Auswandern nach Portugal Wäschewaschen geht hier nur bei schönem Wetter

Von Michelle de Oliveira, Santa Cruz, Portugal

31.7.2022

Vor einem halben Jahr wanderte blue News Kolumnistin Michelle de Oliveira mit ihrer Familie nach Portugal aus.
Vor einem halben Jahr wanderte blue News Kolumnistin Michelle de Oliveira mit ihrer Familie nach Portugal aus.
Bild: Privat

Vor einem halben Jahr zog die Kolumnistin nach Santa Cruz an der portugiesischen Atlantikküste. Seit dem Wegzug aus der Schweiz hat sie so Einiges erlebt: Erstaunliches, Erschreckendes und Herzerwärmendes.

Von Michelle de Oliveira, Santa Cruz, Portugal

1. Ich kann viel mehr Brot, Olivenöl und Knoblauch essen, als ich für möglich gehalten hätte. Und zwar zu jeder Tageszeit, immer und überall. So etwas wie zu viel Knoblauch gibt es für mich nicht mehr.

2. Die Menschen freuen sich unglaublich, wenn ich Portugiesisch spreche, selbst wenn ich stottere und sämtliche Regeln breche.

3. Mein Mann wird immer auf Englisch angesprochen, wenn wir zu viert unterwegs sind. Dass er Portugiese sein könnte, wird bei zwei rothaarigen Kindern schlicht nicht in Betracht gezogen.

4. Die Kinder ziehen jedoch jede Menge Aufmerksamkeit auf sich und werden ihrer Haarfarbe wegen liebevoll als «Cenourinhas», als Karöttchen, bezeichnet. Mittlerweile nervt es den Älteren, dass ihn ständig alle auf seine Haare ansprechen.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Seit Kurzem lebt sie mit ihrer Familie in Portugal.

5. Die schönsten portugiesischen Wörter, die ich bisher gelernt habe:

«Saudades» (Sehnsucht oder Melancholie, die zelebriert wird)

«Cafuné» (Die Geste, mit der man einer geliebten Person zärtlich durchs Haar streicht.)

«Pirilampo» (Glühwürmchen).

6. Die schwierigsten Wörter, die ich kaum aussprechen kann:

Cabeleireiro (Coiffeur, aber dort gehe ich ja sowieso nicht gerne hin.)

Jesus (Ist kurz und scheint nicht schwierig, aber ist sehr schwer. Das schaff ich meist erst nach mehreren Anläufen: Schesusch. Steht zum Glück nicht zuoberst in meinem aktiven Wortschatz.)

Otorrinolaringologista (Das ist das Äquivalent zu den Schweizer Hals-Nasen-Ohren-Fachpersonen.).

Wäsche, Gesundheitssystem und Portugal-Tag

7. Wir waschen nur nach Konsultation des Wetterberichts: Denn Wäsche trocknet bei Wind und Sonne gefühlt innert Minuten, an bedeckten Tagen mit viel feuchter Meeresluft tagelang nicht.

8. Apropos Wetter: Sonnenschein bedeutet nicht, dass es warm ist. Wie in der Schweiz, ich weiss. Aber unbewusst denke ich noch immer, hier sei es anders. Weil ich früher ausschliesslich die Sommerferien in Meeresnähe verbracht habe und das Meer darum bis heute mit Wärme assoziiere.

9. Egal, wie schön die Landschaft, der Atlantik oder die gekachelten Häuser sein mögen: Ein Auge gehört immer auf die Strasse, weil es überall Hundehaufen hat.

10. Kinder im Vorschulalter Teilzeit betreuen zu lassen, ist hier die Ausnahme. Das liegt mitunter daran, dass die meisten Familien es sich nicht leisten können, Teilzeit zu arbeiten.

11. Wie gut das Schweizer Gesundheitssystem funktioniert, wurde mir erst so richtig bewusst, als wir an einem Samstag mit unserer kranken Tochter ins Krankenhaus fahren wollten. Das knapp 30 Minuten entfernte Spital hat aber aus Kapazitätsgründen am Wochenende keinen Kindernotfall. Das bedeutet: Eine gute Stunde bis nach Lissabon fahren. Und dort meist noch einmal sehr lange warten. Auch bei planbaren Arztkonsultationen: Oft dauert es Wochen, bis man einen Termin bekommt.

12. Am 10. Juni wird der «Dia de Portugal» gefeiert. Obwohl feiern der falsche Ausdruck ist: Der Portugal-Tag wird hier kaum zelebriert, nicht vergleichbar mit dem 1. August in der Schweiz. Mir ist einzig aufgefallen, dass für einen normalen Wochentag sehr viele Leute am Strand waren.

Kaffee, Auslandschweizerin und Meer

13. Wenn ich einen «Café» bestelle, bekomme ich einen Espresso. Ein «Abatanado» ist das, was in der Schweiz ein normaler, schwarzer Kaffee ist. Und dann gibt es auch noch den «Café cheio» (die Espressotasse wird randvoll gefüllt), «Meia de Leite» (halb Espresso, halb Milch), den «Pingado» (ein Espresso mit einem Tropfen Milch) und den Galão (wenig Espresso, viel Milch). Ich habe mir hier das Espresso-Trinken angewöhnt.

14. Geschwindigkeitsangaben auf den Strassen gleichen mehr Richtlinien als Gesetzen.

15. Autos sind das Fortbewegungsmittel Nummer 1. Mit einem Velo gehört man der Minderheit an. Und wenn dann hinten drauf noch ein Kind im Sitzli hockt, ist das schon fast eine Sensation.

16. In der Natur zu leben bedeutet nicht nur das Meer vor dem Haus, der Duft von Eukalyptus in der Luft und Pirilampos im Garten. Sondern auch zwei Meter lange Schlangen; armlange, grün schimmernde Echsen und Fliegen. Überall sehr, sehr viele Fliegen.

17. Einkaufen am Sonntag ist überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Die Läden sind am Sonntagvormittag so voll, wie in der Schweiz nur vor Ostern oder Weihnachten. Ausserdem sind Supermärkte oder Einkaufscenter in der Stadt oft bis Mitternacht geöffnet. Das erklärt auch das geschockte Gesicht meines Mannes, als wir einmal in Luzern an einem Samstag einkaufen wollten, und um zehn nach vier vor verschlossenen Türen standen.

18. Ich bin jetzt offiziell Auslandschweizerin. Als solche habe ich das Recht, an nationalen Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen. Ich darf also immer noch meinen bescheidenen Senf dazu geben, was in der Schweiz läuft, während das ausländischen Menschen, die in der Schweiz leben, nicht möglich ist, selbst wenn sie zum Beispiel den Grossteil ihres Lebens dort verbracht haben.

19. Ich bin bisher an allen 166 Tagen in Folge staunend und überwältigt am Atlantik gestanden und kann mein Glück, so nahe am Meer zu leben, noch immer nicht fassen.