SprachpflegerMohrenkopf & Co. – warum die Empörung?
Von Mark Salvisberg
16.6.2020
Grossverteiler nehmen Süssigkeiten aus dem Regal. Dies nicht etwa wegen zu hohen Zuckergehalts, sondern aufgrund eines anderen inhaltlichen Problems. Wie damit umzugehen ist.
Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster mit der Annahme, dass die meisten hierzulande der Ausdruck Mohrenkopf nicht stört. Genauso wenig wie die Gäste des gleichnamigen Cafés in Zürich, die ganz sicher keine Rassisten sind.
Auch die Österreicher möchten ihr Dessert «Mohr im Hemd» nur ungern umbenennen.
Das Gewohnheitsrecht ist auf ihrer Seite: Die Ausdrücke sind längst Teil ihrer Sprache, und sie haben nichts mehr mit Rassismus gemein. – Wirklich?
Woher kommt das Wort?
Wer Mohrenkopf im Duden nachschlägt, liest dazu die Prädikate veraltet, heute diskriminierend. Das Bestimmungswort dieser Wortzusammensetzung, Mohr, kommt aus dem Lateinischen maurus und bezeichnete die dunkelhäutigen Bewohner eines Gebietes, das ungefähr dem heutigen Marokko entspricht. Das Herkunftswörterbuch sagt dazu: Maure, Nordwestafrikaner. Nach dem Mittelalter wurden zunehmend Menschen mit dunkler Hautfarbe generell mit Mohr tituliert.
Wörter sind dem Zeitgeist unterworfen. Was heute gilt, kann morgen verpönt oder verboten sein. Der diskriminierende Ausdruck Neger hat bis vor zirka fünfzig Jahren die Mehrheit (der Weissen) nicht gestört. Dasselbe gilt für das andere, viel üblere N-Wort zur Zeit der Kolonisierung Amerikas.
Treibt uns die Sprachpolizei vor sich her?
Wird ein Wort bewusst wegen dessen alter, herabwürdigender Bedeutung gebraucht, oder ist diese schon längst verblasst? Natürlich wird der Ausdruck «Mohr im Hemd» ironisiert verwendet und scheint somit harmlos. Trotzdem: Es wird dazu immer eine «weisse» und eine «schwarze» Optik geben. Ich würde nicht in einem Genfer Warenhaus, in der Anwesenheit von dunkelhäutigen Menschen, laut einen «tête de nègre» bestellen. Solche Wörter haben ihre zweifelhafte Schuldigkeit getan.
Was ist so schlimm an Mohr, Neger und Co.?
Solche Wörter hätten zu verschwinden, unsere Sprache müsse dekolonisiert werden – dies das Statement einer Gender-Forscherin. Ich kann diese Forderung nachvollziehen. Dann verschwände auch der «Negerkönig» aus Kindergeschichten. Oder das Lied «Zehn kleine Negerlein». Der diskriminierende Ausdruck Neger (vom Lateinischen niger: schwarz) war übrigens der «Nachfolger» von Mohr – und genauso despektierlich gemeint.
Wir würden wohl schmunzeln, wenn uns ein Asiate als Rundauge oder Langnase bezeichnete. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied gegenüber den Begriffen Mohr und Neger: Wir wurden nicht Jahrhunderte lang von Asiaten versklavt, gequält oder umgebracht, sie haben uns nie unterdrückt.
Mit dem Rassismus verhält es sich ähnlich wie mit dem Sexismus: Würde eine Frau heute einen Mann als einen Schlamp bezeichnen (das Wort existiert tatsächlich), welcher Mann würde nicht darüber lachen. Aber umgekehrt? Eben: dasselbe Prinzip der Unterdrückung. Man kann es wegen des tausend Jahre währenden Machtgefälles nicht vergleichen. Dunkelhäutige – und Frauen – können gewisse Abschätzigkeiten verständlicherweise nicht einfach weglachen.
«Was isch das für e Negerornig i dim Zimmer!», pflegte mich meine Grossmutter zu schelten. Und ich räumte dann das Zimmer auf. Heute würde ich ihr raten, ihre Gedanken aufzuräumen.
Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer grösseren Tageszeitung.