Kolumne Das macht genderneutrale Sprache mit kleinen Kindern wirklich

Von Michelle de Oliveira

9.7.2022

Eine Studie zeigt, dass Kinder bis zum Alter von etwa fünf Jahren ihr eigenes Geschlecht für das Schlauere halten. Doch dann passiert ein Bruch.
Eine Studie zeigt, dass Kinder bis zum Alter von etwa fünf Jahren ihr eigenes Geschlecht für das Schlauere halten. Doch dann passiert ein Bruch.
Bild: Getty Images/Westend61

Die Kolumnistin achtet darauf, wie sie mit ihren Kindern spricht. Und zwar nicht nur, um deren Wortschatz möglichst lange frei von Fluchwörtern zu halten. Sondern vor allem auch deshalb, weil es die Persönlichkeit ihrer Kinder formt.

Von Michelle de Oliveira

Gendern – die geschlechtsneutrale Ausdrucksform – weckt viele Emotionen, wird oft kontrovers diskutiert und mit genervtem Stirnrunzeln kommentiert.

Mich fordert es auch immer wieder und viele Male sitze ich länger an einem Text, weil ich gendergerecht und doch schön und gut lesbar schreiben will. Das ist nicht immer einfach und oft vergesse ich es bei aller Achtsamkeit.

Und ich vergesse es auch, wenn ich mit meinen Kindern rede. Dann gehen wir noch schnell «zum Doktor» und «zum Zahnarzt» wo die «Krankenschwestern» doch immer so nett sind, wir reden darüber, ob ein «sehr starker Mann» unser Auto hochheben könnte und wer heute zu Hause «der Chef» sein darf.

Wir reden vom «Herrchen», der den Haufen seines Hundes nicht weggemacht hat, von der «Putzfrau» und der «Balletttänzerin» und vom «Feuerwehrmann».

Wir können uns anpassen

Viele dieser Begriffe sind so in unserem Sprachgebrauch verankert, und genau das wird oft in der Diskussion von Gegener*innen des Genderns als Argument angeführt: Es sind ja alle mitgemeint.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Seit Kurzem lebt sie mit ihrer Familie in Portugal.

Aber nur weil wir jahrelang so geredet haben, heisst das doch noch lange nicht, dass wir das nicht anpassen können. Ganz besonders im Umgang mit Kindern.

Es geht nicht nur darum, dass die Kinder wissen, dass sie Fussballspielerin oder Krankenpfleger werden können. Es geht viel weiter – bis zu einem sehr grundsätzlichen Selbstwertgefühl.

Eine Studie zeigt, dass Kinder bis zum Alter von etwa fünf Jahren ihr eigenes Geschlecht für das schlauere halten. Doch dann passiert ein Bruch.

Werden die Kinder im Alter von sechs Jahren wieder gefragt, sagen die meisten Buben noch immer, sie seien schlauer. Und die Mädchen? Sie sagen ebenfalls, dass die Jungs cleverer sind.

Warum müssen wir immer direkt schubladisieren?

Ich bin überzeugt davon, dass unsere Sprache dafür mitverantwortlich ist. Hören wir tagein, tagaus nur die männliche Form, schleift sich das in unser Unterbewusstsein ein und lässt uns danach handeln.

Eine Studie hat gezeigt, dass Mädchen sich weniger zutrauen, wenn bei Berufen immer nur die männliche Form genannt wird.

Das ergibt Sinn: Sagt uns jemand täglich, dass wir nicht gut genug sind, glauben wir das früher oder später. Und genauso können Menschen über sich hinauswachsen, wenn an sie geglaubt wird.

Gendern geht aber über die Sprache hinaus. Unser fünfjähriger Sohn lackiert sich wahnsinnig gern die Nägel, wenn ich das tue. Nicht selten reagieren Menschen überrascht auf seine roten Finger- und Zehennägel. Als er etwa zwei Jahre alt war, wünschte er sich unbedingt einen Rock. Einen pinken mit Glitzer hat er sich ausgesucht und hätte glücklicher nicht sein können.

Während er mit seinen halblangen Haaren, einem Batman-Cap und seinem Rock fasziniert einem Bagger zuschaute, beobachtete ich unterdessen die Menschen, die an uns vorbeigingen.

Die meisten lächelten und gleichzeitig erkannte ich in vielen Gesichtern Irritation. War das jetzt ein Bub oder ein Mädchen? Zwei Leute haben mich sogar gefragt. Und ich habe mich gefragt: Wieso ist es so wichtig? Warum müssen wir immer direkt schubladisieren?

Reicht es nicht zu denken: Ach, ein Kind das gern Glitzerröcke trägt und Bagger mag.

Kinder suchen nach Zugehörigkeit

Kürzlich hat mir eine Mutter erzählt, dass ihr Sohn neuerdings nur noch blaue, maximal grüne Sachen anziehen will. «Buebesache», wie er sagt. Bis vor Kurzem liebte er Pink und hatte sich eine Kindergartentasche mit rosaroten Blümchen ausgesucht.

Dieser Wandel lässt sich nicht verhindern. Kinder suchen nach Zugehörigkeit und es ist normal, dass sie beobachten und sich ihrer Peer-Group angleichen. Daran ist nichts falsch.

Und ich will meine beiden Kinder ja auch nicht zu zwei identischen Menschen erziehen. Sie sind unterschiedlich und das sollen sie auch sein. Weil ihr Charakter es ist und nicht, weil wir als Gesellschaft es sie so lehren.

Ich wünsche mir, dass sie gendersensibel aufwachsen.

Bücher lesen, in denen starke Mädchen vorkommen

Darum versuche ich, ihnen stets alle Möglichkeiten offen zu halten und auch aktiv anzubieten. Dass ich etwa meine Tochter frage, ob sie mit mir Fussball spielt und mit meinem Sohn Rollenspiele mache, bei denen wir Vater, Mutter und Kind sind. Oder auch mal zwei Mütter oder zwei Väter.

Dass wir Bücher lesen, in denen starke Mädchen vorkommen, und Jungs sich schminken und verkleiden wie etwa im Kinderbuch über David Bowie. Und dass wir uns alle gemeinsam die Nägel lackieren, solange sie das wollen.

Ich halte ihnen keine Vorträge über das Gendern, über Homosexuelle, Nichtbinäre und Transmenschen, aber wenn sie fragen, antworte ich ehrlich. Wenn ich mit ihnen rede, versuche ich, inklusiv und genderneutral zu sprechen.

Dabei sage ich nicht «Ärzt*innen» mit einer Sprechpause beim Gendersternchen. Das wirkt für mich im gesprochenen Alltag mit meinen Kindern gekünstelt. Aber ich sage häufiger: Ärztinnen und Ärzte, Astronautinnen und Astronauten, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger. Ich spreche häufiger von Menschen, als von Frauen und Männern.

Und je mehr ich das übe, umso leichter fällt es mir.

Natürlich gelingt es mir nicht immer. Genauso wie mir manchmal ein Fluch rausrutscht und mein Sohn neulich sehr laut das F-Wort gesagt hat, als ihm etwas runtergefallen ist. Aber genauso, wie ich auf meine Fluchwörter achte, will ich auch auf gendersensible Sprache achten.

Und wünsche mir sehr fest, dass meine Kinder eines Tages ganz automatisch gendern und genervt die Stirn runzeln, wenn jemand sagt: der Feuerwehrmann und die Krankenschwester.