des langsamen Reisens

Philipp Laage, dpa

16.7.2020

Zu Fuss unterwegs auf dem Pacific Crest Trail in den USA: Wer langsam reist, sieht am Wegesrand mehr.
Zu Fuss unterwegs auf dem Pacific Crest Trail in den USA: Wer langsam reist, sieht am Wegesrand mehr.
Source: Ute Wessels

Wer langsam unterwegs ist, sieht mehr: «Slow Travel» will weg von der Hektik und Oberflächlichkeit des gegenwärtigen Reisens. Kann dieser Ansatz durch Corona bald mehr Menschen überzeugen?

Vier Wochen mit einem elektrischen Milchwagen durch England fahren – das klingt nicht gerade nach einem grossartigen Reiseerlebnis. Doch es sei «das Vernünftigste und zugleich das Verrückteste» gewesen, das er jemals getan habe, so der britische Autor Dan Kieran in seinem Buch «Slow Travel».

Nach einer Woche sei es ihm vorkommen, als durchquere er weites, unerschlossenes Land. «Es war, als würde das Land durch unser langsames Tempo tatsächlich grösser werden», schreibt Kieran. Der Engländer liebt es, bewusst langsam unterwegs zu sein. Weniger Stress, dafür mehr sehen.

Könnte diese Idee wegen Corona eine grössere Wertschätzung erfahren?

Immerhin haben viele die pandemie-bedingte Entschleunigung offenbar als angenehm wahrgenommen. Und war es nicht auch ein bisschen Wahnsinn, wie rasant die Menschen vor der Krise um die Welt geflogen sind? Drei Tage Rom, eine Woche Marokko, zehn Tage Bali. Slow Travel ist der Gegentrend.

Ankommen ist das falsche Ziel

Dabei geht es darum, das Unterwegssein stärker wertzuschätzen. «Heute können wir so schnell die ganze Welt erkunden, dass die meisten von uns paradoxerweise gar nicht mehr reisen – sondern nur noch ankommen», schreibt Kieran. Beim langsamen Reisen gehe es nicht um Tempo und Entfernungen, sondern um Reflexion und Tiefgang.



Ähnlich sieht das Arne Gudde, Geschäftsführer des Veranstalters und Reisevermittlers Langsamreisen. Wenn nicht gerade Corona herrscht, bietet Gudde zum Beispiel Seereisen auf Containerschiffen an, etwa in 15 Tagen von Bremerhaven über die USA nach Mexiko. Im Angebot finden sich unter anderem auch klassische Segelreisen, die Transsibirische Eisenbahn und Radreisen in den Niederlanden.

Doch wofür nun solche Trips? «Auf einer Frachtschiffreise hat man keine Ablenkung», sagt Gudde. Es gehe darum, der Natur nah zu sein und Zeit zu haben. «Es gibt Leute, die denken, es sei doch langweilig, immer die gleiche Landschaft zu sehen. Doch irgendwann merken sie, wie vielfältig das Meer ist.» Auch Gudde sagt, es gehe nicht so sehr darum, anzukommen. Der Weg sei das Ziel – «auch wenn das so abgeschmackt klingt.»

Langsam reisen und das Klima

Gudde ist überzeugt: «Immer mehr Leute stellen ihr Reiseverhalten in Frage.» Der ökologische Fussabdruck des Tourismus lässt sich immer schwerer ignorieren. «Wenn ich ganz schnell unterwegs bin, dann bin ich mehr auf meine eigenen Bedürfnisse fokussiert als auf die Auswirkungen meines Handelns», sagt der Touristiker.

Kann «Slow Travel» einen positiven Einfluss auf das Klima haben? Tatsächlich ist es so: Wenn jemand langsamer und zugleich länger reist, dafür aber seltener, dann ist das vorteilhaft.

Die Anreise, das Transportmittel, ist auf einer Reise für die meisten CO2-Emissionen verantwortlich. «Eine längere Reisedauer trägt selbst nichts zur Klimafreundlichkeit einer Reise bei, allenfalls über den Umweg, dass wegen einer länger dauernden Reise auf eine zweite verzichtet wird», erklärt der Tourismusexperte Professor Martin Lohmann. Weniger zu reisen, sei grundsätzlich klimafreundlicher.



Ob man aber sechs oder drei Wochen in Thailand bleibt, macht also für das Klima keinen grossen Unterschied – sofern man nicht insgesamt seltener aufbricht. «Slow» könne ja auch bedeuten: Ganz fix weit weg und sich dann dort sehr langsam unterwegs sein, so Lohmann.

Ist Slow Travel das neue grosse Ding?

Das Zukunftsinstitut räumt dem langsamen Reisen grosses Potenzial ein: «Die Tourismusbranche hat ihre Strukturen in der Vergangenheit auf Schnelligkeit und Effizienz hin entwickelt – und stösst damit an ihre Grenzen», schreibt die Trendforscherin Anja Kirig in einem Artikel. «Jenseits von Pauschalurlaub, Massentourismus und Jetset-Mythos etabliert sich daher jetzt Slow Travel als erfolgreiche neue Form von Erlebnisreisen.»

Von einem Trend könne keine Rede sein, meint dagegen Lohmann: «Es gibt die Einstellung, dass Urlaubsreisen ökologisch verträglich und nachhaltig sein sollen. Aber bislang hat diese Haltung praktisch keinen Einfluss auf das Reiseverhalten.»

Er sieht die Vorteile des Langsamreisens ebenfalls auf der psychologischen Ebene: weniger Hektik, grössere Wertschätzung der Augenblicke, die man erlebt.

Bibliografie: Slow Travel: Die Kunst des Reisens, Dan Kieran: Heyne Verlag, 224 Seiten, ISBN-13: 978-3453417977

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