Erneuerbare EnergieGeht bald das Licht aus? Was du zur Schweizer Stromversorgung wissen musst
Von Pascal Salina
21.4.2022
Der Krieg in der Ukraine wirkt sich massiv auf den europäischen Strommarkt aus. Hier erfährst du, warum das so ist, was das für uns bedeutet und warum die Schweiz andere Voraussetzungen hat als das nahe Ausland.
Von Pascal Salina
21.04.2022, 07:01
Pascal Salina
Unser Strom wird auf unterschiedliche Weise produziert: Ob aus Stauseen, Flusskraftwerken, Atomreaktoren, Windrädern oder Solarpanels – die produzierte Elektrizität gelangt via das Verteilernetzwerk zu uns Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Dieser Strommix – also Strom aus unterschiedlichen Quellen – wird gerade heiss diskutiert. Denn: In Zukunft sollen erneuerbare Energien fossile Kraftwerke immer öfter ersetzen. In Europa wird noch immer durch die Verbrennung von Erdgas und Kohle viel Elektrizität produziert.
Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich der Preis von Erdgas stark erhöht. Da der Rohstoff grösstenteils aus Russland stammt, ist die künftige Gasversorgung Europas ungewiss. Die EU will nun sich nun rasch aus dieser Abhängigkeit lösen.
Doch wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Wie stark ist die Schweizer Stromversorgung von fossilen Energieträgern abhängig? Und wie nachhaltig ist unsere eigene Stromproduktion bereits?
Hier findest du die wichtigsten Antworten auf Fragen zum Schweizer Strom:
Wie gross ist der Anteil an mit Erdgas produziertem Strom im Schweizer Strommix?
Sehr klein.
Der Schweizer Strommix besteht bereits zu drei Vierteln aus erneuerbarer Energie. Der Grund für diesen hohen Wert ist, dass die Schweiz eine Wasserhochburg ist: Zwei Drittel unseres Strommix entstammt Kraftwerken von Stauseen und in Flüssen. Wind, Kleinwasserkraft oder Biomasse machen zusammen weitere zehn Prozent aus.
Fossile Brennstoffe wie zum Beispiel eben Erdgas machen nur zwei Prozent unseres Strommix aus. Diese «thermische» Stromerzeugung belastet das Klima am stärksten und ist nicht erneuerbar – und damit nicht nachhaltig.
Aber: Noch immer stammt ein Fünftel unseres Stroms aus Kernkraftwerken. Diese sind zwar klimaneutral, der dafür notwendige Brennstoff Uran ist jedoch kein erneuerbares Material. Ausserdem entsteht nach der Verarbeitung radioaktiver Abfall, dessen Endlagerung noch nicht geklärt ist.
Verteuert der Ukraine-Krieg auch den Schweizer Strom?
Der Strompreisanstieg war bereits vor dem Ukraine-Krieg absehbar.Der russische Überfall des Nachbarstaats hat diese Entwicklung nun verschärft.
Die steigenden Öl- und Gaspreise wirken sich verspätet auf den Strommarkt aus. Eine Megawattstunde kostete im Januar 2021 noch 50 Fanken, jetzt sind es 200.
Ist unsere Stromversorgung unabhängig vom Ausland?
Der sogenannte «Produktionsmix», also die Menge und Art an produziertem Strom, stimmt nicht mit dem «Liefermix» überein, also jener Energie, die aus der Steckdose kommt. In der Produktion wiegen die Kernkraftwerke stärker: 35 Prozent des in der Schweiz erzeugten Stroms entspringt unseren vier AKWs. Damit weist der Produktionsmix einen tieferen Anteil erneuerbarer Energie auf als der Liefermix.
Seit 2018 gilt in der Schweiz die Volldeklaration. Das heisst: Die Stromherkunft muss klar ersichtlich sein. Für den Eigengebrauch importiert die Schweiz fast ausschliesslich Strom aus erneuerbaren Quellen oder nuklear produzierten Strom. Mit Herkunftsnachweisen wird sichergestellt, dass kaum noch «grauer» Strom, also Strom mit unklarer Herkunft, durch unser System fliesst.
Gesamteuropäisch dominiert noch immer die fossile Stromgewinnung: Rund zwei Fünftel des europäischen Strommix entstehen durch die Verbrennung von Kohle und Erdgas. Nur 22 Prozent des EU-Stroms ist aus erneuerbaren Quellen gewonnen. Zur Erinnerung: In der Schweiz sind es drei Viertel!
Auch im Vergleich zu unseren direkten Nachbarn steht die Schweiz gut da. Frankreich ist ein Kernkraftland: Rund 70 Prozent des produzierten Stroms wird in AKWs erzeugt. Jedoch beinhaltet der französische Strommix «nur» 39 Prozent Kernenergie. Der Überschuss wird ins Ausland verkauft – unter anderem in die Schweiz. Frankreich ist der grösste Netto-Exporteur elektrischer Energie in Europa.
