Ahnenkult in Taiwan Ihre Toten verwöhnt die Familie mit Smartphones, Bier und Luxusvillen

Von Claudio Sieber, Taiwan

2.5.2021

In Ostasien ist die Nächstenliebe unsterblich, im wahrsten Sinne des Wortes. Als Tribut für die Seelen der Angehörigen werden bedeutsame Geschenke aus Papier verbrannt.

Von Claudio Sieber, Taiwan

Die freie Ausübung des Glaubens ist in Taiwans Verfassung verankert, daher sind die Taiwaner äusserst tolerant. Häufig werden innerhalb derselben Familien mehrere Religionen praktiziert. A priori stehen Taoismus und Buddhismus im Mittelpunkt, bei denen die Welt der Lebenden und die Welt der Toten untrennbar zusammengehören. Gemäss taoistischer wie auch buddhistischer Lehre endet das Leben nicht mit dem Tod, es geht auf die eine oder andere Weise weiter. Mit diesem starken Glauben an eine Zwischenwelt kümmern sich die Taiwaner leidenschaftlich um das Wohlergehen ihrer Ahnen – mit bedeutsamen Gaben, die von Herzen kommen.

In Taiwan hat sich der Ahnenkult längst zum lukrativen Geschäft entwickelt, denn das Konsumverhalten der Vorfahren wird immer verschwenderischer. Parallel zur ultramodernen Gesellschaft sollen sie es möglichst gemütlich haben und zugleich auch mit den technologischen Trends Schritt halten. Daher schicken die Taiwaner ihren Liebsten vorzugsweise verschwenderische Geschenke aus Pappmaché, die sogenannten Zhǐzhā. Viele dieser Opfergaben sind Imitationen von Dingen, die sich die Taiwaner während Lebzeiten wünschen, aber oft nicht leisten können – allem voran Freizeit und Luxus.

Zu spezifischen Anlässen wie Beerdigungen, Grabpflegetagen, Todesjubiläen oder auch dem Geistermonat kommen die Verstorbenen so richtig auf ihre Kosten. Dann werden ihnen zuliebe Papiergeschenke in allen Formen und Farben kremiert. Die Feueropfer sollen die Gedanken der Trauernden in die Welt der Toten transportieren und ihnen dabei helfen, das Nachleben etwas beschaulicher zu gestalten.

Lukratives Geschäft

Yean Han schrieb früher Liebesromane und sang für eine Punk-Band, bis sie vor einigen Jahren die hochwertigen Papiergeschenke zu ihrer Mission gemacht hat. Nachdem die gewiefte Unternehmerin für ihren verstorbenen Grossvater keine passende Papiervilla mit Wellness-Anlage finden konnte, gründete sie die Geisterpost-Manufaktur Skea.

Mit ihrem Familienbetrieb gehört sie zu den Pionieren der Zhǐzhā-Papierkunst in ganz Asien. Das Geschäftsmodell ist en vogue, denn mit dem materialistisch geprägten Lebensstil in Taiwan steigen auch die Anforderung für die Geschenke an die Toten. Die filigranen Papierarbeiten sind längst zu Prestigeobjekten geworden und haben daher einen saftigen Preis.

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Der Multimedia-Journalist Claudio Sieber aus St. Gallen reist seit mehreren Jahren durch Asien, wo er über die Traditionen fremder Völker, Popkultur und den sozialen Wandel im Orient und Ozeanien berichtet.

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