Campieren liegt voll im Trend. Unser Autor hat Zeltferien am Bielersee gemacht und eine Katastrophe erlebt.
Von Michael Angele, Region Bielersee
23.07.2021, 08:17
Michael Angele, Region Bielersee
Ferien auf dem Campingplatz boomen. «Da schau», meine Mutter reichte mir das Gratiswochenblatt der Region, das «Biel-Bienne». «Überall am See sind die Plätze ausverkauft. Auch auf eurem Platz.» Den Platz hatte ich von Berlin aus, wo ich lebe, frühzeitig reserviert.
Mir war klar, dass es auch im zweiten Jahr der Pandemie einen Run der Schweizer und Schweizerinnen auf ihre Campingplätze geben würde. Ich wählte die erste Ferienwoche, damit die Jungs Gleichaltrige zum Spielen finden würden. Das Wetter konnte man natürlich nicht vorausschauen, wird schon werden.
An dieser Stelle muss vor einer falschen Theorie über das Campieren gewarnt werden. Diese Theorie besagt, dass man sich ein Leben lang an tolle Sonnenuntergänge, heissen Sex im Schlafsack und so weiter erinnert. Das ist falsch.
Zum Autor: Michael Angele
Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele schreibt für die Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt.»
Man erinnert sich an grosse und kleine Katastrophen. Also wir Erwachsenen. Die Kinder erinnern sich an grosse Abenteuer. Im Fall von tagelangem Starkregen sprechen wir von ein und derselben Sache.
Schweizer Camper sind perfekt ausgestattet
Im letzten Jahr hatten wir auf dem anderen Campingplatz im Dorf gezeltet, etwas weiter oben auf einer Wiese, bei einem Bauern. Der See strahlte, die Reben am anderen Ufer leuchten, das Kirchlein von Ligerz grüsste freundlich. Wir hatten herrliches Wetter.
Der Zeltnachbar war ein Tessiner, über sein Zelt hatte er ein zweites Dach gespannt. Das habe er sich zugelegt, als er einmal in Italien im Dauerregen stand und das Zelt irgend einmal nicht mehr konnte. Man könne ja nie wissen. Ich habe später nach so einem Dach auf Amazon gegoogelt, aber es nicht gefunden.
Überhaupt fühle ich mich unsicher, wenn es um die Campingausrüstung geht. Schweizer Camper sind perfekt ausgestattet, super Gaskocher, super Grill, das SUP piccobello auf dem freistehenden Rack. Es gibt noch eine falsche Theorie über das Campieren.
Sie lautet: Auf dem Campingplatz kannst du dich gehen lassen, endlich du selbst sein, ein nicht perfekter, aber freier Mensch unter freien, nicht perfekten Menschen, quasi nackt.
Das Gegenteil ist wahr.
Auf dem Campingplatz ist der soziale Druck besonders hoch, da ja die Nachbarn noch näher an einem dran sind als zu Hause. Jedenfalls tagsüber. Nacht: siehe unten.
Also kaufte ich mir in der Landi neben dem Campingplatz ein paar praktische Kisten zum Verstauen. Ich liess das Vorzelt meist offen, sodass Vorübergehende die gute Ordnung sehen konnten. Am dritten Tag stellte eine französische Familie ihr Zelt auf der Nachbarparzelle auf. Die Teller in Plastiktüten, die Kleider in Sporttaschen, herrliches Durcheinander. Kurzer Moment der Entlastung.
Der Krach der Jugend
In der Nacht, ich deutete es schon an, verhalten sich die Dinge auch auf Schweizer Campingplätzen anders. Junge Menschen denken nicht daran zu schlafen, im guten Vertrauen darauf, dass niemand sie zur Raison bringt, sondern alle in ihren Zelten oder Wohnmobilen bleiben und die Faust im Schlafsack ballen. Auch ich tat so.
Um 22 Uhr ist auf den meisten Campingplätzen Nachtruhe.
Eingehalten wurde sie auf dem Platz, auf dem ich letztes Jahr war. Dort herrschte ein strenges Regiment ökologisch bewusster Bürger, die es schätzen mit dem Bauernhof, auf dessen Wiese sie campierten, eine Einheit in Natura zu bilden, die niemals, und nächtens gleich gar nicht getrübt werden durfte. Ich fand das ein bisschen sektenartig. Dann lieber den Krach der Jugend runterschlucken.
Positive Wetter-Apps und andere schöne Dinge
Sprechen wir endlich von den schönen Dingen.
Von der Vorfreude aufs Campieren, die in der Aussicht besteht, am Morgen den Reissverschluss mit einem herrlichen Raaatschhhh!! zu öffnen (wie nervig, wenn der Nachbar mitten in der Nacht minutenlang am Reissverschluss rauf und runterratscht, weil er klemmt), zum See zu laufen und loszuschwimmen, danach im Bel Lago eine Schale trinken, um finally im Zelt die Kinder noch schlafend vorzufinden, und ihnen in höchster Vaterliebe ein Frühstück zuzubereiten, mit Gipfeli und Weggli, von denen du in Deutschland nur träumen kannst.
Damit zu den Wetter Apps: Es gibt Wetter Apps, die in ihren Prognosen deutlich positiver sind, als die, die auf meinem Handy vorinstalliert ist. Also lud ich mir zusätzlich diese Apps runter; noch standen wir ja unter dem «Einfluss eines Zwischenhochs», aber für die kommende Woche hatte die meine nur noch Niederschläge in Aussicht gestellt. Jeden Tag.
Andere Apps versprachen auch mal nur dichte Bewölkung ohne Regen, eine sogar permanenten Sonnenschein, gut, die konnte ich nicht ernst nehmen. Weil ich den positiven Apps zwar gerne vertraut hätte, es aber nicht tat, switchte ich permanent zwischen den Apps. Ich regte mich über die Söhne auf, die in der rechten Kammer des Zelts lagen und auf ihren Handys spielten und vergass dabei, dass ich ja in der linken Kammer lag und auf mein Handy starrte.
Wir kommen wieder
Es kam die Zeit, als auch die positivste App die Realität nicht mehr ignorieren konnte. Einmal noch übernachteten wir im Zelt. Die Kinder hatten ihr Abenteuer. Ich meine Katastrophe.
Zweimal krachte das Vorzelt zusammen. Denn es stürmte. Wobei, das stimmt nicht genau. Es kam eine Böe. Und schüttelte das Zelt durch. Dann prasselte der Regen aufs Dach. Dann Stille. Aber die Stille vor dem Sturm. Nächste Böe. Schüttel. Prassel. Stundenlang.
Am nächsten Tag war ich völlig fertig.
Wir brachen die Zelte buchstäblich ab und zogen in den Keller meines Onkels. Im «Bieler Tagblatt» las ich, dass der Campingplatz in Erlach ganz unter Wasser stand, in Vinelz wenigstens das Beizli, und auf unserem Campingplatz gar nichts, denn der Platz liege «rund fünf Meter» über dem See. Ich hatte zwei Meter geschätzt und meinen besorgten Verwandten in jener Nacht kommuniziert.