In Deutschland siehts ganz anders aus: Unser nördlicher Nachbar bezog 2021 noch immer rund 40 Prozent (!) seines Stroms aus fossilen Quellen: 20 Prozent produzierten Braunkohlekraftwerke, etwa zehn Prozent die Verbrennung von Steinkohle und weitere zehn Prozent Erdgaskraftwerke. Der Anteil erneuerbarer Energie liegt bei 46 Prozent, wobei vor allem Windkraft eine grosse Rolle spielt.
In Bezug auf nachhaltige Stromquellen ist Österreich ähnlich gut aufgestellt wie die Schweiz: Das Land besitzt keine Kernkraftwerke und der Strommix besteht zu rund drei Vierteln aus erneuerbarer Energie. Da die Kernkraft wegfällt, füllen aber hier fossile Brennstoffe die übrig bleibende Lücke aus.
Kann ich für meinen Haushalt reinen Ökostrom beziehen?
Es ist kompliziert.
Die Stromversorger bieten inzwischen verschiedene Produkte an: Neben einem Standardstrommix gibt es Produkte aus ausschliesslich nachhaltigen Quellen, regional produzierten Strom oder besonders preiswerte Produkte bestehend aus Kernkraftstrom.
Aber: Der Strom aus der Steckdose entspringt dem gleichen Mix wie der aller anderen. Du kannst nicht entscheiden, wie der Strom, der dein Handy lädt, produziert wurde. Bei Strom gibt es auch keine Qualitätsunterschiede. Der für ökologische Produkte fällige Aufpreis, so versichern die Anbieter, wird in die nachhaltige Stromproduktion investiert. So verändert sich langfristig der Strommix und der Anteil erneuerbarer Quellen steigt.
In gewissen Gemeinden besteht der Standardstrommix bereits vollständig aus erneuerbarer Energie. Vielleicht beziehst du also bereits nachhaltige Elektrizität. Auf der interaktiven Karte von Stromlandschaft Schweiz kannst du den Strommix deiner Heimatgemeinde prüfen.
Drohen bald Stromknappheit und Blackouts?
Stromknappheit ist möglich, das Risiko von Blackouts gering.
Der Bundesrat reagierte deshalb erst vor Kurzem mit einem Notfallplan, der bereits ab Winter 2022/23 umgesetzt werden soll: Mit Gaskraftwerken soll eine Unterversorgung des Netzes schnell ausgeglichen werden können. Damit will man die Zeit überbrücken, bis nachhaltige Lösungen die Stromversorgung garantieren können.
Blackouts kann es hingegen immer geben: Eine grosse Störung in einem wichtigen Kraftwerk, eine Naturkatastrophe oder eine Cyberattacke kann die Stromversorgung in einem grossen Gebiet lahmlegen. In einem solchen Fall spricht man von Blackout. Das Risiko eines Blackouts bleibt jedoch gering.
Strommix gut, alles gut?
Nein.
Ein nachhaltiger Strommix ist gut, der Stromverbrauch ist aber nicht die einzige Grösse bei Energiefragen. Heizen und warmes Wassersind für rund 80 Prozent des gesamten Energieverbrauchs von Schweizer Haushalten verantwortlich. Und gerade hier gibt es Nachholbedarf.
Zwei von fünf Wohnungen werden mit Heizöl, eine von fünf wird mit Gas beheizt. Und warmes Wasser wird bei vielen durch das Verbrennen von Öl (26 Prozent) und Gas (16 Prozent) aufbereitet.
Erdgas ist zwar umweltfreundlicher als eine Ölheizung, klimaneutral sind aber beide nicht. Und: Sowohl Erdöl wie Erdgas sind endliche Ressourcen. Um eine Umstellung kommen wir mittelfristig also gar nicht herum.
Unser Stromverbrauch wird künftig dennoch eher zunehmen. Als Beispiel dient hier die Mobilität, die künftig elektrisch statt mit Benzin und Diesel betrieben werden wird. Umso wichtiger, den Stromverbrauch andernorts so gut wie möglich einzuschränken, zum Beispiel mit energiesparenden Geräten oder intelligenten, digitalen Stromsparhilfen. Weitere Tipps findest du hier.
Beispiel Swisscom: Hoher Verbrauch von erneuerbarem Strom
Swisscom gehört aufgrund des Betriebs von Telefonnetz und Internetservern zu den Top 10 Stromverbrauchern der Schweiz. Das Telco-Unternehmen bezieht diese Energie seit über zehn Jahren ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen.
Ausserdem nutzt das Unternehmen die Flächen, die ihr zur Verfügung stehen, für die eigene Stromproduktion. Swisscom betreibt schweizweit 87 eigene Solaranlagen auf Betriebs- und Geschäftsgebäuden. Momentan plant Swisscom am Sendeturm auf dem Bantiger im Kanton Bern eine weitere.
Pascal Salina ist zuständig für Umweltmanagement, Energieeffizienz, Ökostrom, CO2-Themen und Reporting & Ratings bei Swisscom.
Im Nachhaltigkeitsblog erhältst du von Swisscom-Mitarbeitenden und Experten aktuelle Informationen über einen nachhaltigen Lebensstil und zu einem kompetenten Umgang mit neuen Medien. Das blue-News-Portal ist eine Unternehmenseinheit der Swisscom (Schweiz) AG.